Karim Fereidooni bekleidet die Professur für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung.
© RUB, Marquard

Interview Gegen Antisemitismus in Schulen

Lehrkräfte in Deutschland werden nicht ausreichend auf das vorbereitet, was sie im Schulalltag erwartet, meint Rassismusforscher Karim Fereidooni. Was sich ändern müsste, erklärt er im Interview.

Seit dem Wiederaufflammen des Nahostkonflikts im Oktober 2023 häufen sich Berichte über antisemitische Vorfälle. Auch vor Schulen macht dieses Phänomen nicht Halt. Was man gegen Antisemitismus und andere Formen von Rassismus in Klassenzimmern und auf Schulhöfen tun kann, erklärt Prof. Dr. Karim Fereidooni im Interview. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum die Professur für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung inne und berät diverse politische Gremien zum Thema Rassismus. Im März 2024 war er in den Landtag NRW als Sachverständiger zum Thema Antisemitismus an Schulen eingeladen.

Herr Professor Fereidooni, wie zeigt sich Antisemitismus im Schulalltag?
Seit den Terroranschlägen der Hamas im Oktober 2023 trauen sich viele jüdische Schüler*innen nicht mehr, in die Schulen zu gehen. Einige jüdische Eltern haben mir berichtet, dass ihre Kinder wie zu Coronazeiten Distanzlernen betreiben.

Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus kommen gleichzeitig vor. Während jüdische Schüler*innen als Vertreter*innen der israelischen Armee betrachtet, angeschrien oder körperlich attackiert werden, müssen muslimische Schüler*innen häufig Verhöre über sich ergehen lassen. Beide Gruppen werden als Stellvertreter*innen gewertet – und das darf nicht sein.

Kommt neben diesen bewussten Diskriminierungen auch unbewusster Antisemitismus oder antimuslimischer Rassismus hinzu?
Ja, beides kommt vor. Einige Menschen wollen jüdische Menschen bewusste diskriminieren. Jude ist auf dem Schulhof ein Schimpfwort geworden, obwohl es das nicht ist. Es gibt aber auch Schüler*innen, die glauben, dass alle jüdischen Menschen reich sind. Das ist ein Stereotyp, aber sie merken nicht, dass es diskriminierend ist, weil sie glauben, dass es stimmt.

Die Intention ist egal. Es geht um die Wirkung.

Die Intention ist allerdings egal. Es geht um die Wirkung. Wenn ich Ihnen auf den Fuß trete, ohne es zu wollen, dann spüren Sie trotzdem den Schmerz. So ist es auch bei Diskriminierungen, und das sollten wir den Schüler*innen beibringen.

Geht die Diskriminierung teils auch von den Lehrkräften aus?
Wir haben in einer Studie drei Jahre lang zielgerichtet den Unterricht in verschiedenen Fächern beobachtet und festgestellt: Wenn es um Israel oder das Judentum geht, dann sind Lehrkräfte häufig nicht in der Lage, Antisemitismus zu erkennen oder angemessen darauf zu reagieren. Natürlich wollen die Lehrkräfte nicht antisemitisch sein, aber sie reproduzieren trotzdem häufig Antisemitismus mithilfe von Bildern, Witzen oder stereotypen Darstellungen von jüdischen Menschen.

Diese Darstellungen finden sich vermutlich auch in den Schulbüchern.
Das Schulbuchmaterial müsste antisemitismuskritisch sein; das ist aber mitnichten der Fall, wie wir in einer Studie herausgefunden haben. Wenn das Judentum vorkommt, dann in der Regel in konflikthaften Situationen: Kreuzzüge, Holocaust, Nahost-Konflikt. Normales jüdisches oder auch normales muslimisches Leben kommt so gut wie nie vor.

Wie sollten sich Schüler*innen verhalten, wenn sie das Gefühl haben, von einer Lehrkraft diskriminiert zu werden?
Wichtig ist, dass man nicht isoliert bleibt. Sie sollten ihre Mitschüler*innen ansprechen und fragen, wie sie die Situation wahrgenommen haben. Man kann auch die Eltern oder die Schüler*innenvertretung einbeziehen, Vereine anschreiben oder den Antidiskriminierungsverband Deutschlands, wo man sich kostenlos juristisch beraten lassen kann. Es gibt viele Anlaufstellen. Außerdem würde ich Betroffenen raten, Empowerment-Workshops zu besuchen, in denen man Strategien lernt, seine körperliche und psychische Unversehrtheit trotz Diskriminierungserfahrungen beizubehalten.

Wie ließe sich die Situation verbessern?
Wir Bildungswissenschaftler*innen sind in der Pflicht, Lehrkräfte auf das vorzubereiten, was sie in den Schulen erwartet. Wir sprechen in der Lehrerbildung zu wenig über Demokratiefeindlichkeit und Ungleichheitsstrukturen wie Antisemitismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit. Lehrkräfte bekommen nicht die Kompetenz vermittelt, angemessen auf diskriminierende Äußerungen zu reagieren.

Wir sollten gezwungen werden, Demokratiefeindlichkeit und Ungleichheit mit den Studierenden zu thematisieren.

Ich würde mir eine einfache Sache wünschen, die aber doch kompliziert ist: nämlich eine Änderung im Lehrerausbildungsgesetz in NRW. Dadurch sollten wir gezwungen werden, Demokratiefeindlichkeit und Ungleichheit mit den Studierenden zu thematisieren.

Ist das vor allem etwas für die Fächer Geschichte und Politik?
Demokratiekompetenz ist eine überfachliche Kompetenz. Ich würde nicht sagen, dass Politik- oder Geschichtslehrkräfte besonders in der Pflicht sind. Schulen und Lehrkräfte im Allgemeinen sind Rollenvorbilder. Das Fach ist egal. Wir müssen allen Lehrkräften beibringen, in diesem Punkt sprechfähig zu sein.

Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Maßnahmen, um Antisemitismus und auch anderen Formen von Rassismus im Unterricht vorzubeugen?
Zum einen gut ausgebildete Lehrkräfte. Außerdem sollten Lehrkräfte offen sein dafür, dass es andere Lebensrealitäten gibt als ihre: Nur weil jemand selbst keinen Antisemitismus oder antimuslimischen Rassismus erfährt, heißt es nicht, dass es das nicht gibt.

Zudem sollten Schulen institutionelle Maßnahmen entwickeln, um Menschenfeindlichkeit entgegenzuwirken. Beispielsweise könnte man ein Netzwerk Rassismuskritik einrichten und sich mit den Schüler*innen gemeinsam anschauen, wie jüdische, muslimische oder schwarze Menschen in Schulbüchern dargestellt werden. Wenn das nur schablonenhaft erfolgt, sollte man eigene Unterrichtsmaterialien initiieren. Oder man richtet eine Antidiskriminierungsstelle ein. Viele Schulen machen das bereits.

Veröffentlicht

Donnerstag
11. April 2024
09:15 Uhr

Teilen