China Reformationen in anderen Religionen
Mit Martin Luther verbindet Licia Di Giacinto gar nicht so viel. Dafür kennt sie sich bestens mit dem chinesischen Luther aus.
Was verbinden Sie mit Martin Luther?
Um ehrlich zu sein, nicht viel. Ich bin in Italien aufgewachsen, und dort ist Martin Luther sehr exotisch. Zum ersten Mal bin ich Luther in der Schule begegnet – und zwar im Geschichtsunterricht, als es um das Thema Reformation und Religionskriege ging. Faszinierend finde ich das Jahr der Reformation und wie viele Ausstellungen und Events der Person gewidmet sind. Religionsgeschichtlich gesehen ist Martin Luther selbst ein Produkt seiner Zeit und der historischen Umstände. Ob er mit dem Rummel einverstanden gewesen wäre, der um seine Person heute gemacht wird?
Was war Ihrer Meinung nach die bedeutendste Folge der Reformation, die unsere Gesellschaft heute noch prägt?
Für mich als Sinologin ist das Reformationskonzept auf der theoretischen Ebene interessant: Gab es Reformationen zum Beispiel auch in den Religionen Chinas? Tatsächlich wurde der chinesische Konfuzianer Kang Youwei (1858–1927) von seinem Schüler Liang Qichao (1878–1929) als „Martin Luther Chinas“ bezeichnet.
Kang Youwei ist bekannt für seinen Versuch, den Konfuzianismus, und vor allem das chinesische Staatswesen, zu reformieren. Dabei präsentiert er Konfuzius in seinem Werk selbst als Reformer und nicht als Traditionalisten. Es wäre spannend, diese Art von Reformen in der Religionsgeschichte zwischen Ost und West weiter zu untersuchen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszufinden.
Was glauben Sie, wie sich die christliche Kirche in Zukunft verändern wird?
Wir merken, dass das Christentum immer globaler und dabei auch international vielfältiger wird. Die relativ liberalen Christen in Europa stehen deshalb mehr und mehr unter Druck. Mit Blick auf Ostasien lässt sich sagen: Das Christentum wird in China noch mehr wachsen. Inwieweit dieses Wachstum mit politischen Spannungen einhergehen wird, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Aber sicher ist: Die vielen christlichen Gläubigen außerhalb Europas werden einen Effekt sowohl auf die römisch-katholische Kirche als auch auf die vielen protestantischen Kirchen haben. Sie werden neue Schwerpunkte im Glauben setzen.