Serie Die neue Gründerzeit

Globale Verantwortung Handfeste Kooperation statt Petition

Ein Start-up bringt erneuerbare Energien nach Peru. Unterstützt wird es von der WORDLFACTORY und einem außergewöhnlichen Partner: der IG Metall Berlin.

Was passiert, wenn ein gemeinnütziges Start-up und die größte Gewerkschaft Deutschlands gemeinsame Sache machen? Eine ganze Menge – denn es geht um nicht weniger als den Schutz des Klimas und die Stärkung von Kleinbauern weltweit. Das Social Energy Network entwickelt und implementiert Lösungen für die Energie- und Wasserversorgung in ländlichen Regionen, unter anderem in Peru. Mit an Bord: die IG Metall. Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin, unterstützt das Projekt von Enrico Wiesner, Mitgründer und ebenfalls IG-Metall-Mitglied. So schaffte es die Idee von Berlin nach Peru und nach Bochum in die Gründungsberatung der Ruhr-Universität. Im Interview sprechen beide über das große Potenzial ihrer auf den ersten Blick ungewöhnlich wirkenden Partnerschaft.

Herr Wiesner, welche Idee steckt hinter dem Social Energy Network?
Enrico Wiesner: Wir bieten technische Lösungen für ländliche Gebiete an, die völlig autark funktionieren. Unser Motto lautet: Überall auf der Welt, wo die Sonne scheint und wo es Grundwasser gibt, können wir die Landwirtschaft nachhaltiger gestalten. Hierfür arbeiten wir eng mit Kooperativen zusammen. 

Wie ist die Idee entstanden?
Enrico Wiesner: Angefangen hat alles mit einem gedruckten Zeitungsartikel, in dem für ein Seminar beim Vorstand der IG Metall geworben wurde. Von 2021 bis 2023 sollten gemeinsame Projekte mit Liegenschaften im Ausland – Schwerpunkt war Lateinamerika – aufgezogen werden. Ziel war es, die internationale Selbstwirksamkeit von Arbeitnehmenden erfahrbar zu machen.

Am nächsten Tag ist unser Facebook-Account explodiert.

— Enrico Wiesner

Der lateinamerikanische Regenwald gilt als Lunge der Welt und genau diesen wollte ich mit meinem Projekt schützen. In meinem Job bei Siemens Energy spielen erneuerbare Energien eine zentrale Rolle, und ich wollte diese verbreiten, nicht nur für den Klimaschutz, sondern – im Kontext meiner Tätigkeit bei der IG Metall – auch um Arbeitnehmende weltweit als Gegengewicht zum Kapital zu stärken. 2023 haben wir dann unsere erste Solarpumpe gespendet. Wir haben Geld organisiert, die Pumpe in ein Flugzeug nach Peru gepackt und sie vor Ort installiert. Dabei hat uns ein regionaler Politiker fotografiert. Am nächsten Tag ist dann unser Facebook-Account explodiert. Wir hatten über 300 Anfragen von Farmern. 

Wie hat es Ihre Idee nach Bochum in die Gründungsberatung der WORLDFACTORY geschafft?
Enrico Wiesner: Wieder in Deutschland haben wir eine Veranstaltung mit lateinamerikanischen Teilenehmenden zur Gewerkschaftsarbeit in Europa besucht. Die Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IGM hatte das Event im RUB-Makerspace organisiert. Ich bin mit einer Gründungsberaterin von der WORLDFACTORY ins Gespräch gekommen und habe sie gefragt: Was kann ich tun, wenn 300 Menschen meine Solarpumpe haben wollen? Im Proof-It-Förderprogramm konnten wir unsere ersten Fördergelder, insgesamt 12.000 Euro, gewinnen und kleine Entwicklungsprojekte starten sowie die Gründung eines gemeinnützigen Start-ups vorbereiten. 

Vor einem Jahr haben Sie Ihr Gründungsprojekt erfolgreich als Verein angemeldet. Warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?
Enrico Wiesner: Bei Social Energy Network engagieren sich viele Kolleg*innen von Siemens Energy, eine Person aus Peru und Freunde von mir. Keiner von uns hatte vor, seinen Job zu kündigen und eine Firma aufzuziehen, sondern wollte schrittweise dieses Projekt vorantreiben. Der Verein ist nur eine Zwischenstufe. Im nächsten Schritt möchten wir ein gemeinnütziges Unternehmen gründen. Für die Gemeinnützigkeit haben wir uns entschieden, weil wir keine Gewinne verfolgen und weil wir dadurch mehrere Hürden in der Förderung auf einmal nehmen konnten. Es gibt weitere Vorteile, wie eine geringe bis keine Steuerlast und keine Einfuhrzölle.

Und wie wurde Ihre Start-up-Idee bei der IG Metall aufgenommen?
Enrico Wiesner: Mit unserem Gründungsprojekt sind wir bei der IG Metall offene Türen eingelaufen. Fragen wie – wie demokratisieren wir die Wirtschaft, was produzieren wir eigentlich und warum? – sind bei der IG Metall keineswegs neu.

Enricos Projekt ist für mich der Inbegriff von internationalem, solidarischem Handeln.

— Jan Otto

Herr Otto, ist die Begleitung junger Start-ups ein spannendes Thema für Gewerkschaften? 
Jan Otto: Es ist schwierig zu entscheiden, wann ein Gründungsvorhaben so sozial ist, dass es zur IG Metall passt. Nicht jedes Start-up ist ökologisch und sozial engagiert. Enricos Projekt ist für mich der Inbegriff von internationalem, solidarischem Handeln. Genau solche Projekte sind spannend für die Zukunft. Die IG Metall ist im Dachverband IndustriALL mit etwa 50 Millionen Menschen weltweit organisiert. Außerdem bauen wir gerade den ehemaligen Arbeitskreis Internationalismus neu auf, indem wir uns genau diese Frage stellen: Wie können wir internationale Solidarität greifbar machen? Mir ist es wichtig, nicht nur über etwas befinden. Ich möchte, dass etwas passiert. Enricos Projekt hat mehr greifbare Konsequenzen als viele unserer Arbeitskreise.

Wie können Gewerkschaften ökologische und soziale Gründungsvorhaben unterstützen?
Jan Otto: Wir unterstützen durch Öffentlichkeitsarbeit, aber auch durch unsere gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Schulungsmaßnahmen, bei denen Berührungspunkte zu neuen Themen entstehen. Enricos Reise nach Peru haben wir zudem finanziell gefördert. Die IG Metall besitzt zudem den größten Anteil an Dachverbänden wie dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Das ist auch eine Form der Förderung, weil dieses Netzwerk davon lebt, dass man die Leute zusammenbringt. Was wir als Gewerkschaft nicht machen, ist eine Start-up-Förderung im Sinne von „hier sind 50.000 Euro“. Unsere Beitragseinnahmen setzen wir für andere solidarische Angebote für unsere Mitglieder ein, darunter Rechtsberatung, Versicherung, und Seminare, oder aber im Fall der Fälle auch für das Streikgeld

Die Kleinbauern wollen hören, dass wir in Gewerkschaften organisiert sind, dass wir in Gemeinschaften und nachhaltig denken.

— Enrico Wiesner

Enrico Wiesner: Die größte Unterstützung ist wirklich das Netzwerk. Die IndustriALL hat beispielsweise Kontakt zu den Kooperativen in Lateinamerika. Als der Bürgermeister in Kimbiri, Peru, die Absichtserklärung über drei neue Projekte unterzeichnet hat, war er von unserem Hintergrund beeindruckter als von dem Preis unserer Pumpe. Peru ist das Land mit dem größten Anteil an Kleinbauern. Das sind Leute, die ihre zehn Hektar Land noch selbst bewirtschaften und in Kooperativen zusammengeschlossen sind. Die wollen hören, dass wir in Gewerkschaften organisiert sind, dass wir in Gemeinschaften und nachhaltig denken und nicht in kurzfristigen Gewinnabsichten.

Herr Wiesner, haben Sie erlebt, wie andere Start-ups auf die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften blicken? 
Enrico Wiesner: Bei Proof-It habe ich bemerkt, dass die meisten Gründungsteams bei der WORLDFACTORY eine ganz andere Perspektive haben als wir. Vielen Start-ups ist es wichtig, möglichst schnell viel Geld zu verdienen. Wir haben einen betrieblichen Hintergrund und verfolgen andere Ziele. Außerdem habe ich viele starke Einzelkämpfer kennengelernt, die ein enormes Wissen haben, denen aber das richtige Team fehlte. Während einer Diskussion haben die anderen Teams einmal die Sorge geäußert, dass Gewerkschaften oder Betriebsräte ihnen in das Gründungsvorhaben reinreden könnten. Bei einem Start-up mit fünf oder zehn Leuten ist das vielleicht noch „Kindergarten“, aber wenn das Start-up dann mal 1.000 Leute beschäftigt und Konflikte entstehen, sind Betriebsrat, Vertrauensleute, Gewerkschaften und Sozialpartnerschaften enorm hilfreich. Nichtsdestotrotz habe ich die Start-up-Szene als sehr solidarisch erlebt. Ein Gründer hat uns beispielsweise unentgeltlich geholfen, eine Kostenaufstellung zu machen, weil uns selbst die Kompetenzen gefehlt haben. 

Herr Wiesner, welche gewerkschaftlichen Themen bleiben in Ihrem zukünftigen Unternehmen relevant?
Enrico Wiesner: Vor allem die Themen Vernetzung, Solidarität, Selbstermächtigung und Schulung sind unsere Kerngedanken. Gleichheitsthemen sind auch wichtig. Wenn wir bei einer Kooperative mit nur Männern sind, fragen wir nach: Warum gibt es keine weiblichen Repräsentantinnen bei euch? So möchten wir nicht nur rein gewerkschaftliche, sondern allgemein positive Werte vertreten. Es wird aber wahrscheinlich nicht so weit kommen, dass wir Mitglieder organisieren, die die Machtfrage stellen.

In einer globalisierten Welt ist unsere Aufgabe als Land und damit auch als IG Metall größer, als nur hier vor-Ort-Lösungen anzugehen.

— Jan Otto

Wie schätzen Sie beide das Potenzial solcher Zusammenarbeit ein? Sehen Sie noch Handlungsbedarf seitens der IG Metall?
Jan Otto: Der Ansatz der IG Metall ist, Impulse zu geben und Empowerment zu ermöglichen. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr solcher Projekte wie das Social Energy Network. Mein kurzfristiges Ziel ist es, Enricos Projekt zu stabilisieren und zu skalieren. Wir suchen gerade nach einer Möglichkeit, wie wir als Organisation unterstützen können. Es ist klar, dass wir keine 20 Millionen Euro in die Hand nehmen können, aber vielleicht kann die IG Metall Berlin Fördermitglied des Vereins werden. Außerdem können wir dafür zu sorgen, dass Enricos Projekt bekannter wird. In Berlin kann sich kaum einer vorstellen, dass woanders auf der Welt Leute kein Essen kriegen, weil das Wasser nicht sauber ist. Das eine ist, so etwas ohne dramatische Bilder zu erzählen, bei denen die Menschen sonst in den Abwehrmodus gehen. Andererseits gilt es zu zeigen, dass wir etwas verändern können. In einer globalisierten Welt ist unsere Aufgabe als Land und damit auch als IG Metall größer, als nur hier vor-Ort-Lösungen anzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass wir hier nochmal ganz anders mit IG Metall-Mitgliedern in die Diskussion kommen.

Enrico Wiesner: Dieses positive Feedback gibt mir natürlich auch immer wieder Kraft. Es macht Spaß, darüber zu sprechen. Es gibt in der Gewerkschaft den Spruch „Tue Gutes und rede drüber“. Und für mich ist es die Möglichkeit, über das Gute, das ich tue, auch in der Gewerkschaft zu sprechen.
 

50 Jahre RUB/IGM

Die Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGMetall zeigt seit fast 50 Jahren, dass Gewerkschaften und Wissenschaft erfolgreich kooperieren können. I, Rahmen der WORDFACTORY betreut die Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM Start-ups zu Themen wie „gute Arbeit“ und „Demokratie am Arbeitsplatz“. Darüber hinaus besteht ein Forschungsinteresse an Partizipationsmustern in Start-ups und der innovativen Zusammenarbeit zwischen Start-ups und Gewerkschaften.

Zu den Personen

Enrico Wiesner hat eine Ausbildung zum Industriemechaniker bei Siemens gemacht und arbeitet mittlerweile in einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt für stationäre Batteriespeicher. Schon früh ist er Betriebsratsmitglied und Jugend- und Auszubildendenvertreter geworden.

Jan Otto ist seit über zehn Jahren aus Überzeugung Erster Bevollmächtigter der IG Metall und das seit 2020 in seiner Heimatstadt Berlin. Davor war er in Ostsachsen, in der Region Bautzen und Görlitz, tätig. Als Geschäftsführer und Kassierer bei der IG Metall Berlin liegt die politische Verantwortung für die Stadt Berlin bei der IG Metall abschließend bei ihm. Vor seiner Zeit bei der IG Metall war er bei der Eisenbahngewerkschaft und hat dort den Bereich für die nicht bundeseigenen Eisenbahn, sprich alles, was nicht die Deutsche Bahn ist, organisiert. Von dort ist Otto in die freie Wirtschaft gewechselt und hat bei Veolia Verkehr, der Eisenbahnsparte des Unternehmens Veolia, seinen eigenen Betriebsrat gewählt und deren eigenen Tarifvertrag „erstreikt“. 

Veröffentlicht

Montag
28. April 2025
09:03 Uhr

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