Interview „Wir haben uns Transfer auf die Fahnen geschrieben“
Seit 2021 begleitet Prof. Dr. Günther Meschke als Prorektor für Forschung und Transfer den Ausbau des Worldfactory Start-up Centers: Zeit für ein Resümee.
Das Worldfactory Start-up Center (WSC) ist Aushängeschild sowie zentrale Anlaufstelle für alle Transferaktivitäten der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2019 wird das WSC im Rahmen der Förderinitiative Exzellenz Start-up Center.NRW (ESC) vom Land NRW gefördert. Seitdem verfolgt die Ruhr-Universität das Ziel, Transfer weiter als dritte Kernaufgabe neben Forschung und Lehre strukturell zu verankern und das Start-up-Ökosystem zu stärken.
Am 22. Mai 2023 präsentiert Günther Meschke, Prorektor für Forschung und Transfer, auf dem ESC-Kongress die bisherigen Leistungen des Bochumer Start-up Centers. Im Interview vorab erklärt er, wie universitäres Wissen in die Region gelangt, welche Rolle das WSC dabei spielt und wie die Zukunft des Transfers aussieht.
Herr Prof. Dr. Meschke, warum ist das Thema Transfer für die Ruhr-Universität Bochum überhaupt von Bedeutung?
Jede Universität generiert Wissen, um mit neuen Erkenntnissen die Wissenschaft voranzutreiben. Aus dieser wissenschaftlichen Forschung – auch wenn es Grundlagenforschung ist – ergibt sich fast immer auch ein Mehrwert für die Gesellschaft. Denken wir beispielsweise an die Quantenmechanik, ohne die wir uns die Möglichkeiten des Quantencomputings nicht vorstellen könnten. Universitäten waren lange Zeit vor allem der Forschung und Lehre verschrieben. Dass die sogenannte Third Mission gleichermaßen von Bedeutung ist und eigene Strukturen braucht, stellt einen wichtigen Wandel im Selbstverständnis der Universität dar.
Die Ruhr-Universität Bochum hat sich Transfer auf die Fahnen geschrieben, insbesondere auch, um die Entwicklungen in der Region zu unterstützen. Nach dem Kohleausstieg und der Abwanderung wichtiger Großunternehmen, wie Nokia und Opel, ist die Idee entstanden, das Wissen, das in der Region entsteht, nutzbar zu machen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Als größte und älteste Universität des Ruhrgebiets produzieren wir fortwährend qualifizierte Köpfe. Um die Vision einer Wissensregion zu realisieren, braucht es allerdings Strukturen, um dieses Wissen in die Nützlichkeit zu bringen – das ist aktiver Transfer.
Im Jahr 2019 hat die Ruhr-Universität Bochum den Zuschlag für die Förderung durch das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW bekommen, um ein Exzellenz-Start-up Center aufzubauen. Welche Ziele hat sich die Universität damals gesteckt?
Die Universität hat sich damals einige entscheidende Ziele gesetzt. Ein vordergründiges Ziel war, unser bereits vorhandenes Start-up-Ökosystem stärker auszubauen. Bis zum Ende der Förderphase 2024 wollten wir unter die Top Zehn der besten Gründungsuniversitäten in Deutschland kommen. Auch die Gründungen von Frauen wollten wir besser fördern, indem wir eine attraktive Angebotsstruktur schaffen.
Und wo stehen wir jetzt – vier Jahre später?
Unser Ziel, unter die Top Zehn zu kommen, haben wir bereits zur Halbzeit erreicht. Im Gründungsradar 2022 konnten wir einen hervorragenden Platz 8 belegen und gehören damit zu den besten 25 Prozent unserer Größenklasse. Das Worldfactory Start-up Center weist mit 25 Prozent im Jahr 2022 außerdem eine überdurchschnittlich hohe Frauenbeteiligung an Gründungen auf. Ein Grund hierfür ist, dass wir mit FACE@RUB (Female Academic Entrepreneurs at RUB) einen speziellen Inkubator für Gründerinnen besitzen. Auch die Gesamtanzahl der erfolgreichen Gründungen ist gestiegen, von etwa 18 bis 24 Gründungen im Zeitraum von 2000 bis 2018 auf 42 im Jahr 2021.
Stolz sind wir auch auf das Herzstück des WSC, den Makerspace, der einer der größten Deutschlands ist und unseren weitgefassten Transfergedanken widerspiegelt. Nicht nur gründungsinteressierte Universitätsangehörige, sondern auch Schulklassen, Vereine sowie Bürgerinnen und Bürgern können hier ihre Ideen umsetzen und Prototypen bauen.
Welche Kernaufgaben übernimmt das Worldfactory Start-up Center?
Als Teil der Förderinitiative Exzellenz Start-up Center.NRW verfolgen wir mit dem Worldfactory Start-up Center das Ziel, Strukturen zu schaffen und zu bündeln, die Gründungsinteressierte aus den Lehrstühlen heraus auf ihren individuellen Wegen von der Idee über das Prototyping bis hin zu weiteren Bundes- und Länderförderungen, wie dem EXIST-Programm, begleiten. Dazu zählen allgemeine aber auch fachlich angepasste Coachingangebote, ebenso wie die Entrepreneurship Education.
Darüber hinaus koordiniert das WSC die weiteren vielfältigen Transferaktivitäten im Sinne des Leitbildes der Ruhr-Universität, unter anderem verschiedene Formate der Wissenschaftskommunikation, darunter Ausstellungen und Podcasts.
Und was macht das WSC in Ihren Augen einzigartig?
Im Vergleich zu den anderen Exzellenz Start-up Centern macht das WSC zwei Dinge anders. Erstens sind unsere Förderstrukturen stark individualisiert und auf die Fachdisziplinen ausgerichtet. Da jede Idee einzigartig ist, gibt es bei uns neben übergeordneten Modulen vor allem individuelle Betreuungsangebote.
Zweitens haben wir unsere Spitzenforschungsbereiche in Form von sogenannten Inkubatoren direkt in das Transfergeschehen hineingebracht und nutzen das Transferpotential unserer Exzellenzcluster. Mit den fünf Fachinkubatoren Start4Chem, Health+, Materials, Cube5 und Smart Systems ebnen wir den Weg von der Spitzenforschung in die Gründung. Unser breit aufgestelltes Coachingangebot sorgt wiederum dafür, dass wir trotz dieses strategischen Ansatzes ebenfalls Gründungen aus vielfältigen anderen Fachbereichen vorweisen können.
Und die Zahlen geben Ihnen Recht. Gab es denn in den letzten vier Jahren auch Herausforderungen, denen Sie sich stellen mussten?
Eine Herausforderung war sicherlich die Covid-19-Pandemie, die den Aufbau der Strukturen erschwert hat. Vor allem Vernetzungsaktivitäten und Start-up-Events, wie der ruhrSUMMIT, konnten nicht in gewohnter Form stattfinden. Auch viele Internationalisierungsbemühungen mussten anders umgesetzt werden als ursprünglich geplant. 2020 hatten wir außerdem Hochwasser in unserem Makerspace, was die Eröffnung verzögert hat. Das waren zwar alles Herausforderungen, haben den Plänen jedoch keinen Abbruch getan.
Welche Bedeutung hat das Thema Nachhaltigkeit für die Transferaktivitäten der Ruhr-Universität?
Nachhaltigkeit und Transfer ergeben produktive Synergien. Daher haben wir das Thema Nachhaltigkeit intrinsisch in die gesamte Angebotsstruktur des Transferbereichs eingebaut. Der Begriff „Purpose“ ist dabei eine interne thematische Leitlinie, die uns hilft, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in all seinen Facetten gleich von Anfang an in die Begleitprozesse zu integrieren.
Wird dadurch nicht auch eine neue Art des Unternehmertums gefördert?
Das ist bestimmt der Fall, allerdings ist Nachhaltigkeit schon jetzt eine Triebkraft für die meisten Start-ups, weswegen die Universität das Thema ebenfalls institutionalisiert hat. Viele Gründerinnen und Gründer setzen gezielt einen Fokus auf nachhaltige Entwicklung. Fast jedes unserer Start-ups der Worldfactory zahlt auf mindestens eines der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) ein. Auch wissenschaftliche Projekte, wie beispielsweise aus dem Forschungsbau „ProDi – molekulare Protein-Diagnostik“ sind zwar nicht auf den ersten Blick nachhaltig, mit dem Ziel der gesundheitlichen Vorsorge stellt sie jedoch ebenfalls auf die soziale Dimension von Nachhaltigkeit ab.
Worin sehen Sie also die Aufgabe der Ruhr-Universität Bochum, wenn es um Nachhaltigkeit im Transferbereich geht?
Neben der Förderung der Bewusstseinsbildung und der Bereitstellung von Wissen ermöglicht die Universität den Transfer von nachhaltigen Erkenntnissen in die Praxis. Die Universität kann dazu beintragen, dass Prozesse und Produkte in Zukunft nachhaltiger werden, beispielswiese in der Lasertechnologie, wenn es gelingt, Schneidevorgänge exakter zu gestalten, sodass der Materialverbrauch reduziert wird.
Die Förderung durch die Initiative Exzellenz Start-up Center.NRW läuft noch bis 2024. Wo möchten Sie in dieser Zeit noch weitere Akzente setzen?
Vor allem drei Dinge möchte ich weiter ausbauen. Erstens sollen die Strukturen des Transferbereichs manifester werden und stärker in die fachliche Breite der Universität strahlen. Ein Ziel ist dabei, dass in allen Fakultäten Angebote im Bereich Entrepreneurship Education gemacht werden. Zweitens soll der Transfer im Sinne der Third Mission stärker akzentuiert werden. Formate wie der Innovationsaward QUBO, der im Mai erstmalig an das Projekt „Floodlight“ verliehen wurde, machen die ganze Bandbreite der Aktivitäten innerhalb unseres Transferleitbildes sichtbar. Drittens wollen wir die Region weiter stärken, indem wir die Kräfte der Universität, des Landes und der Unternehmen zusammenbringen. Als Beispiel für diesen sogenannten Triple-Helix-Ansatz haben wir uns kürzlich Innovationshubs in den Niederlanden angeschaut, die die Dynamik der Region Limburg entscheidend beeinflussen konnten.