Geschichte Frank Uekötter schließt eine Lücke in unserer Geschichtsvorstellung
Neugier leitet den neuen Professor für Technik- und Umweltgeschichte durch die ungeheure Vielfalt seines Forschungsgebiets.
Die Liste der Themen, zu denen Prof. Dr. Frank Uekötter gearbeitet hat, ist bunt: Atomkraft, Monokulturen, fruchtbare Böden, Rauch und Staub, Naturschutz in der Nazizeit, Umweltprotest, Binnenschifffahrt und vieles mehr. „Die Technik- und Umweltgeschichte ist eigentlich eine unmögliche Disziplin“, sagt er. „Es gibt ein geradezu überwältigendes Themenspektrum. Ich nehme die Vielfalt als sportliche Herausforderung.“ Ab sofort stellt er sich ihr in Bochum: Hier findet er viele Fächer, mit denen er sich vernetzen kann. Seit 1. Juni 2023 leitet er den Lehrstuhl für Technik- und Umweltgeschichte an der Fakultät für Geschichtswissenschaft.
Ein Unruheherd der Geschichte
Gegenstand der Technik- und Umweltgeschichte sei alles, was sich nicht dem Wünschen und Wollen des Menschen unterordne und seine eigene Logik habe, erklärt der Forscher. Dazu gehören Tiere, Pflanzen, Viren und jede Menge technischer Artefakte. Der Blick der historischen Wissenschaft sei häufig jedoch allzu sehr auf den Menschen fokussiert. „Diesen Blick will ich erweitern in meiner Rolle als eine Art Unruheherd in der Geschichtswissenschaft“, sagt Frank Uekötter. „Es geht mir darum, die üblichen Lesarten neu zu durchdenken und allgemeine Probleme der Geschichtswissenschaft aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.“
Dabei muss nicht immer ein jahrzehntelanger Abstand zu den Geschehnissen gewahrt sein. Gerade aus der Aktualität ergeben sich neue Impulse für die Geschichte, ist er überzeugt. „Viele der aktuellen Herausforderungen in den Natur- und Technikwissenschaften haben eine historische Dimension, ohne die man sie nicht verstehen kann“, sagt er. Diese Bezüge offenbaren sich ihm häufig in der Lehre und dem Gespräch mit Studierenden. „Studierende haben durch ihre eigene Erfahrung einen anderen Blick auf die Dinge, und die kann in Spannung zum Stand der Forschung stehen“, so seine Erfahrung. „Man muss bereit sein, das gelten zu lassen, dann sind spannende Diskussionen möglich. Man sollte immer bereit sein, gängige Theoreme im Lichte der eigenen Erfahrung zu hinterfragen und die eigene Komfortzone zu verlassen.“
Wer Interesse hat, dieses Herangehen einmal auszuprobieren, kann das im Sommersemester 2024 am Beispiel der Covid-19-Pandemie tun: Da plant Frank Uekötter einen ersten Entwurf der Geschichte der Pandemie zu schreiben und dazu interdisziplinäre Beiträge zu sammeln. „Natürlich sind diese Erfahrungen noch jung, aber einiges spricht dafür, dass wir aus der Pandemie viel über Politik und Gesellschaft im 21. Jahrhundert lernen können“, so der Forscher. Im Übrigen sei die Pandemie genauso wenig abgeschlossen wie das Projekt der Moderne insgesamt: „Wir forschen auf unsicherer Basis und denken diese Basis mit. Die Moderne ist ein großes Patchworkingprojekt.“
Den globalen Kontext sehen
Ein besonderes Anliegen ist Frank Uekötter die Globalisierung der Geschichtswissenschaft. „Die historischen Wissenschaften sind vor 200 Jahren aus dem Wunsch heraus entstanden, eine nationale Geschichtsschreibung zu haben“, sagt er, „aber wir müssen heute in einem globalen Kontext arbeiten. Da hat mein Fach einen wichtigen Vorteil: Die ökologischen und technischen Schwierigkeiten sind sich weltweit sehr ähnlich.“
Um ihnen auf die Spur zu kommen, sucht Uekötter die Zusammenarbeit mit Expert*innen aus Medizin, Ingenieur- und Naturwissenschaften. Dabei geht es keinesfalls darum, diese Spezialist*innen zu entlarven, sondern wiederum um eine Erweiterung der Perspektive. „Ich will andere disziplinäre Logiken verstehen, dabei ist Neugier der Anfang von allem“, so Uekötter. „Wenn man länger mit Expertinnen und Experten spricht, ergeben sich spannende Einblicke. Das Ausmaß unbewältigter Geschichte ist enorm.“