Klaus Gerwert, Sprecher der Protein Research Unit Ruhr within Europe
© Roberto Schirdewahn

Im Gespräch „Die Proteindiagnostik birgt große Vorteile“

Krankheiten wie Alzheimer und Krebs früher diagnostizieren zu können ist das Ziel von Klaus Gerwert. Erreichen will er es mithilfe der Proteindiagnostik. Der erste große Schritt ist getan.

Im Jahr 2010 entstand in Bochum das Europäische Konsortium PURE, mit ganzem Namen Protein Research Unit Ruhr within Europe. Prof. Dr. Klaus Gerwert, Leiter des Lehrstuhls Biophysik, ist Sprecher von PURE. Er hat das große Ziel vor Augen, neue Diagnosetechniken zur Früherkennung von Krankheiten in die Klinik zu bringen. Mit der Genehmigung des Forschungsbaus „Prodi“ ist er seinem Ziel in diesem Jahr ein großes Stück näher gekommen.

Krankheiten beginnen mit Veränderungen von Proteinen

Seit 2010 treiben Sie in Bochum die Proteindiagnostik voran. Was können uns Eiweißmoleküle über die Gesundheit verraten?
Krankheiten beginnen mit Veränderungen von Proteinen. Anhand von Proteinveränderungen kann man sie sehr früh erkennen. Und je früher man eine lebensbedrohende Erkrankung wie Krebs erkennt, umso besser sind die Heilungschancen und umso geringer sind die Nebenwirkungen.

Wenn es um Medizin geht, sprechen heute viele über Gene. Sie sprechen hingegen meistens über Proteine. Warum?
Die Gendiagnostik wird weltweit vorangetrieben, und natürlich interessieren auch wir uns für Genveränderungen. An ihnen kann man allerdings nur erkennen, ob jemand ein Risiko für bestimmte Erkrankungen hat. Proteine hingegen sind die Funktionsträger in der Zelle. Sie zeigen einem nicht nur das Risiko an, sondern das, was tatsächlich eingetreten ist, ob jemand also tatsächlich erkrankt ist.

Die Sequenzierung von Genen ist inzwischen eine weitverbreitete Technik. Wie aber kann man den Proteinstatus eines Menschen bestimmen?
Wir setzen dazu zwei Techniken ein. Beim biophotonischen Ansatz nutzen wir vibrationsspektroskopische Methoden. Dabei schauen wir mit Lichtstrahlen auf Zellen und Gewebe und können in diesen sehr schnell, automatisiert und markerfrei Veränderungen der Proteine analysieren.

Ergänzend dazu nutzen wir die Proteomanalyse; mithilfe der Massenspektrometrie vergleichen wir die Summe aller Proteine in gesundem und krankhaftem Gewebe und schauen, welche Proteinnetzwerke im krankhaften Zustand verändert sind. Dadurch finden wir heraus, welche Signalwege in den kranken Zellen verändert sind.

Das ist eine wichtige Information für den behandelnden Arzt, damit er mit Medikamenten gezielter eingreifen kann. Die Ergebnisse beider Technologien analysieren wir mit der Bioinformatik.

Das geplante Zentrum für molekulare Proteindiagnostik, kurz Prodi
© Carpus und Partner

Wer kann von der neuen Technik profitieren?
Wir arbeiten an der Verbesserung der Krebsdiagnostik für die zielgerichtete Therapie in der personalisierten Medizin. Zudem wollen wir aber auch neurodegenerative Krankheiten früher erkennen, bevor klinische Symptome beobachtet werden. Der Vorteil von PURE besteht darin, dass wir jetzt schon eng mit den Klinikern zusammenarbeiten. Wenn wir etwas im Labor entwickeln, richten wir uns also nach dem Bedarf der Mediziner.

Wie viele Jahre müssen wir warten, bis die Proteindiagnostik zum klinischen Alltag gehört?
Als Erstes wird vermutlich ein biophotonischer Immuno-Sensor für die Alzheimerdiagnostik kommen, für den wir kürzlich den Erfinderpreis der Ruhr-Universität bekommen haben. Der Sensor ist zum Patent angemeldet; nun wollen wir ihn zusammen mit Firmen in die klinische Anwendung bringen. In vier bis fünf Jahren könnten erste Prototypen stehen.

Die Chirurgen sind begeistert von den Möglichkeiten.

Wir werden die neuen Diagnostikmethoden zuerst innerhalb der an PURE beteiligten Kliniken einsetzten. Ein weiteres großes Zukunftsfeld sind markerfreie biophotonische Methoden in der Endoskopie vor Ort am Patienten, mit denen man zum Beispiel bei einer Darmspiegelung direkt untersuchen kann, ob auffälliges Gewebe krankhaft verändert ist oder nicht. Es ist schwer abzuschätzen, wann diese eingesetzt wird. Die Chirurgen, mit denen wir arbeiten, sind begeistert von den Möglichkeiten.

Im Juni dieses Jahres haben der Wissenschaftsrat und die Gemeinsame wissenschaftliche Kommission der Länder Ihren Antrag für den Bau eines neuen Zentrums für Molekulare Proteindiagnostik in Bochum genehmigt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von der Bewilligung erfahren haben?
Tolle Perspektive! Ich war hoch erfreut! Wir haben das Konzept vor sechs Jahren initiiert, sind in den letzten vier Jahren hervorragend von Land und Rektorat der RUB unterstützt worden und nun wurden wir in einem bundesweiten, hoch kompetitiven Wettbewerb von außen anerkannt. Der Wissenschaftsrat hat bestätigt, dass wir ein sehr wichtiges biomedizinisches Projekt für den Wissenschaftsstandort Deutschland bearbeiten.

Sie arbeiten bereits jetzt eng mit Klinikern zusammen. Wie kann der Forschungsbau Prodi den wissenschaftlichen Alltag noch besser machen?
Ich glaube, es wird ganz wichtig sein, dass wir gemeinsam, insbesondere mit den Klinikern unter einem Dach arbeiten. Dass unsere Methoden funktionieren, haben wir bereits in entsprechenden Veröffentlichungen gezeigt. Nun müssen wir mit den Ärzten den Transfer in die Klinik schaffen. Der Forschungsbau Prodi wird natürlich auch eine höhere Sichtbarkeit unseres Projekts und des Standortes erzeugen.

Wir benötigen ein solches Konsortium und die Sichtbarkeit, um überhaupt eine Chance zu haben, an die wirklich großen Fördertöpfe zu kommen.

Das Gebäude soll 4309 Quadratmeter Platz auf vier Stockwerken bieten – ein umfangreiches Bauprojekt. Für wann planen Sie die Einzugsparty?
Wir haben schon sehr detaillierte Pläne gemeinsam mit einem renommierten Architekturbüro und dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb erstellt. Für unsere vier Einheiten brauchen wir vier Stockwerke: ein Studienzentrum, das Gewebeproben unter standardisierten Bedingungen sammelt und eine Biobank aufbaut, außerdem Biophotonik, Proteomik und Bioinformatik.

Wir wissen virtuell, wo jede Steckdose sitzt.

Im Prinzip wissen wir virtuell, wo jede Steckdose sitzt. Daher sind wir optimistisch, dass wir den Zeitplan einhalten und 2017/2018 einziehen können.

Mit der Bewilligung von Prodi ist für Sie vermutlich ein Forschertraum in Erfüllung gegangen. Was ist Ihr nächstes großes Ziel?
Der große Traum ist, dass wir unsere Konzepte in die Realität übertragen. Wenn Prodi tatsächlich läuft und wir die ersten Anwendungen in der Klinik haben, dann ist er in Erfüllung gegangen. Jetzt ist erst ein Zwischenziel erreicht.

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Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 3. November 2014 in Rubin 2/2014 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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