Elektrotechnik Verständliche Sprache trotz lauter Umgebung

Hörgeräte sollen Sprache verständlich übertragen – auch wenn es in der Umgebung laut wird. Bochumer Wissenschaftlerinnen haben neue Erkenntnisse, die die Entwicklung von besseren Geräten unterstützen können.

„Ja, ich kann dich hören“, brüllt so mancher in sein Handy, wenn am anderen Ende der Leitung eine vorbeifahrende Kehrmaschine die Gesprächssituation stört. Das Mikrofon überträgt eben nicht nur die relevanten Geräusche, also die Sprache, sondern auch andere Geräusche aus der Umgebung. Ähnlich funktionieren Hörgeräte. Befindet sich ein Hörgeräteträger in einem voll besetzten Restaurant, überträgt die Hörhilfe nicht nur die Sprache des Gegenübers, sondern auch die Stimmen der anderen Besucher und das Tellerklappern.

Bestimmte Algorithmen in den Hörgeräten sollen Sprache verständlicher machen, indem sie störende Umgebungsgeräusche herausfiltern. Das bedeutet allerdings eine große Herausforderung für Forscher und Industrieentwickler. Schließlich darf die Qualität der übertragenen Sprache nicht leiden, wenn Störgeräusche herausgefiltert werden.

Entwicklungsphasen von Hörgeräten vereinfachen

Prof. Dr. Dorothea Kolossa und Mahdie Karbasi von der RUB-Arbeitsgruppe Kognitive Signalverarbeitung haben sich im Projekt „Improved Communication through Applied Hearing Research“, kurz auch „I can hear“ genannt, mit der Vorhersage von Sprachverständlichkeit beschäftigt. Ihre Ergebnisse könnten helfen, den Entwicklungsprozess für Hörgeräte zu vereinfachen. „Wenn wir wissen, wie gut oder schlecht Menschen in verschiedenen Situationen Sprache verstehen, können wir Hörgeräte optimieren“, so Kolossa.

Prof. Dr. Dorothea Kolossa leitet die Arbeitsgruppe Kognitive Signalverarbeitung. © Roberto Schirdewahn

Neue Algorithmen müssen zunächst aufwendige Testreihen mit Probanden durchlaufen, bevor sie in Hörgeräten angewendet werden. Wie gut filtert der Algorithmus Störgeräusche, und bleibt die Qualität der Sprache dabei erhalten? Egal ob ein hallender Raum oder laute Umgebungsgeräusche – die Algorithmen sollen es ermöglichen, dass die zukünftigen Hörgeräte Sprache stets verständlich übertragen. 

Mit den Ergebnissen der Bochumer Wissenschaftlerinnen könnten sich die aufwendigen Tests der Algorithmen verkürzen. Der von Kolossa und Karbasi entwickelte Algorithmus kann schätzen, wie gut ein Mensch Sprache verstehen kann, und zwar abhängig von seinen Wahrnehmungsschwellen. Diese Technik liefert also viele Informationen, die sonst in aufwendigen Hörtests ermittelt werden müssen. „Es ist illusorisch, dass man auf Hörtests in Zukunft verzichten kann. Aber die Produktentwicklungsphase könnte kürzer werden“, sagt Kolossa. Ziel der Wissenschaftlerinnen ist es, die Differenz zwischen Vorhersage und Hörtestergebnissen möglichst gering zu halten. Je kleiner ein Unterschied, desto besser die Vorhersage und der entsprechend entwickelte Algorithmus.

Probanden bewerteten Audiodateien

Bisher haben die RUB-Forscherinnen Tests mit Normalhörenden durchgeführt, um Sprachverständlichkeit vorherzusagen. Dafür ließen sie 849 Teilnehmer und Teilnehmerinnen über eine Internetplattform Audiodateien bewerten.

Jeder hörte etwa 50 einfach strukturierte Sätze. In einem Drop-down-Menü wählten die Probanden aus, welche Wörter sie an welcher Stelle im Satz verstanden hatten. Dabei wurden ihnen Sätze vorgespielt, die unterschiedlich starke oder keine Störgeräusche enthielten. Mit ihrem selbst entwickelten Algorithmus sagten die Forscherinnen voraus, wie viel Prozent des Satzes die Probanden verstehen würden. Diesen automatisch geschätzten Wert verglichen sie mit den Ergebnissen aus den Versuchen. Ihr Algorithmus schätzte die Sprachverständlichkeit realistischer ein als eine Standardmethode.

Üblicherweise testen Wissenschaftler die Sprachverständlichkeit mit der STOI-Methode (short time objective speech intelligibility measure) oder mit anderen referenzbasierten Methoden. Anders als das Verfahren von Kolossa und Karbasi erfordern diese ein sauberes Originalsignal, also eine Tonspur, die ohne Störgeräusche aufgenommen wird.

Mahdie Karbasi beschäftigt sich damit, wie Sprachverständlichkeit vorhergesagt werden kann. © Roberto Schirdewahn

Im Alltag gibt es allerdings nur selten Gespräche ohne Störgeräusche. Irgendetwas in der Umgebung hört man fast immer: die rauschende Heizung, das Regenprasseln am Fenster oder Motorengeräusche.

Und die Methode hat einen zweiten Haken: Sie schätzt die Sprachverständlichkeit basierend auf dem Unterschied zwischen Originalton und gefiltertem Ton. Angenommen der Text der Originaldatei würde von einer Sprachsoftware wie Siri vorgelesen werden: Die helle Computerstimme wäre nach heutigem Stand der Technik sehr wahrscheinlich gut zu verstehen. Würde man hier aber eine Originaldatei mit männlicher Stimmlage zum Vergleich heranziehen, würde nach der STOI-Methode die von der Sprachsoftware gesprochene Datei als schwer verständlich bewertet werden. Der Grund wären die unterschiedlichen Stimmlagen und nicht die Qualität der Verständlichkeit.

Zum Projekt

Prof. Dr. Rainer Martin von der RUB-Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik leitete das EU-geförderte Projekt „Improved Communication through Applied Hearing Research“. Dabei arbeiteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der RUB in einem internationalen Team mit Forschern aus Großbritannien, der Schweiz, Dänemark und Belgien zusammen. Das Hauptziel war es, Hörgeräte und Cochlea-Implantate zu optimieren, damit sie auch in besonders geräuschvollen Umgebungen gut für die Träger funktionieren. Partner aus der Industrie waren Hörgerätehersteller Sivantos und Cochlea-Implantate-Produzent Cochlear. Das Projekt lief bis Dezember 2016.

Deshalb haben die Bochumerinnen auf eine Originaldatei verzichtet. „Das Besondere an unserem Test war, dass wir keine saubere Audiodatei zum Vergleich genutzt haben, sondern nur die gestörte Datei selbst“, erklärt Kolossa. Mit diesem Ansatz war die Vorhersage genauer als mit der STOI-Methode. Ein weiterer Vorteil: „Unser Modell bietet auch die Möglichkeit, in weiteren Tests die Hörschädigung direkt bei der Verständlichkeitsvorhersage mit zu berücksichtigen.“

Um genau diesen Anwendungsbereich zu untersuchen, testet Karbasi die Methode nun auch in einem Projekt mit Hörgeschädigten. Im besten Fall resultieren daraus Ansätze, Hörgeräte so zu optimieren, dass sie automatisch erkennen, in welcher Situation sich der Träger befindet. Wenn er oder sie von einer stillen Straßenszenerie in eine Kneipe geht, soll das Hörgerät automatisch erkennen, dass mehr Geräusche vorhanden sind. Entsprechend würde es die störenden Töne herausfiltern, möglichst ohne die Sprachsignalqualität zu beeinflussen. Ziel der Forscherinnen ist es, Algorithmen zu entwickeln, die abhängig von der individuellen Wahrnehmungsschwelle oder der Art der Hörschädigung die Sprachverständlichkeit schätzen und optimieren können.

Weniger Tellerklappern, kein zu lautes Gespräch vom Nachbartisch. Das Hörgerät würde zu einem intelligenten Hilfsmittel werden und Sprache für Hörgeschädigte in jeder Situation verständlicher machen.

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Unveröffentlicht

Von

Katharina Gregor

Dieser Artikel ist am 2. Mai 2017 in Rubin 1/2017 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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