Interview Für ein Theater von morgen
2012 entwickelte Sven Lindholm den RUB-Studiengang Szenische Forschung. In einem Interview schaut er auf die Anfänge zurück und auf das, was den Studiengang heute ausmacht.
Vom einfachen Seminarraum bis ins Blue Square: Der Studiengang Szenische Forschung hat sich nicht nur räumlich verändert. Prof. Dr. Sven Lindholm erzählt in einem Interview, wie sich der Studiengang entwickelt hat.
Herr Lindholm, die szenische Forschung feiert ein Jubiläum. 2012 gründeten Sie den Studiengang. Was stand dabei vor zehn Jahren im Vordergrund?
Der Fokus war: Wie hängen Praxis und Theorie zusammen? Wichtig ist dabei, Theater auch konzeptuell zu denken. Ideen und Konzepte zu erforschen, die sich vom traditionellen Theaterverständnis unterscheiden, bei dem es überwiegend um Rollenspiel geht.
Was ist denn dann Szenische Forschung genau?
Diese Frage versuche ich zusammen mit den Studierenden immer wieder aufs Neue zu beantworten. Es geht in erster Linie darum, die Voraussetzungen und Bedingungen des Theaters und seiner Formen von Grund auf zu befragen, und eben nicht darum, den überkommenen Begriff von Theater einfach zu übernehmen und zu bestätigen. Die gegenwärtig dominierende Form ist das Repräsentationstheater, bei dem Menschen so tun, als wären sie jemand anderes, während Dritte diesen Vorgang beobachten. Aber neben dieser Spielart gibt es noch viele andere Formen, sind viele andere Formen von Theater denkbar.
Ein Beispiel?
Szenarien ohne Bühnen und Tribünen, Performances mit offenen räumlichen Anordnungen, bei denen die Grenze zwischen Spielenden und Zuschauenden verschwimmen.
Die Erforschung des Theaters findet bei uns nicht nur theoretisch statt, sondern auch und vor allem praktisch. Darum ist die Einbindung von Künstlerinnen und Künstlern, die über ein immenses fachspezifisches Wissen verfügen, in den Lehrbetrieb so entscheidend für uns.
Was bedeutet das für den Masterstudiengang genau?
Es handelt sich um einen Studiengang, in dem sich Studierende mit dem Theaterbegriff und den damit verbundenen Funktionen und Positionen wie Regie, Dramaturgie, Produktionsleitung sowohl theoretisch als auch praktisch auseinandersetzen. Und sich immer wieder auf die Suche nach neuen Ästhetiken und Organisationsweisen machen.
Was bedeutet das für die Berufsperspektive der Studierenden?
Sie erhalten im Studium einen Überblick darüber, was Theater gegenwärtig ausmacht – in Bezug auf Strukturen, künstlerische Formate, Arbeitsbedingungen. Und sie bekommen Hilfestellungen, um ein Theater von morgen mitzuentwickeln. Der Fokus liegt dabei auf dem sogenannten freien Theater, das sich als professionelles, international koordiniertes Netzwerk vom Stadttheaterbetrieb in Fragen der Ästhetik und Organisation mitunter deutlich unterscheidet.
Ich freue mich sehr darüber, dass Arbeiten von Ehemaligen der Szenischen Forschung überregional Beachtung finden.
Zurück zum Jubiläum. Was ist denn in den vergangenen zehn Jahren in der Szenischen Forschung in Bochum passiert?
Vor allem hat sich für uns die räumliche Situation verändert. Angefangen haben wir in einem Seminarraum. Ich habe mich dann um Kooperationen mit freien Theaterhäusern in NRW gekümmert, unter anderem damit die Studierenden deren Probenräume auch nutzen können. Eine zeitlang hatten wir ein Atelier in Bochum-Stahlhausen. Und seit 2021 sind wir nun im Blue Square und können mehr und größere Räume für das Arbeiten nutzen.
Ein weiterer entscheidender Schritt war es, eine kontinuierliche Förderung von der Kunststiftung NRW zu erhalten. Das ist wirklich großartig. Und es spiegelt auch den Anspruch wider, den wir haben: Den Theaternachwuchs der szenischen Künste in NRW zu stärken.
Und ich freue mich sehr darüber, dass Arbeiten von Ehemaligen der Szenischen Forschung mittlerweile regelmäßig im professionalen Rahmen gezeigt werden und überregional Beachtung finden.
Zur Person
Wenn jetzt jemand neugierig geworden ist. Was sollte für das Studium mitgebracht werden?
Wir sind ein kleiner Studiengang mit etwa zehn Studierenden in jedem Jahrgang. Die Studierenden bewerben sich zunächst mit einer Mappe und werden gegebenenfalls anschließend zu einem Gespräch geladen.
Es geht dabei weniger darum, Talent zu entdecken als vielmehr Potenzial. Ich glaube an Entwicklungen. Wir suchen nach Menschen, die – nicht erst seit gestern - Interessen verfolgen, die im Studiengang geteilt werden. Wer allerdings ein konkretes Berufsziel erreichen möchte, ohne nach links oder rechts schauen zu wollen, für den ist die Szenische Forschung nicht der richtige Studiengang.
Mir ist es wichtig, auch die Wege in die Szenische Forschung offen zu halten. Die Studierenden kommen aus ganz unterschiedlichen Kontexten – was das Herkunftsland und den vorausgegangenen Studiengang betrifft. Wer vorher Tanz studiert hat oder Schauspiel, geht ganz anders an die Szenische Forschung heran als jemand, der Philosophie oder Theaterwissenschaft studiert hat. Und wenn diese unterschiedlichen Perspektiven zusammenkommen, ist das für alle sehr fruchtbar.
Wo kann es in den nächsten zehn Jahren mit der Szenischen Forschung hingehen? Was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, dass wir in Bochum präsenter werden. Dass die Stadtgesellschaft die Szenische Forschung im Blue Square wahr- und die Aufführungen der Studierenden als Angebot für aktuelles Theater annimmt. In diesem Sinne planen wir auch unser zehnjähriges Jubiläum vom 21. bis zum 24. Juli. Um uns und anderen zu zeigen, woran wir arbeiten, was uns beschäftigt und bewegt. Ich wünsche mir, das sichtbar wird, was hier im Blue Square alles passiert.