Militärputsch in Burundi Forschung im Ausnahmezustand
Eigentlich ist Forscherin Bettina Haasen 2015 nach Burundi gereist, um die Rolle von Journalisten im Kontext der Wahlen zu erforschen. Dann geriet sie mitten in einen Konflikt.
Eigentlich war Bettina Haasen 2015 nach Burundi gereist, um die Rolle von Journalisten im Kontext der umstrittenen Kommunal- und Parlamentswahlen zu erforschen. Als klar wurde, dass sich Burundis Staatschef Pierre Nkurunziza für eine dritte Amtszeit bewerben durfte, brachen im April 2015 heftige Proteste in dem Land aus. Hunderte von Menschen kosteten sie das Leben.
Die abermalige Kandidatur widersprach dem Friedensabkommen aus dem Jahr 2000 und der Verfassung, die eigentlich nur zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten eines Präsidenten erlaubte. Ein umstrittenes Verfassungsgericht billigte die erneute Kandidatur dennoch.
Erst Wochen nach meiner Rückkehr aus Burundi habe ich realisiert, wie extrem die Situation gewesen ist.
Dass die für den 29. Juni 2015 angesetzte Wahl nicht reibungslos ablaufen würde, war abzusehen. Doch im Mai, kurz vor der geplanten Abreise von Forscherin Bettina Haasen nach Burundi, verschärfte sich die Lage zusehends.
„Der Gedanke, erst einmal abzuwarten und später nach Burundi zu fahren, kam mir aber nicht in den Sinn. Dafür hatte ich zu lange auf diesen Moment hingearbeitet“, sagt die RUB-Doktorandin der „School of International and Intercultural Communication”. „Ich habe auch erst Wochen nach meiner Rückkehr aus Burundi realisiert, wie extrem die Situation gewesen ist“.
Haasen hatte beobachten wollen, wie Journalistinnen und Journalisten in Burundi in politischen Konflikten arbeiten. „Ich hatte mich vor meiner Abreise natürlich umfassend über die Lage informiert und meine Forschung mit Absicht auf diese hochpolitische und sehr sensible Zeitperiode ausgerichtet. Eigentlich ging ich davon aus, dass den privaten, unabhängigen Medien nichts passieren könne, dass sie aber eine entscheidende Rolle während des politischen Transformationsprozesses spielen würden.“
Angst machte sich breit.
Diese privaten Medien waren es, die am 13. Mai, drei Tage nach ihrer Ankunft, den Militärputsch von General Niyombare verkündeten. Er behauptete, er habe den Präsidenten abgesetzt. „Ich hatte eigentlich Freude auf Seiten der eher oppositionsnahen Journalisten erwartet“, erzählt Haasen. „Aber stattdessen machte sich Angst breit. Man befürchtete Gewalt von regierungstreuen Jugendmilizen.“ Und so kam es auch.
Massenflucht nach Ruanda
Der Militärputsch scheiterte, und noch in der Nacht vom 14. Mai wurden fünf private Radiostationen zerstört, zwei davon komplett niedergebrannt. Auch der Sender Isanganiro, bei dem Bettina Haasen den ersten Tag ihrer Feldforschung verbracht hatte, war betroffen.
Die Journalistinnen und Journalisten der privaten Sender wurden mit den Putschisten in Verbindung gebracht und bedroht. Eine Massenflucht ins benachbarte Ruanda war die Folge. Einige gründeten dort den neuen Internet-Radiosender Inzamba, viele sind seither arbeitslos.
„Ich musste mein Forschungsdesign komplett überdenken und an die neue politische Lage und Sicherheitslage anpassen“, berichtet die Bochumer Doktorandin. Teilnehmende Beobachtungen in den Redaktionen, Interviews und Fokusgruppen hatte sie ursprünglich geplant. Nun wollten die Journalisten aus Angst vor Gewalt nicht mehr aus dem Haus gehen.
Schock und Verzweiflung
„Wir haben uns an sicheren Orten verabredet, die täglich wechselten, zum Beispiel im Supermarkt, in westlichen Cafés, Restaurants mit Hinterausgang oder auch mal in meiner Unterkunft“, so Bettina Haasen. Anders als geplant hatten die Interviews nur noch wenig mit der Wahl zu tun. Viele Gesprächspartner hatten Schlimmes erlebt. Oft war die Deutsche mit Verzweiflung und Schock konfrontiert.
Ich selbst habe versucht, so gut wie möglich nicht aufzufallen.
Ihre Verabredungen traf sie gezielt so, dass Zusammenstöße mit Demonstrationen unwahrscheinlich waren. Haasen: „Informationen aus den sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder WhatsApp bekamen einen zentralen, fast existenziellen Wert, da es keine unabhängige Berichterstattung mehr gab. Ich selbst habe versucht, so gut wie möglich nicht aufzufallen. Die meisten Europäer waren in der Zwischenzeit evakuiert worden.“
Trotz der Umstände interviewte die Wissenschaftlerin 35 Journalistinnen und Journalisten von fünf Radiosendern. Hinzu kamen Experteninterviews mit Politikern sowie Akteuren der Zivilgesellschaft und Medienentwicklungsorganisationen. Dabei kam der Forscherin auch die Erfahrung aus ihrer früheren Tätigkeit als Dokumentar-Filmemacherin zugute.
Ziel der Doktorarbeit war es ursprünglich gewesen, eine westlich geprägte Theorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu im afrikanischen Kontext zu überprüfen. Nach knapp sechs Wochen Feldforschung in Burundi und Ruanda muss Bettina Haasen sich nun fragen, ob sich das Konzept überhaupt noch auf diesen Ausnahmezustand anwenden lässt – eine unerwartete Wendung. Sie arbeitet derzeit ihre umfangreichen Tagebücher aus der Feldforschung auf.
Zum ersten Mal konnte man in Burundi einen kollektiven zivilen Ungehorsam beobachten.
Einen positiven Aspekt sieht sie bereits: „Trotz der Drohungen und politischen Einschüchterungsversuche, konnte man zum ersten Mal einen kollektiven zivilen Ungehorsam in Burundi beobachten. Ein Aufstehen für die Demokratie und die Friedensverträge aus Arusha. Menschen gingen auf die Straße und protestierten.
Egal ob sie der Bevölkerungsgruppe der Hutu oder Tutsi angehörten, die in der Vergangenheit immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen ausgetragen hatten. „Sie ließen sich nicht instrumentalisieren und demonstrierten für mehr politische Teilhabe und Zukunftsperspektiven. Journalistinnen und Journalisten haben dieser Bewegung Gehör verschafft und versucht, ihren Beitrag für Frieden und eine Zukunft im Land zu leisten.“