Beray Macit forscht zu Angststörungen an der Ruhr-Universität Bochum.
© RUB, Marquard

Erdbeben „Das ist schwer auszuhalten“

Vom Umgang mit der eigenen Ohnmacht und psychotherapeutischen Unterstützungsangeboten für Menschen in den Erdbebengebieten, erzählt Beray Macit im Gespräch.

Beray Macit pflegt enge Beziehungen in die Türkei. Die ausgebildete Verhaltenstherapeutin promoviert an der Ruhr-Universität zur Expositionstherapie. Als Angstforscherin und Psychotherapeutin weiß sie um die langfristige psychische Belastung solcher traumatischen Ereignisse und kennt Hilfsangebote – auch für Menschen hier vor Ort.

Beray Macit, wie erleben Sie die Situation gerade persönlich?
Das Ganze ist eine Tragödie. Ich kann es nicht in Worte fassen, bin sprachlos. Das schmerzt im Herzen. Ich habe Glück, dass es meinen Kontakten in der Türkei gut geht. Ein Freund von mir hat seine ganze Sippe verloren. Ich schäme mich schon fast dafür, auf Nachfrage zu sagen, dass es meinen Verwandten gut geht. Denn den Verwandten von anderen geht es nicht gut, sie sind verstorben oder nicht auffindbar.

Außerdem merke ich, wie ich die ganze Zeit abgelenkt und unkonzentriert bin. Und immer wieder neue Bilder und Videos aus den Gebieten anschaue. Von dem Baby, das noch nach über 100 Stunden lebend geborgen wurde – ein kleines Wunder! Oder von Kindern, die dabei helfen, Hilfsgüter abzuladen und zu verteilen – das bricht mir das Herz.

Ich fühle mich hilflos und ohnmächtig.

Das Erdbeben ist jetzt schon eine Woche her. Leider habe ich keine große Hoffnung, dass man noch viele Überlebende finden wird. Ich rechne fast damit, dass am Ende eine Million Menschen tot geborgen werden – viele davon nicht identifizierbar. Die Menschen werden dann nur mit Zahlen und ohne Namen bestattet. Das ist schwer auszuhalten.

Ich versuche Abstand zu den Bildern und Videos zu bekommen, aber es gelingt mir nicht. Ich fühle mich hilflos und ohnmächtig. Und ich bin nicht die Einzige, die sich gerade so fühlt. Es gibt einen starken Zusammenhalt zwischen allen Türkinnen und Türken hier. Dennoch vermissen wir die Anteilnahme in der Gesellschaft – ganz unabhängig davon, ob wir noch Verwandte und Bekannte in den Gebieten haben, oder nicht. Wir fühlen uns mit unserer Trauer alleingelassen und ohnmächtig.

Was können wir gegen die Ohnmacht tun, wie können wir helfen?
Das Wichtigste: Geld spenden! Zum Beispiel an Ahbap, eine sehr aktive, vertrauenswürdige NGO in der Türkei. Die Leute sind obdachlos, Städte und Schulen müssen aufgebaut werden. Das wird auch langfristig Spenden brauchen. Aber auch psychotherapeutische Angebote.

Natürlich geht es erst um die primären Bedürfnisse – Essen, Trinken, ein sicheres Dach über dem Kopf. Erst dann kann – wenn überhaupt – der Selbstheilungsprozess beginnen. Traumatherapie macht man nicht unmittelbar nach so einem Ereignis. Und nicht jeder Mensch entwickelt nach so einem traumatischen Erlebnis eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Viele schaffen es, die Geschehnisse selbst zu verarbeiten und zeigen keine Symptome.

Andere können einfach nicht mehr schlafen. Wieder andere entwickeln Depressionen oder Angststörungen, zum Beispiel eine Panikstörung – das ist individuell unterschiedlich. Und so individuell werden auch Hilfsangebote benötigt. Es ist wichtig, direkt und indirekt betroffenen Menschen zu signalisieren, dass sie nicht allein sind und man da ist, wenn sie darüber reden wollen – ohne sie dazu zu drängen.

Meine Idee ist es, von hier aus Therapieangebote online in Form von Gruppentherapien zu organisieren und anzubieten.

Gibt es bereits Überlegungen, wie man diesen Menschen von hier aus helfen kann?
Meine Idee ist es, von hier aus Therapieangebote online in Form von Gruppentherapien zu organisieren und anzubieten. Dazu werde ich noch Mitstreiterinnen und Mitstreiter benötigen. Voraussetzung dafür ist, dass eine primäre stabile Versorgung der Erdbebenopfer geschaffen wurde, und dass es vor Ort einen Internetzugang gibt. Das wird alles noch etwas Zeit brauchen.

Und wir dürfen nicht vergessen, dass hier in Deutschland viele Menschen Verwandte und Freunde in den Krisengebieten haben, von denen sie nichts hören oder die sie vielleicht sogar verloren haben. Der Krisendienst des ZPT bietet ihnen schnell verfügbare erste Unterstützung an. In diesen Krisensitzungen geht es darum, Symptome zügig abklären zu lassen, Behandlungsoptionen zu prüfen und eine erste Stabilisierung zu erzielen.

Kontakt

Therapeutinnnen und Therapeuten, die Beray Macits Vorhaben gern unterstützen wollen, melden sich per E-Mail.

Tipps fürs sichere Spenden


Ärzte ohne Grenzen? Rotes Kreuz? Einrichtungen vor Ort? Die Auswahl an Hilfsorganisationen ist groß. „Doch wo landet mein Geld wirklich? Und wie viel meiner Spende kommt tatsächlich bei den Hilfsbedürftigen an?“, mag sich mancher Mensch fragen, bevor er spendet. Rat weiß das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI). Es prüft karitative Organisationen auf die Verwendung ihrer Spendengelder. Spendenempfänger, die das DZI für besonders förderungswürdig hält, erhalten das DZI-Spendensiegel. Eine Liste dieser mit Siegel ausgezeichneten Organisationen findet man hier.

Wer es noch genauer wissen möchte, nutzt die Spendenberatung des DZI. Diese gilt als anerkannte Prüfinstanz, die unabhängig und kompetent das Geschäftsgebaren von Hilfsorganisationen bewertet. Mit ihren Empfehlungen gibt das DZI potenziellen Spendern und Öffentlichkeit Sicherheit, mit ihrer Kritik warnt sie vor Missständen und schwarzen Schafen.

Speziell für das Erdbeben in der Türkei und in Syrien hat das DZI eine Liste mit Namen, Adressen und Kontonummern von Organisationen zusammengestellt, die zu Spenden zugunsten der vom Erdbeben betroffenen Menschen aufrufen. Die genannten Organisationen tragen das DZI-Spenden-Siegel als Zeichen besonderer Förderungswürdigkeit. Diese Liste findet man hier.

Veröffentlicht

Freitag
17. Februar 2023
11:09 Uhr

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