Serie Mehr als dicke Bücher
Marion Eggert ist Spezialistin für Sprache und Kultur Koreas. © RUB, Marquard

Interview Kleines Fach mit breitem Spektrum

Die Koreanistin Marion Eggert plädiert für mehr Austausch zwischen Geistes- und anderen Wissenschaften.

Prof. Dr. Marion Eggert ist Professorin für Sprache und Kultur Koreas. Im Interview verrät sie, warum es sich lohnt, Korea zu kennen, und wohin sich ihr Fach entwickelt.

Was meinen Forschungsalltag prägt:
Als Koreanistin vertrete ich ein sogenanntes Kleines Fach, in dem aber gerade wegen der geringen Kollegendichte ein äußerst breites Spektrum abzudecken ist. So beschäftige ich mich mit Texten vom 12. Jahrhundert bis heute, verfasst in chinesischer Schriftsprache, in vormodernen Formen des Koreanischen oder im modernen Koreanisch. Zugleich kann man Korea nur verstehen, wenn man mindestens den ostasiatischen, am besten aber den globalhistorischen Kontext berücksichtigt. Daher empfinde ich Forschung in größeren komparativen und kollaborativen Zusammenhängen als besonders bereichernd. Mein Forschungsalltag ist infolgedessen geprägt davon, große Bögen zu schlagen, aber gleichzeitig die philologische Genauigkeit nicht zu kurz kommen zu lassen.

Wozu das gut ist:
Aufgrund der geografischen Position am Rand des eurasischen Kontinents, aber zwischen China und Japan, war Korea immer vielfachen Einflüssen ausgesetzt, konnte dabei aber seine kulturelle Eigenständigkeit bewahren.

In den vergangenen 1.000 Jahren hat es drei große Paradigmenwechsel erlebt: vom buddhistisch zum konfuzianisch geprägten Gemeinwesen, und schließlich zur modernen, westlich orientierten Nation. Heute ist es geteilt in zwei Staaten, die in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht kaum unterschiedlicher sein könnten und doch immer noch unverkennbare kulturelle Gemeinsamkeiten aufweisen. Es ist also ein hervorragendes Untersuchungsfeld für Fragen nach dem Wesen und Wandel von Kultur.

Als ehemalige Kolonie, die heute zu den führenden Industrienationen gehört, ist Südkorea zudem ein Land von ungeheurer Dynamik, das uns in mancher Hinsicht vielleicht unsere eigene Zukunft zeigt. Korea genauer zu kennen, lohnt sich also.

Das für mich ärgerlichste Vorurteil über Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler ...
… ist, dass sie gesellschaftlich entbehrlich seien. Es verkennt nicht nur die Potenziale der Geisteswissenschaften, es unterschätzt auch die Vielfalt der gesellschaftlichen Bedürfnisse. Es ärgert mich allerdings genauso, wenn Geisteswissenschaftler meinen, auf naturwissenschaftliche Bildung verzichten zu können.

In 15 Jahren werden die Geisteswissenschaften (humanities) …
... sich auf viel breiterer Basis mit den Methoden und Ergebnissen der sciences (zum Beispiel biologische Anthropologie, Neuro- und Kognitionswissenschaften, Psychologie) vertraut gemacht haben – nicht um deren Perspektiven zu übernehmen, sondern um sie sinnvoll mit den eigenen zu integrieren und so zu einem umfassenderen Verständnis von humanity zu kommen. Für ein solch umfassendes Verständnis müssen sie sich in Deutschland natürlich auch noch viel stärker entprovinzialisieren.

Veröffentlicht

Montag
05. Juli 2021
09:18 Uhr

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