Erziehungswissenschaft Henrike Terhart erforscht, wie man in deutschen Schulen besser ankommt
Gesellschaft wird immer diverser. Darauf muss das System Schule reagieren, damit Vielfalt als Normalität wahrgenommen wird, meint die Erziehungswissenschaftlerin.
Wenn Menschen in einem anderen Land ankommen, müssen sie sich erstmal orientieren. Wie Kinder und Jugendliche aber auch Lehrkräfte aus dem Ausland den Wechsel in das deutsche Schulsystem erleben, und was man tun kann, damit dieser Übergang einfacher wird, interessiert Prof. Dr. Henrike Terhart. Sie wurde zum 1. April 2023 auf die Professur für Bildungssoziologie und Sozialisationsforschung an der Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum berufen.
„Wie die Gesellschaft selbst werden Schulen künftig mehr und mehr durch Heterogenität geprägt sein“, sagt die Pädagogin und meint damit nicht nur, dass hier Menschen zusammenarbeiten und lernen, die aus verschiedenen Ländern in das deutsche Schulsystem gewechselt sind, sondern auch Lehrkräfte, die nicht den üblichen Weg aus Abitur, Lehramtsstudium und Referendariat durchlaufen haben. „An all diesen Stellen manifestiert sich eine größer werdende Diversität in der Schule, mit der es einen guten Umgang zu finden gilt, damit diese Entwicklungen als Normalität wahrgenommen werden, und nicht als etwas, das dem System widerfährt und es belastet“, sagt sie.
Migration in ihrer ganzen Breite betrachten
So betrachtet sie in ihrer Forschung unter anderem Kinder, die durch Flucht oder anders motivierte Migration an deutsche Schulen kommen und fragt, wie ihr Start an der Schule gestaltet wird. „Es gibt verschiedene Strategien, zum Beispiel besondere Klassen für zugewanderte Kinder, die innerhalb von maximal zwei Jahren dafür sorgen sollen, dass die Kinder an einer regulären Klasse teilnehmen können“, berichtet Henrike Terhart. „Allerdings gibt es weiterhin zu wenig empirische Belege dafür, welche Methode am besten funktioniert.“ Vieles hänge davon ab, ob es an Schulen Strukturen für die Begleitung des Übergangs und Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte gibt, die sie in dieser Situation unterstützen und dafür sorgen, dass sich professionelle Routinen herausbilden können. Und auch wenn das Engagement von Pädagoginnen und Pädagogen sehr wichtig ist, so hängt es doch zu stark an dem Engagement einzelner Personen, wie gut die Aufnahme von Kindern aus dem Ausland in eine neue Klasse klappt.
Interessante Einblicke findet die Forscherin in privaten Internaten in Deutschland, die Jugendliche aus dem Ausland aufnehmen, die hier das deutsche Abitur machen wollen. „Dieser Abschluss ist international angesehen und ein Türöffner für viele Universitäten“, berichtet Henrike Terhart. Somit schicken gut situierte Familien aus verschiedenen Ländern ihre Kinder für einige Jahre auf eine solche Schule. Da die Schulen dieses Modell als einen Markt entdeckt haben, haben sie Konzepte entwickelt, um die zugewanderten Kinder im Übergang in eine deutsche Schule zu begleiten.
Deutlich wird, dass Henrike Terhart in ihrer Forschung verschiedene Formen von Migration in den Blick nimmt, die unter sehr unterschiedlichen Bedingungen stattfinden. Migration ist häufig mit Fragen sozialer Ungleichheit verknüpft, so die Forscherin.
Als Lehrkraft neu im Land
Neben den Kindern und Jugendlichen gilt das Interesse der Forscherin aber auch den Lehrerinnen und Lehrern, die aus welchen Gründen auch immer aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind und hier in ihrem Beruf weiterarbeiten wollen. Sie ist seit Jahren an dem Netzwerk der Qualifizierungsprogramme „Lehrkräfte Plus“ in Nordrhein-Westfalen beteiligt, die sich an zugewanderte Lehrkräfte richten. Dass Lehrkräfte Plus auch an der Professional School of Education der Ruhr-Universität angeboten wird, freut Henrike Terhart besonders. „Durch meine Arbeit im Netzwerk habe ich schon gute Anknüpfungspunkte nach Bochum“, sagt sie. Im Kontakt mit internationalen Kolleginnen und Kollegen hat sie Inspiration für Programme gefunden, die sich an Lehrkräfte mit ausländischen Qualifikationen richten. In Ländern wie Schweden oder Kanada gibt es solche Angebote schon länger als in Deutschland, während sie hierzulande erst seit den großen Fluchtbewegungen ab 2016 bestehen.
Die Vielfalt in Schulen treibt Henrike Terhart auch in der Lehre um. „Es geht mir darum, angehende Lehrerinnen und Lehrer schon im Studium auf die Diversität in der Schule vorzubereiten. Dazu gehört auch, sie dazu anzuleiten, ihre Vorstellungen von Normalität zu hinterfragen“, erklärt sie.