Mark 51°7 Ein Motor für den Strukturwandel

Vor zehn Jahren schloss das Opel-Werk in Bochum endgültig seine Tore. Seitdem ist ein einzigartiges Innovationsquartier entstanden. Institutionen der Ruhr-Universität schaffen hier aus Wissen Wirtschaft.

Am 12. Oktober 1962 rollte der erste Opel-Kadett in Bochum vom Band. Über 50 Jahre wurden hier, auf der ehemaligen Zechenanlage, Autos produziert, bis am 14. Dezember 2014 endgültig Schluss war. Inzwischen jährt sich die Stilllegung des Opel-Werkes zum zehnten Mal. In dieser Zeit hat sich auf Mark 51°7, wie das ehemalige Opel-Gelände nun heißt, viel gewandelt. Die Ruhr-Universität Bochum und ihre Institutionen spielen in diesem Prozess eine besondere Rolle. Auf dem früheren Opelgelände haben sie gemeinsam mit der Politik und Wirtschaft einen einzigartigen Ort geschaffen, an dem Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft im Austausch stehen.

Die Anfänge: Von Kohle und Stahl

Kohle und Stahl haben lange Zeit für Millionen von Menschen aus ganz Europa und Teilen Asiens die Existenzgrundlage gebildet – so auch in Bochum. „Die endogenen Potenziale im Ruhrgebiet, welche stabile Beschäftigungsbedingungen versprachen, lauteten zwischen 1850 und 1960: Kohle und Stahl!“, erklärt Prof. Dr. Manfred Wannöffel, Geschäftsführer der Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IGM. Dies änderte sich ab 1957, als neue Konkurrenten auf dem Weltmarkt zu ersten Zechenschließungen im Ruhrgebiet führten. Am härtesten traf es Bochum, die bis dahin bedeutendste Bergbaustadt in Deutschland mit insgesamt 60 Schachtanlagen.

Die Zweite Moderne Bochums: Automobil und Bildung

Inmitten der Strukturkrise fand der US-amerikanische Automobilhersteller General Motors/Opel in Bochum, was er suchte: Ein großes Angebot an verfügbaren, qualifizierten Arbeitskräften sowie freie Flächen für die Ansiedlung eines Zweigwerkes. So entstand ab 1960 auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Dannenbaum in Laer, heute Mark 51°7, ein neuer Produktionsstandort. Zu Hochzeiten arbeiteten 22.000 Beschäftigte in dem neuen Opel-Werk. Das Auto wurde zum Sinnbild für die zweite Moderne Bochums. Nur zwei Jahre später, 1962, wurde der Grundstein für die Ruhr-Universität Bochum gelegt und damit die erste Universitätsneugründung in der Bundesrepublik vollzogen: Ein einzigartiger Strukturwandel war eingeleitet.

Das Ende: Zusammenarbeit für wirtschaftliche Entwicklung

Während die Ruhr-Universität in den nächsten 30 Jahren kontinuierlich wuchs, den Botanischen Garten, das Musische Zentrum, das Technologiezentrum und die Akademie der RUB eröffnete, setzte für Opel mit Beginn der 1990er-Jahre eine anhaltende Krisenentwicklung ein. Auslöser waren einmal mehr neue Konkurrenten auf dem Weltmarkt, dieses Mal aus Japan, sowie schlankere Produktionskonzepte. Ander als in den USA, wo Werke geschlossen wurden, entwickelten der Betriebsrat, die IG Metall und die Stadt Bochum in Kooperation mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen von Bochumer Hochschulen Maßnahmen für den Erhalt des Standorts.

Bis zur endgültigen Schließung konnten sich so stabile Kooperationen zwischen Wirtschaft, Gewerkschaft und Wissenschaft bilden. Auch nach dem Ende der Automobilproduktion haben sie die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt gestaltet. Zahlreiche Opel-Lehrlinge konnten ihre Ausbildung in der Lern- und Forschungsfabrik des Lehrstuhls für Produktionssysteme der Fakultät für Maschinenbau der Ruhr-Universität beenden. Auch den Schließungs-Sozialtarifvertrag zwischen General Motors und der IG Metall aus dem Jahr 2014 hat die LPS-Lernfabrik gefördert.

Die Neuausrichtung: Wissen als neue Ressource

Mit der „Bochum Perspektive 2022“ haben die Ruhr-Universität Bochum, Vertreterinnen und Vertreter von General Motors, die NRW-Landesregierung, die IG Metall, Metall NRW und die Stadt Bochum ein Innovationskonzept erarbeitet. Ziel war es, eine neue Vision für das nicht mehr genutzte Opelgelände zu entwickeln. Insgesamt flossen über 160 Millionen Euro in den Aufbau eines einzigartigen Innovations- und Technologietransferquartiers. Zahlreiche RUB-Einrichtungen, wie das Zentrum für das Engineering Smarter Produkt-Service Systeme (ZESS), sowie Ausgründungen, darunter das international erfolgreiche Deep-Tech-Start-up GEMESYS, haben sich auf Mark 51°7 angesiedelt. Auch das Max-Planck-Institut für IT-Sicherheit und namhafte Unternehmen, wie Volkswagen Infotainment und die Bosch Tochter ETAS, zählen zu den Nachbarn.

Mark 51°7: Wo Wissen zu Wirtschaft wird

Im Zentrum von Mark 51°7 befindet sich heute das O-Werk, das denkmalgeschützte ehemalige Opel-Verwaltungsgebäude. Ein Großteil des Gebäudes beherbergt Institutionen der Ruhr-Universität, die in Transferforschungsprojekten das Praxiswissen aus umliegenden Unternehmen aufbereiten, um wechselseitigen Nutzen für die Region zu schaffen. So etwa das WOLRDFACTORY Start-up Center, das als zentrale Anlaufstelle der Ruhr-Universität Bochum für Transfer und Start-up Förderung den Wandel auf Mark 51°7 mitprägt. Ein umfassendes Beratungsangebot, Mentorenprogramme, und der RUB-Makerspace schaffen ein starkes Netzwerk für Innovation und Unternehmertum. Der RUB-Makerspace bietet seit 2020 Raum, Infrastruktur und Know-how, um Gründungs- und Innovationsprojekte zu verwirklichen. Mit hochmodernen Werkstätten, Co-Working-Spaces und direkter Anbindung an die Ruhr-Universität schafft der RUB-Makerspace eine Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, indem Erkenntnisse zu marktfähigen Lösungen werden.

Noch mehr RUB-Institutionen im Innovationsquartier

Die Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM, eine Transferforschungseinrichtung der Ruhr-Universität für Technik, Arbeit und Organisation zog im Jahr 2020 als eine der ersten Mieterinnen ins O-Werk ein. Sie war für die Begleitforschung im Kontext der Opel-Schließung zuständig und forscht heute unter anderem zu den Chancen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz in der Arbeitswelt sowie zur Gestaltung nachhaltiger Beschäftigung in der Region. Die Kooperation zwischen der Ruhr-Universität und der IG Metall gilt bis heute als deutschlandweiter Meilenstein und bietet besonders vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Transformation einen wichtigen Gestaltungsraum, der insbesondere auf Mark 51°7 greifbar wird.

Hier schafft Wissen Wirtschaft.

— Manfred Wannöffel

Das Kompetenzzentrum HUMAINE ist im April 2021 ins O-Werk gezogen und in der Fortfolge im Frühjahr 2023 auch der Lehrstuhl Arbeit, Personal und Führung. Sie arbeiten in enger Kooperation mit Partnern aus Wissenschaft und Praxis an Technologieinnovationen, die zu guten Arbeitsbedingungen und zur Entfaltung von Arbeitskräften beitragen sollen. Die Akademie der Ruhr-Universität sichert mit berufsbegleitenden Studiengängen und Zertifikatskursen den Wissenstransfer in die deutsche Wirtschaft. Als forschende Bildungseinrichtung erprobt und begleitet die Akademie neue Formen der Aus- und Weiterbildung und entwickelt eigene digitale Lernunterstützungslösungen. Das O-Werk bildet für sie seit 2021 den idealen Standort für die Zusammenarbeit von universitären Partnern, innovativen Startups und Instituten.„Wissen und Bildung gelten als neue endogene Potenziale des Ruhrgebiets“, sagt Manfred Wannöffel über den Wandel der Region. „Hier schafft Wissen Wirtschaft.“

Veröffentlicht

Montag
14. Oktober 2024
09:33 Uhr

Von

Jessica Siegel
Lara Obereiner

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