Theologie Der Streit um Gott
Die Disziplin ist an zahlreichen Universitäten verankert, aber längst nicht von jedem akzeptiert.
Die Positionen bei der Frage, ob die Theologie eine Wissenschaft ist, könnten weiter nicht auseinander sein. „Für die einen ist völlig klar, dass es eine Wissenschaft ist, für die anderen völlig klar, dass es keine ist“, sagt Prof. Dr. Dr. Benedikt Göcke. Er leitet an der RUB die Nachwuchsforschergruppe „Theologie als Wissenschaft?!“ am Lehrstuhl für Philosophisch-Theologische Grenzfragen. Mit seinem Team hat er Argumente von Kritikern zusammengetragen, die die Wissenschaftlichkeit der Theologie infrage stellen, und ist dabei, diese Argumente zu analysieren.
„Das Thema an sich ist nichts Neues“, sagt Göcke. Allerdings, so findet der Theologe und Philosoph, hätte die Diskussion im deutschsprachigen Raum die angelsächsische Diskussion noch nicht genug beachtet. „Es gibt in dieser Diskussion gute Argumente dafür, dass die Theologie eine Wissenschaft ist. Sie wurden bisher aber kaum rezipiert und könnten die deutsche Debatte wunderbar ergänzen“, erklärt er. Daher will er das Thema systematisch aufarbeiten.
Drei Arten von Argumenten
Göcke teilt die Argumente gegen die Wissenschaftlichkeit der Theologie in drei Kategorien ein: Die erste Kategorie umfasst scheinbar naturwissenschaftlich gestützte Argumente; die zweite versammelt Argumente, die beispielsweise eine klare Definition von Begriffen als Ideal der Wissenschaft propagieren; die dritte Art von Argumenten zielt darauf ab, dass die Theologie gegenstandslos sei, weil es das Forschungsobjekt Gott gar nicht gebe.
„Für letztere Kategorie wird zum Beispiel das Übel in der Welt als Argument angeführt“, schildert Benedikt Göcke. Der Gedanke: Eine allmächtige, allwissende und moralisch vollkommene Person würde kein Leid zulassen. Also kann es keinen Gott geben. Dieses Argument hält der Bochumer Forscher jedoch nicht für letztgültig.
„Es setzt zum einen voraus, dass Gott im Wortsinn eine allmächtige, allwissende und moralisch vollkommene Person ist. Dementgegen ist das Gottesbild der Theologie doch weitaus komplexer und nimmt Rücksicht auf die philosophischen Schwierigkeiten, die eine solche Rede von Gott mit sich bringt“, sagt er. „Zum anderen lässt es außer Acht, dass Gott den Menschen als freien Menschen geschaffen hat, und damit keine andere Möglichkeit hat, als das Risiko einzugehen, dass diese Menschen ihre Freiheit zum Bösen verwenden.“
Die Frage nach dem Gottesbegriff
Ein Argument aus der zweiten Kategorie knüpft genau daran an: Es gebe keine einheitliche Definition für den Gottesbegriff. Kritiker meinen jedoch, dass die grundlegenden Begriffe einer Wissenschaft klar und für alle verständlich definiert sein müssen. „Es wird oft gesagt, ein Physiker definiere, was ein Elektron ist, ein Biologe, was eine Zelle ist, und so weiter“, veranschaulicht Göcke. „Aber für den Begriff Gottes gibt es in der Diskussion vielleicht so viele Definitionen, wie es Theologen gibt.“
Der Wissenschaftstheoretiker verweist jedoch darauf, dass auch in anderen Disziplinen nicht alle Begriffe von Anfang an klar beschrieben waren. „Selbst nicht in der Physik, die oft als Prototyp der Wissenschaft gilt“, so Göcke. „Die Begriffe Materie, Energie und Atom wurden in verschiedenen naturwissenschaftlichen Theorien ganz unterschiedlich verwendet. Erst im Lauf der Zeit setzten sich bestimmte Interpretationen durch, und auch diese können sich jederzeit wieder ändern.“
Wunder und Naturwissenschaft
Auch den naturalistischen Argumenten weiß Benedikt Göcke etwas entgegenzusetzen. Ein Beispiel: Viele theologische Theorien gehen davon aus, dass Gott in der Welt handeln kann, also Wunder wirken kann. Naturalisten hingegen beschreiben das Universum als kausal geschlossenen Raum, in den von außen nichts eindringen kann. Jedes physikalische Ereignis muss eine physikalische Ursache haben, für Übernatürliches ist in dieser naturalistischen Theorie kein Platz.
Die Theologie widerspricht nicht anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Benedikt Göcke
„Die Annahme, dass das Universum kausal in sich geschlossen ist, ist jedoch keine naturwissenschaftliche Erkenntnis“, analysiert Göcke. „Es ist auch keine notwendige Bedingung für die naturwissenschaftliche Forschung.“ Vielmehr handle es sich dabei um nichts weiter als eine metaphysische Annahme aus der Perspektive eines Naturalisten. „Ein Naturalist akzeptiert die Annahme, dass das Universum kausal geschlossen ist, aufgrund seiner Weltanschauung, so wie ein Theist aufgrund seines Weltbildes akzeptiert, dass es Gott gibt“, verdeutlicht der Wissenschaftler. Die naturalistische Position steht der theistischen also konträr gegenüber.
„Aber die Theologie widerspricht deshalb nicht anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern nur anderen metaphysischen Interpretationen dieser Erkenntnisse“, folgert der Philosoph.
Modell der Wissenschaft soll entstehen
Auf diese Weise lassen sich laut Göcke Argumente gegen die Wissenschaftlichkeit der Theologie entkräften. Für ihn ist das aber nur der erste Schritt. Mit seinem Team entwickelt er derzeit ein Modell – unabhängig von der Theologie –, das beschreibt, was unter einer Wissenschaft zu verstehen ist. Dabei beziehen sich die Wissenschaftler auf den von Imre Lakatos geprägten Begriff des Forschungsprogramms; er geht davon aus, dass Theorien nie isoliert betrachtet werden können, sondern nur als Teil größerer und zusammenhängender Theoriensysteme, der Forschungsprogramme, beurteilt werden können. Anhand des Modells wollen die Forscherinnen und Forscher dann später die Theologie und andere Wissenschaften auf den Prüfstand stellen.
Der Begriff Wissenschaft ist breit genug, um auch Unterschiede zwischen den Disziplinen zuzulassen.
Benedikt Göcke
„Heute würde kaum noch jemand die Ansicht vertreten, dass es genau vier, fünf Kriterien für Wissenschaftlichkeit gibt, die jede Wissenschaft – sei es nun eine Geistes- oder eine Naturwissenschaft – erfüllen muss“, gibt Göcke einen Ausblick. „Man versteht den Wissenschaftsbegriff eher als einen Clusterbegriff.“
Zwar gibt es bestimmte Aspekte, die allen Wissenschaften gemeinsam sind. „Aber der Begriff ist breit genug, um auch Unterschiede zwischen den Disziplinen zuzulassen“, so der Philosoph. Daher will er zeigen, dass die Theologie unter Bezug auf den Begriff des Forschungsprogramms als Wissenschaft verstanden werden kann.