Perspektivwechsel Was Lehrende von ihren Studierenden gelernt haben
Eine Dozentin und ein Dozent der RUB berichten aus ihren Seminaren.
Normalerweise sitzen Studierende in Vorlesungen oder Seminaren und lernen von ihren Dozentinnen und Dozenten. Doch universitäre Lehre muss keine Einbahnstraße sein. Bisweilen geben Studierende Tipps und Anregungen, die von den Lehrenden aufgenommen werden. Die Theologin Prof. Dr. Isolde Karle und der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Sascha Alavi berichten von ihren Erfahrungen.
Für mich ist der Austausch mit Studierenden in hohem Maß inspirierend für meine Forschung.
Isolde Karle
Haben schon einmal Studierende Ihr Interesse an neuen Themengebieten geweckt?
Isolde Karle: Für mich ist der Austausch mit Studierenden in hohem Maß inspirierend für meine Forschung. Ich erinnere mich an eine Examensprüfung mit einem späteren Doktoranden, der mich in der Prüfung in angenehmer Weise darüber belehrt hat, wie man die Rezeptionsästhetik, die in der Predigtlehre eine mehr oder weniger unhinterfragte Dominanz gewonnen hat, von systemtheoretischer Seite aus kritisieren kann. Das Gespräch hat mich nachhaltig beeindruckt und fließt im Moment in meine eigene neue Konzeption in einem großen Lehrwerk ein.
Sascha Alavi: Ja, das passiert immer wieder. Besonders dann, wenn man mit Studierenden intensiv über Themen für Masterarbeiten spricht. Auch in Seminaren entstehen oft spannende Diskussionen, die mich auf neue Themengebiete aufmerksam machen. Aktuell stehen diese Themen oft in Zusammenhang mit neuen digitalen Technologien in Marketing und Vertrieb wie zum Beispiel Augmented oder Virtual Reality.
Haben Studierende Ihnen neue Lerntechniken vermittelt oder Lösungswege aufgezeigt, die Sie zum Nachdenken angeregt haben?
Isolde Karle: Vor einigen Jahren habe ich eine Monografie zu „Liebe in der Moderne“ verfasst. Auch hier war es für mich sehr spannend zu sehen, wie die Studierenden das Thema in einem Hauptseminar bearbeiteten und ihre eigenen Beobachtungen und reflektierten Erfahrungen mit einflossen. Die Perspektivenvielfalt – auch aufgrund des Altersunterschiedes – hat meine Perspektive auf das Thema – und damit auch die Monografie – entscheidend bereichert.
Die Diskussionen mit Studenten helfen oft, ein Thema aus einer völlig anderen Perspektive zu sehen.
Sascha Alavi
Sascha Alavi: Ja, definitiv. Die Diskussionen mit Studenten helfen oft, ein Thema aus einer völlig anderen Perspektive zu sehen. Das kann sehr bereichernd sein.
Gibt es vielleicht eine konkrete Situation im Seminar, bei Besprechungen oder Exkursionen, die Ihnen im Gedächtnis geblieben ist?
Isolde Karle: Vor einigen Semestern führte ich ein interdisziplinäres Seminar durch, in dem es unter anderem um die ambivalenten Seiten modernen Körper-Enhancements ging. Die Theologie ist tendenziell kritisch im Hinblick auf Strategien dieser körperlichen Selbstoptimierung. Ich habe im Seminar erwähnt, dass es gegebenenfalls hilfreich sein könnte, die Möglichkeit zur (auch chirurgischen) Körperveränderung zu haben, wenn der Leidensdruck für die betreffende Person hoch ist und sie keinen anderen Weg für sich sieht, wieder in die Gemeinschaft der „schön Normalen“ inkludiert zu werden.
Nach dem Seminar kam eine Studentin auf mich zu, die sehr dankbar für diese Äußerung war, weil sie eine entsprechende Erfahrung hinter sich hatte, diese aber aus Angst vor Stigmatisierung nicht mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen kommunizieren konnte. Sie empfand es als ungemein entlastend, dass das Körper-Enhancement auch einmal positiv gewürdigt wird. Das hat einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Ohne diese Studentin hätte ich nicht gewusst, wie essenziell es ist, in dieser Frage einmal die Seiten zu wechseln.
Sascha Alavi: In meiner Vorlesung zu neuen digitalen Technologien im Vertrieb ist es zu einer spannenden Diskussion zu ethischen Fragen der neuen Technologien gekommen. Dabei haben einige Studenten, die bereits Erfahrungen mit den Technologien als Werksstudenten hatten, auf eine neue Software hingewiesen. Die Software erlaubt es Mitarbeitern, untereinander ihre Arbeitsleistung zu vergleichen – eine fragwürdige Praxis aus meiner Sicht. Daraus ist ein Forschungsprojekt entstanden zu den Auswirkungen der Software auf Mitarbeiter.