Früher war die Instabilität des Huntingtin-Gens hauptsächlich in Tierversuchen beschrieben worden. In der aktuellen Studie arbeiteten die Forscherinnen und Forscher mit Gewebeproben von Patienten. © RUB, Marquard

Morbus Huntington Instabilität im Huntingtin-Gen bei Patienten untersucht

Das Forschungsprojekt starteten eine deutsche und eine US-amerikanische Gruppe unabhängig voneinander. Die Ergebnisse passen dennoch perfekt zusammen.

Forscherinnen und Forscher aus Bochum und Boston haben untersucht, wie instabil das Huntingtin-Gen in verschiedenen Hirnregionen und Organen von Huntington-Patienten ist. Die Instabilität des Gens, genauer gesagt der CAG-Region, war zuvor meist in Tiermodellen beschrieben, aber nicht umfassend bei Menschen untersucht worden. Die beiden Gruppen der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und am Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School hatten die Frage ursprünglich unabhängig voneinander erforscht. Als sie von den Arbeiten der jeweils anderen Gruppe erfuhren, verglichen sie ihre Daten und publizierten sie gemeinsam am 7. Juli 2020 in der Zeitschrift Human Molecular Genetics. Die Ergebnisse beider Patientenkohorten stimmen überein.

Huntingtin-Gen verändert sich im Lauf des Lebens

Die Morbus Huntington zugrunde liegende Mutation im Huntingtin-Gen wurde schon 1993 entdeckt: Der Abschnitt des Gens, der die Basenabfolge CAG enthält, wiederholt sich bei Patientinnen und Patienten ungewöhnlich häufig. Während die normalerweise vorkommende Spannweite etwa 8 bis 26 Wiederholungen umfasst, kommt es bei Mutationsträgern zu über 40 Wiederholungen. Die Krankheit ist vererbbar, wobei die Anzahl an CAG-Wiederholungen in der Regel zwischen den Generationen relativ stabil weitergegeben wird, jedoch bei Vererbung über den Vater schwanken kann. Während die Länge der CAG-Wiederholungen im Blut sich nicht wesentlich verändert, können im Hirngewebe, aber auch in Organen im Laufe des Lebens weitere CAG-Wiederholungen hinzukommen, was die Forscherinnen und Forscher als somatische Instabilität bezeichnen. Sie vermuten, dass diese eine wichtige Rolle für den Krankheitsbeginn und -verlauf spielen könnte und deren Beeinflussung damit einen möglichen neuen Behandlungsansatz darstellt.

Bei Morbus Huntington handelt es sich um eine neurodegenerative Erkrankung. Durch das Absterben der Nervenzellen kommt es zu psychischen Veränderungen, motorischen Störungen und kognitivem Abbau. Daher untersuchten Prof. Dr. Carsten Saft von der Neurologischen Klinik des Bochumer St. Josef-Hospitals, Dr. Elisabeth Petrasch-Parwez von der Abteilung für Neuroanatomie und Molekulare Hirnforschung und Privatdozentin Dr. Larissa Arning aus der Humangenetik der RUB die Instabilität des Huntingtin-Gens vor allem in verschiedenen Hirnarealen, aber auch in einigen Organen und Geweben. Ähnliche Analysen führte das Team um Prof. Dr. Vanessa Wheeler am Massachusetts General Hospital durch. Die nach dem Tod entnommenen Gewebeproben dafür stammten von acht Patientinnen und Patienten.

Gewebe mit besonders hoher Instabilität

Ein zentrales Ergebnis: Je mehr CAG-Wiederholungen das Gen in einem Gewebe hatte, desto instabiler war es. Dabei gab es deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Organen und Gehirnarealen: In den am stärksten von der Krankheit betroffenen Hirnregionen, dem Cortex und dem Striatum, war die somatische Instabilität besonders ausgeprägt. Eine hohe Instabilität fanden die Forscherinnen und Forscher aber auch im Sehzentrum, das bislang in Bezug auf Morbus Huntington wenig im Fokus stand. Bei den Organen außerhalb des Nervensystems zeigte die Leber die höchste Instabilität.

„Welche Bedeutung die gewebespezifischen Unterschiede bei der Entstehung der Krankheit und für die Therapie haben könnten, ist bislang weitestgehend offen“, sagt Carsten Saft. Erste mögliche Behandlungsansätze werden aber bereits diskutiert. „Es ist denkbar, dass die unterschiedliche Anzahl an CAG-Wiederholungen in verschiedenen Zelltypen unterschiedliche toxische Prozesse auslöst. Eventuell können die Instabilität in der Leber oder Veränderungen von Fragmenten aus dem Liquor künftig als Marker für Instabilität dienen“, so Larissa Arning.

Aktuell untersuchen die Wissenschaftler, inwieweit die CAG-Instabilität mit dem Ausmaß der Neurodegeneration in den jeweiligen Hirnarealen zusammenhängt. Sie analysieren auch, ob es eine Verbindung zu Proteinaggregaten gibt.

Förderung

Die Arbeiten wurden unterstützt von: National Institutes of Health (Fördernummern NS049206 und AG005136), Cure Huntington's Disease Initiative CHDI Foundation, Huntington’s Disease Society of America, Nancy and Buster Alvord Endowment, The Department of Veterans Affairs Research Funds, dem University of Washington HDSA Center of Excellence.

Originalveröffentlichung

Ricardo Mouro Pinto, Larissa Arning, James V. Giordano et al.: Patterns of CAG repeat instability in the central nervous system and periphery in Huntington’s disease and in spinocerebellar ataxia type 1, in: Human Molecular Genetics, 2020, DOI: 10.1093/hmg/ddaa139

Pressekontakt

Privatdozentin Dr. Larissa Arning
Humangenetik
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: larissa.arning@rub.de

Prof. Dr. Carsten Saft
Huntington-Zentrum NRW
Neurologische Klinik der Ruhr-Universität Bochum
St. Josef-Hospital
E-Mail: carsten.saft@rub.de

Dr. Elisabeth Petrasch-Parwez
Neuroanatomie und Molekulare Hirnforschung
Institut für Anatomie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: elisabeth.petrasch-parwez@rub.de

Veröffentlicht

Donnerstag
23. Juli 2020
08:07 Uhr

Teilen