Während der Corona-Pandemie war der Campus oft leer. Heute gibt es aber wieder zahlreiche Begegnungsmöglichkeiten. © RUB, Kramer

Interview „Wir sollten mehr über Einsamkeit bei Studierenden sprechen“

Viele junge Menschen fühlen sich einsam. Zum Glück bietet das Studium zahlreiche Gelegenheiten, dem entgegenzuwirken. Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann rät, diese Chancen zu ergreifen.

Einsamkeit ist für viele ein Tabuthema. Nicht aber für Maike Luhmann. Die Psychologie-Professorin der Ruhr-Universität Bochum erforscht das Phänomen seit vielen Jahren und wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem Thema, vor allem um Wege aus der Einsamkeit aufzuzeigen. Anlässlich der bundesweiten Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ ist es ihr ein Anliegen, auf das Thema aufmerksam zu machen.

Frau Professorin Luhmann, ab wann ist ein Mensch einsam?
Das lässt sich gar nicht so klar beantworten, denn Einsamkeit ist kein binärer Zustand: Man ist nicht entweder einsam oder nicht einsam, sondern Menschen können unterschiedlich stark von Einsamkeit betroffen sein. Bis heute gibt es in der Wissenschaft keine Einigkeit darüber, wie stark oder wie häufig sich jemand einsam fühlen muss, um als „einsam“ gezählt zu werden. Daher kommen Studien zur Prävalenz von Einsamkeit auch häufig zu ziemlich unterschiedlichen Zahlen. Klar ist aber: Je häufiger und je stärker Einsamkeit empfunden wird, desto schwerer ist es, aus diesem Zustand aus eigener Kraft herauszufinden.

Wen trifft Einsamkeit am meisten?

Vor der Pandemie waren Menschen über 80 Jahre am stärksten betroffen. Hochaltrige sind auch heute immer noch stark belastet, aber am meisten betroffen sind im Moment Jugendliche und junge Erwachsene. Wir sollten mehr über Einsamkeit bei Studierenden sprechen.

Maike Luhmann ist an der Ruhr-Universität Bochum Professorin für Psychologische Methodenlehre. © RUB, Kramer

Warum sind viele junge Menschen betroffen?
Dies hat vermutlich mehrere Gründe. Die Pandemie hatte sicher einen Beitrag. Allerdings sind die starken Kontaktbeschränkungen ja auch schon seit einigen Jahren wieder aufgehoben, sodass die Pandemie nicht als einzige Erklärung ausreicht. Die Sozialen Medien verändern unsere alltäglichen Interaktionen mit anderen Menschen. Neue Leute kennenlernen, sich mit Freunden austauschen, Partnersuche – all das findet immer mehr im digitalen Raum statt. Die Sozialen Medien können uns das Gefühl geben, ständig mit anderen im Kontakt zu sein. Aber sie können die echten Kontakte, Freundschaften, Berührungen nicht ersetzen.

Was sind die Herausforderungen während des Studiums?
Die Uni ist eigentlich ein toller Ort, um neue Menschen kennenzulernen und sein soziales Netzwerk zu erweitern. Das kann einen aber auch unter Druck setzen, besonders wenn man sieht, dass alle um einen herum schnell Anschluss gefunden haben und man selbst vielleicht etwas außen vorbleibt. Wenn man dann aus finanziellen Gründen viel arbeiten und vielleicht pendeln muss, weil man sich kein Zimmer vor Ort leisten kann, hat man natürlich auch weniger Zeit und weniger Gelegenheiten, sich am Campus zu engagieren und dadurch andere Menschen kennenzulernen.

Der Besuch von Lehrveranstaltungen – oder zumindest der gemeinsame Kaffee danach – ist immer auch eine gute Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.

Ich nehme auch wahr, dass es seit der Pandemie schwieriger geworden ist, die Studierenden zu motivieren, an die Uni zu kommen. Warum sollte man sich früh morgens aus dem Bett quälen und durch das halbe Ruhrgebiet fahren, um morgens um 8 Uhr an meiner Statistik-Vorlesung teilzunehmen, die doch auch aufgezeichnet wird? Aber der Besuch von Lehrveranstaltungen – oder zumindest der gemeinsame Kaffee danach – ist immer auch eine gute Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Das Studium ist vermutlich die Zeit im Leben, in der man so einfach wie nie zuvor und danach Menschen kennenlernen und Freundschaften fürs Leben finden kann, und diese tolle Gelegenheit sollte man nicht fahrlässig verpassen.

Veröffentlicht

Dienstag
18. Juni 2024
07:40 Uhr

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