Wissenstransfer Das eigene Trinkwasser als Chemie-Experiment

Wie verändert sich unser Trinkwasser auf dem letzten Meter? Im Projekt CS:iDrop haben Bochumer Bürgerinnen und Bürgern Fachmethoden der Chemie angewendet – mit wichtigen Erkenntnissen für beide Seiten. 

Was kommt da eigentlich aus meinem Wasserhahn? Vier Jahre lang lud das Projekt CS:iDrop Bochumer Bürgerinnen und Bürger dazu ein, dieser Frage nachzugehen und brachte hierfür wissenschaftliche Untersuchungsmethoden in die heimischen vier Wände der Teilnehmenden. Ein Meilenstein für zukünftige Citizen-Science-Projekte, denn CS:iDrop konnte zeigen, dass die Messdaten der Bürgerinnen und Bürgern valide sind. Auch komplexere chemische Labormethoden lassen sich erfolgreich in der Bürgerwissenschaft einsetzen. Für diese Leistung hat das Rektorat der Ruhr-Universität das Projektteam Ende 2024 mit dem QUBO – Innovationsaward in der Kategorie Wissenstransfer ausgezeichnet. Wie lassen sich Fachfremde an die Methoden einer Wissenschaftsdisziplin heranführen? Vor welchen Herausforderungen stehen bürgerwissenschaftliche Projekte? Einblicke geben Prof. Dr. Katrin Sommer, Projektleiterin von CS:iDrop und Inhaberin des Lehrstuhls Didaktik der Chemie, sowie Jan Eric Kath, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt. 

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Weshalb wurde in dem Citizen-Science-Projekt CS:iDrop das Bochumer Trinkwasser untersucht?
Katrin Sommer: Trinkwasser ist eines der am besten kontrollierten Lebensmittel in Deutschland. Bis zur Hausübergabestation sind die Wasserwerke für die Qualität verantwortlich; danach liegt die Verantwortung allerdings bei den Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern. Durch verschiedene Studien wissen wir, dass Leitungen und Armaturen einige Parameter des Trinkwassers verändern können. So können Blei, Kupfer, Eisen und Nickel aus dem Leitungsmaterial mobilisiert und auf diese Weise ins Trinkwasser eingebracht werden. Das tatsächliche Ausmaß dieser Veränderungen ist nicht systematisch untersucht. Mit dem Citizen-Science-Projekt wollten wir dieser innerfachlichen Frage nachgehen und haben uns dabei auf chemische Parameter konzentriert. Diese Fragestellung ließ sich nur in Zusammenarbeit von Wissenschaft und Bürgerschaft bearbeiten. Während die Wissenschaft beispielsweise die Fachmethoden für die Analyse geliefert hat, haben die Bochumer Bürgerinnen und Bürger Zugang zu den relevanten Proben und konnten sich durch die Probenentnahme sowie die chemischen Untersuchungen einbringen. 

Mit unserem Citizen-Science-Projekt konnten wir hier einen wichtigen Beitrag für künftige bürgerwissenschaftliche Projekte leisten.

— Jan Karth

Sie wollten also Erkenntnisse über ausgewählte Parameter des Trinkwassers gewinnen und gleichzeitig neue Methoden in der Bürgerwissenschaft erproben?
Jan Kath: Ja. Teststäbchen sind gut geeignet, um große Räume abzudecken und werden beispielsweise in ökologischen Studien häufig bürgerwissenschaftlich eingesetzt. Aber nicht alle Parameter des Trinkwassers lassen sich mit mobilen Methoden hinreichend analysieren. Wenn es um chemische Fragestellungen geht, dann braucht es Labormethoden. Mit unserem Citizen-Science-Projekt konnten wir hier einen wichtigen Beitrag für künftige bürgerwissenschaftliche Projekte leisten, denn die Bürgerinnen und Bürger haben die Methoden erfolgreich durchgeführt und valide Messdaten erhalten. 

Das Projekt ist am Lehrstuhl Didaktik der Chemie angesiedelt. In welchem Zusammenhang stehen Didaktik und Wissenstransfer?
Katrin Sommer: Es ist eine ureigene didaktische Aufgabe, Inhalte, Methoden und Ergebnisse, die in dem Fach genutzt beziehungsweise erzeugt werden, für Personen zugänglich zu machen, die keine Expertinnen oder Experten auf dem Gebiet sind. Im Chemieunterricht werden Erkenntnisse der Fachwissenschaft didaktisch so reduziert, dass sie von Schülerinnen und Schülern verstanden werden können. Und auch Schülerinnen und Schüler lernen Fachmethoden kennen und wie sie diese anwenden. Mit dem Citizen-Science-Projekt haben wir eine andere Zielgruppe, explizit Erwachsene aus Bochum, angesprochen, die entweder Interesse an ihrem Trinkwasser haben und bereit sind, in einem Labor Untersuchungen durchzuführen, oder die tatsächlich ein gewisses experimentelles Interesse besitzen. Wir wollten mit authentischen Labormethoden arbeiten. Das war herausfordernd, denn ein vergleichbares Projekt hatte es bis dato nicht gegeben. Es war also eine didaktische Herausforderung, diese Labormethoden an die Zielgruppe der Erwachsenen anzupassen. In diesem Sinne passt das Projekt auch zur Zielsetzung des Lehrstuhls Didaktik der Chemie. 

Wie ist es Ihnen gelungen, Bürgerinnen und Bürgern die Fachmethoden der Chemie näherzubringen? Wie sind Sie vorgegangen?
Jan Kath: Wir haben die Teilnehmenden bereits in einer frühen Projektphase mit einbezogen. Gemeinsam mit Bochumerinnen und Bochumern haben wir im Rahmen von „Entwicklungsworkshops“ im Labor gestanden und ausgewählte Methoden ausprobiert und so die Vorschriften für die Zielgruppe weiterentwickelt. Das Zitat einer Person ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben. „Dass Sie uns so etwas zutrauen!“ Das fast ein Stück weit ein Charakteristikum von Wissenstransfer zusammen. Das Vertrauen, dass die Bürgerinnen und Bürger, wenn man sie entsprechend anleitet und unterstützt, die Vorschriften und Methoden umsetzen können. Nach den Entwicklungsworkshops haben wir die Methoden umfassend pilotiert und in den letzten Jahren erfolgreich genutzt. 

Wir haben ein Konzept entwickelt, dass Bürgerinnen und Bürgern als spätere Nutzerinnen und Nutzer der Fachmethode in die Methodenentwicklung einbindet. 

— Katrin Sommer

Katrin Sommer: Bei den Entwicklungsworkshops konnten wir schauen, wo Stolpersteine sind und welche Fragen sich die Bürgerinnen und Bürger stellen. Wenn wir in der Chemie beispielsweise davon sprechen, dass man eine „Spatelspitze" des Stoffes zugeben soll, dann wissen wir, wie viel damit gemeint ist. Die Teilnehmenden können sich darunter aber gegebenenfalls nichts vorstellen. Diese Stolpersteine lernt man nur bei der gemeinsamen Arbeit im Labor kennen. Deshalb haben wir ein Konzept entwickelt, dass die Bürgerinnen und Bürgern als spätere Nutzerinnen und Nutzer der Fachmethode in die Methodenentwicklung mit einbindet. Das ist eine wichtige Erkenntnis für einen erfolgreichen Wissenstransfer. 

Welche Herausforderungen sind Ihnen bei der Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern begegnet?
Jan Kath: Bürgerwissenschaftliche Forschungsprojekte haben es oftmals schwer, Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewinnen. Mit mehr als 500 Proben können wir uns über eine außerordentlich hohe Anzahl an Teilnehmenden freuen. Das lag zum einen daran, dass das Thema Trinkwasser uns alle betrifft. Wir haben aber auch festgestellt, dass es wichtig ist, sich zu fragen, über welches Medium man seine Zielgruppe vermutlich am besten erreichen wird. Während uns jedes Mal eine Welle an positiven Rückmeldungen traf, wenn wir in die Printmedien gegangen sind, waren die Rückläufer in den sozialen Medien im Vergleich dazu deutlich geringer. Man kann also sagen: die sozialen Medien haben für unser Projekt nicht funktioniert. Eine weitere Herausforderung von Citizen-Science-Projekten ist der organisatorische Aufwand, da eine große Anzahl an Personen zusammenarbeitet. Der Aufwand lohnt sich allerdings, weil man viele unterschiedliche Perspektiven in ein Projekt einbringen kann.

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem QUBO – Innovationsaward 2024?
Katrin Sommer: Das Projekt ist nur durch die verlässliche Kooperation mit Prof. Dr. Joachim Wirth und dem Lehrstuhl für Lehr-Lernforschung möglich gewesen. Mit dem QUBO wurden die Fachdidaktik und die Bildungswissenschaften gemeinsam ausgezeichnet und wir haben uns alle von Herzen darüber gefreut. Wir empfinden es als Anerkennung und Wertschätzung unserer Arbeit im Bereich Third Mission. Unsere Aktivitäten sind dadurch noch einmal sichtbarer geworden. Das ist für fachdidaktische Arbeiten nicht selbstverständlich, und auch Motivation für die Zukunft. Es ist uns ein Herzensanliegen, dass auch in zukünftigen Projekten verschiedene Zielgruppen die Faszination der Wissenschaft Chemie erleben können. 

Über die Personen

Katrin Sommer ist seit 2004 Professorin für Didaktik der Chemie an der Ruhr-Universität Bochum und leitet den Lehrstuhl sowie das dortige Alfried Krupp-Schülerlabor der Wissenschaften. Sie ist im Vorstand der Professional School of Education (PSE) und Leiterin der Graduate School of Educational Studies. Ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeiten liegen in den Bereichen Lehren und Lernen mit Modellexperimenten, informelles Lernen mit dem Schwerpunkt Erkenntnisgewinnung sowie Konzepte zur Validierung von Schulexperimenten. Ihre Ansätze für informelles Lernen richten sich an unterschiedliche Zielgruppen. Das Projekt „KEMIE – Kinder erleben mit ihren Eltern Chemie“ führt sie beispielsweise seit über 15 Jahren Kinder gemeinsam mit ihren Eltern an die Wissenschaftsdisziplin Chemie heran. Das bürgerwissenschaftliche Projekt CS:iDrop hat Katrin Sommer als Projektkoordinatorin geleitet. 

Jan Eric Kath ist Doktorand am Lehrstuhl für Didaktik der Chemie und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt CS:iDrop. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt darin, wie chemische Analyseverfahren im Kontext von bürgerwissenschaftlicher Forschung für eine breite Nutzergruppe optimiert und validiert werden können.

Über das Projekt CS:iDrop

Das Projekt CS:iDrop wurde von Prof. Dr. Katrin Sommer, Inhaberin des Lehrstuhls für Didaktik der Chemie, und Prof. Dr. Joachim Wirth, Inhaber des Lehrstuhls für Lehr-Lernforschung der Ruhr-Universität, koordiniert. Ziel von „Citizen Science: investigation of Drinking-water of and by the public”, wie der vollständige Projektname lautet, war die Analyse ausgewählter chemischer Parameter des Trinkwassers, die auf den letzten Metern bis zum Wasserhahn gegebenenfalls Veränderungen unterliegen können. Hierbei war die Zusammenarbeit mit Bochumer Bürgerinnen und Bürgern, sowie kommunalen und regionalen Projektpartnern von großer Bedeutung. In gemeinsamen Veranstaltungen wurden Forschungsmethoden erprobt und Ergebnisse diskutiert. Auf der einen Seite bekamen so Forschende wichtige Daten, auf der anderen Seite bekamen Bürgerinnen und Bürger einen Einblick in die Wissenschaft und ihr Trinkwasser. Das Projekt lief von Frühjahr 2021 bis Ende 2024 und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 600.000 Euro gefördert.

QUBO-Innovationsaward der Ruhr-Universität

Mit dem „QUBO – Innovationsaward der Ruhr-Universität Bochum“ prämiert das Rektorat besondere Leistungen von Einzelpersonen, Fakultäten, Lehrstühlen, Dezernaten, Abteilungen, Einrichtungen und studentischen Gruppierungen in den Bereichen Transfer und Entrepreneurship. Der Innovationsaward ist mit insgesamt 15.000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahren im Rahmen der akademischen Jahresfeier in den drei Kategorien Wissenstransfer, Technologietransfer und Entrepreneurship vergeben. 

Veröffentlicht

Mittwoch
15. Januar 2025
08:59 Uhr

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