Interview Chemie auf dem Fußballfeld
Im Labor beschäftigen sich Michael Senske und Patrick Balzerowski mit Molekülen. In der Freizeit mit Fußball. Beides hängt zusammen, wie auch der VfL Bochum erkannt hat.
Eigentlich erforschen Michael Senske und Patrick Balzerowski, wie Lösungsmittel und Biomoleküle interagieren. Die gleichen Methoden wenden die Doktoranden vom Exzellenzcluster Resolv an, um zu berechnen, wie wichtig ein einzelner Fußballspieler für seine Mannschaft ist.
Was macht Moleküle und Fußballspieler vergleichbar?
Patrick Balzerowski: In der Forschung wollen wir unter anderem verstehen, wie sich ein Molekül in der komplexen Umgebung Zelle verhält. Wir sind es gewohnt, mit großen Datenmengen umzugehen und daraus den Beitrag einer einzelnen Komponente herauszuschälen. Das ist genauso, als ob man mithilfe von 2.000 Ereignissen während eines Fußballspiels berechnen möchte, was der Spieler mit der Nummer sieben zur Mannschaftsleistung beiträgt.
Wie kamen Sie auf diese Idee?
Michael Senske: Ich bin ein großer Fan des VfL Bochum, bin Vereinsmitglied und lese alles, was um den VfL herum passiert. Im Sommer 2015 gab es ein Interview mit Sportvorstand Christian Hochstätter, der sagte, der VfL müsse bereit sein, neue Wege zu gehen und aus den verfügbaren Daten das Optimum herausholen. Bei einer Mitgliederversammlung habe ich nachgefragt, was in diesem Bereich bereits gemacht wird – und ich hatte den Eindruck, dass unsere Ideen für den Verein interessant sein könnten.
Unser Lehrstuhl ist sehr fußballverrückt.
Patrick Balzerowski
Heute kooperieren Sie mit dem VfL Bochum, um Ihre Ideen zu testen.
Balzerowski: Wir haben uns schon immer gefragt, wie man Daten besser auswerten könnte, um Spielergebnisse vorherzusagen. Unser Lehrstuhl ist sehr fußballverrückt. Auf einer Weihnachtsfeier haben wir dann beschlossen, einfach mal den VfL Bochum anzuschreiben.
Senske: Wir durften dann tatsächlich vor dem Vorstand und der Scouting-Abteilung unsere Ideen vorstellen. Der VfL Bochum stand dem sehr offen gegenüber. Seither kooperieren wir. Wir sind dem Verein sehr dankbar – ohne die Unterstützung hätten wir unsere Idee vielleicht nicht weiter mit so viel Elan verfolgt.
Hatten Sie denn schon Erkenntnisse über Ihren Lieblingsverein?
Senske: Wir haben für die vergangene Saison den Einfluss der Spieler auf die Mannschaftsleistung des VfL Bochum berechnet, und dabei stachen unter anderem Leute hervor, die mir als Fan gar nicht so aufgefallen waren.
Zum Beispiel?
Senske: Zum Beispiel Onur Bulut. In typischen Statistiken – meiste Dribblings oder meiste Tore – fiel er nicht besonders auf. Aber unsere Analyse ergab, dass, wenn er auf dem Platz stand, die Mannschaft besser abgeschnitten hat. Dieses Potenzial wurde dann ja auch erkannt. Inzwischen spielt er in der ersten Bundesliga beim SC Freiburg.
Balzerowski: Das haben wir auch bei anderen Vereinen und in anderen Ligen beobachtet. Wenn Spieler in unserer Analyse als besonders wertvoll aufgefallen sind, sind sie häufig in der nächsten Saison zu einem besseren Verein gewechselt. Wir sehen das als eine Art Validierung für unsere Methode.
Welchen Vorteil hätte denn ein Verein durch Ihre Datenanalyse?
Balzerowski: Wir wollen die Scouts bei der Suche nach Talenten unterstützen, auch wenn wir sie natürlich nicht ersetzen können oder wollen. Aber wir sind überzeugt, dass sich in den Daten tiefergehende Erkenntnisse verstecken, die einen Vorfilter für das Scouting bilden könnten. Die Scouts müssten nicht mehr Hunderte Stunden Videomaterial ansehen, um interessante Spieler zu entdecken. Sie könnten sich auf die Spieler konzentrieren, die in unserer Analyse positiv aufgefallen sind. Gerade Clubs, die nicht so finanzstark sind, müssen ihr Budget schließlich effizient einsetzen.
Nun soll eine marktreife Lösung aus Ihrer Idee werden.
Senske: Wir stellen einen Antrag im Ideenwettbewerb „Start-up-Hochschulausgründungen“. Unser RUB-Hochschulmentor Prof. Dr. Holger Dette, die Wirtschaftsentwicklung Bochum und das Bochumer Institut für Technologie unterstützen uns dabei. Auch von der Rubitec sind wir sehr gut beraten worden. Sollten wir in dem Wettbewerb erfolgreich sein, bekämen wir für 18 Monate eine Finanzierung, um unsere Geschäftsidee auszuarbeiten.
Wir bekommen jetzt Einblicke, die wir sonst nie gehabt hätten.
Michael Senske
Dann würden Sie die Chemie-Forschung verlassen. Würde das wehtun?
Senske: Schon. Als ausgebildete Chemiker würden wir normalerweise in die Industrie gehen oder eine Postdoktorandenstelle suchen. Jetzt verlassen wir unsere natürliche Umgebung. Als Fußballfan ist es aber toll, mal hinter die Kulissen der Vereine schauen zu dürfen. Wir bekommen jetzt Einblicke, die wir sonst nie gehabt hätten.
Balzerowski: Es tut weh, aber wir sehen es als eine Chance, die wir ergreifen müssen. Wir haben es nicht als Spieler in den Profibereich geschafft, aber vielleicht können wir den Vereinen jetzt auf andere Weise helfen.