Theologie Hinabgestiegen in das Reich des Todes
Was sagt die Bibel über die Unterwelt? Wer kommt rein? Und wie kommt man wieder raus?
Im Rubin-Dialog treffen Prof. Dr. Thomas Söding, Katholisch-Theologische Fakultät, und Prof. Dr. Reinhard von Bendemann, Evangelisch-Theologische Fakultät, aufeinander. Sie verraten, welche Antworten die Bibel auf die Frage nach einem Leben nach dem Tod gibt – und was sie offen lässt.
Was sind eigentlich Himmel und Hölle?
Reinhard von Bendemann: Hölle ist kein biblischer Begriff, er leitet sich von Höhle ab. Im antiken Judentum ging man davon aus, dass die Seelen der Gerechten und Frevler bis zum Ende der Weltzeit in Höhlen gesammelt werden. Über uns vermuten wir gemeinhin den Himmel. Es gibt aber auch Texte, in denen die Unterwelt oben ist, weil sie eine Hemmbarriere auf dem Weg zu Gott darstellt. Generell geht es bei Himmel und Hölle nicht um fest definierte Aufenthaltsräume, sondern um die Frage nach einem heilvollen Ende. Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen einem glücklichen oder unglücklichen Ausgang nach dem individuellen Lebensende und nach einem eschatologischen Ende, also dem Ende der Weltzeit. Das kann ganz verschieden gestaltet sein.
Thoma Söding: Die Bibel ist generell sehr zurückhaltend beim Ausmalen von himmlischen Freuden. Ein Jenseits-Schlaraffenland kennt sie nicht; ein typisches Himmelssymbol ist ein festliches Mahl. Genauso beschreibt die Bibel auch keine Höllenreisen im Detail. Es gibt wenige farbige Bilder wie die Sintflut oder die Feuersbrunst. Im Alten Testament gibt es noch die Vorstellung der Scheol, die mit dem griechischen Hades vergleichbar ist: ein Schattenreich, ein Ort des Vergessens, in dem die Toten sozusagen Untote sind. Im Neuen Testament wird – wie im frühen Judentum – die Gehenna, wahrscheinlich bezogen auf ein Tal des Todes bei Jerusalem, zum Bild für die Hölle, in der Sünder von Gott den quälenden Folgen ihres eigenen Unrechts ausgeliefert werden. Himmel und Hölle sind aber moderne Interpretationskonzepte, die zum größten Teil nicht in der Bibel selbst abgelesen werden können, sondern ihr übergestülpt werden. Bei der Deutung der Bibel wollen wir Theologen diese Unterschiede klarmachen.
Von Bendemann: Die Gehenna ist übrigens kein biblisches Konzept, sie wird aus altorientalischen Vorstellungen übernommen. Es gibt viele Metaphern für die Hölle: Orte wie die Wüste oder Gräber, in denen Dämonen hausen. Wenn wir die Bildersprache dechiffrieren, müssen wir uns bewusst sein, dass man eine Geschichte nicht in dogmatische Aussagen umbrechen kann. Eine Geschichte steht für sich.
Bloß weil das Weltbild veraltet ist, sind nicht auch die Botschaften veraltet.
Thomas Söding
Söding: Man muss auch im Hinterkopf haben, dass die Bibel das Weltbild der Antike teilt, das von dem der Moderne grundlegend verschieden ist. Wir sagen aber: Bloß weil das Weltbild veraltet ist, sind nicht auch die Botschaften veraltet.
Wer kommt in den Himmel, wer landet in der Unterwelt?
Söding: Es gibt keine Gebrauchsanweisung, wie man in den Himmel kommt und wie man sich auf die Unterwelt vorbereiten soll. Es kommt nicht nur auf das eigene Tun an. Das Neue Testament sagt: Am Ende der Zeit gibt es Hoffnung auf das Reich Gottes. Das Alte Testament ist über weite Strecken wesentlich zurückhaltender, was die Auferstehungshoffnung angeht. Im Neuen Testament ist klar, dass Gott kein Totengott ist, sondern ein Gott, der Leben schafft. Es bleibt die Frage: Wie kommt man in Kontakt mit Gott? Dafür steht der Begriff des Glaubens.
Im Christentum ist das durch die Aufklärung gegangen.
Reinhard von Bendemann
Von Bendemann: Auch im Alten Testament, das ja die Bibel der ersten Christen war und die Bibel des Judentums ist, ist Gott ein Gott der Lebenden. Aber erst an den Rändern des Alten Testaments bekommen wir die Vorstellung, dass es am Ende der Zeit ein Beurteilungsgericht mit doppeltem Ausgang gibt – gut oder schlecht. Daneben entsteht im Judentum die Vorstellung, dass Gott einzelne Gerechte direkt nach ihrem gewaltsamen Lebensende zu sich in eine Lebensperspektive holen kann. Das sind Aspekte, die es auch im Islam gibt. Am 11. September sind die Attentäter mit der Vorstellung in die Twin Towers geflogen, für Allah zu sterben und direkt bei Gott eine Lebensperspektive sicher zu haben. Dieses Konzept des direkten Himmelszugangs gibt es auch im Neuen Testament – allerdings nicht durch Gewalt gegen andere. Nur ist das im Christentum durch die Aufklärung durchgegangen.
von Bendemann: Die Schriften des Neuen Testaments sind überwiegend für kleinere Gruppen entstanden. Wenn Paulus im ersten Thessalonikerbrief schreibt „Heiden sind die, die keine Hoffnung haben“, klingt das so, als wären die Heiden am Ende der Zeit nicht im Himmel. Aber er schreibt das nicht an die ganze Welt, sondern an eine relativ jung gegründete Missionsgemeinde, die er stärken will. Das müssen wir bedenken, wenn wir das im 21. Jahrhundert reflektieren.
Söding: Ich würde den ersten Thessalonikerbrief etwas anders lesen. Wenn Paulus sagt, dass die Heiden keine Hoffnung auf die Auferstehung von den Toten haben, heißt das nicht, dass sie in der Hölle schmoren würden. Sondern dass sie die Hoffnung nicht haben können, die man haben kann, wenn man an Jesus Christus glaubt. Die katholische Kirche hat das Neue Testament allerdings lange Zeit anders gelesen, als man es heute tut. Sie war der Überzeugung, wer nicht glaubt, könne nicht gerettet werden.
Was ist die Hölle: Läuterungsort oder ewige Verdammnis?
Söding: Wenn ich das wüsste! Wenn ich es naiv ausdrücken darf: Ich kann Gott doch keine Vorschriften machen. Es kann keinen Heilsautomatismus geben. Joseph Ratzinger hat mal gesagt: Es besteht die moralische Pflicht zu hoffen, dass alle Menschen gerettet werden. Mehr als das, kann ich nicht tun.
In der christlichen Theologie ist die Frage, ob am Ende alle im Himmel sein können, sehr umstritten.
Reinhard von Bendemann
Von Bendemann: Die Frage ist immer: Können am Ende alle im Himmel sein? Im Judentum wäre immer klar: Die, die sich an die Tora, also die hebräische Bibel, halten, gehören zu den Gerechten und werden am Lebensende dafür belohnt. Es gibt die Vorstellung, dass ein auf Erden gestörtes Gleichgewicht der Gerechtigkeit am Ende des Lebens oder am Ende der Zeit wieder in die Balance gebracht wird. In der christlichen Theologie ist die Frage, ob am Ende alle im Himmel sein können, sehr umstritten.
Söding: Im Grunde muss man sich theoretisch fragen: Wenn alle in den Himmel kommen, auch die Schurken, geht dann nicht das ganze Schlamassel wieder von vorne los? Muss es im Himmel nicht eine qualitative Steigerung geben? Das gehört dann aber schon in den Bereich der Dogmatik.
Man sollte nicht denken, dass die bad guys aussortiert werden und die good guys in den Himmel kommen.
Thomas Söding
Von Bendemann: In der protestantischen Theologie hat Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher gesagt: Gottes Liebeswillen und unsere Abhängigkeit von Gott sind so ausgeprägt, dass man sich nicht vorstellen kann, dass am Ende noch jemand in der Hölle ist. Er hat auch gesagt: Denen im Himmel würde es nicht gutgehen, wenn sie unten noch Leute leiden sehen würden. Aber wenn man es zuspitzt: Was wird aus all den Schurken in der Weltgeschichte? Möchte man am Ende irgendwo mit denen zusammensitzen? Und wollen überhaupt alle in den christlich formatierten Himmel? Die Allerlösungslehre geht davon aus, dass am Ende ein Transformationsschritt passieren muss, damit wir himmelskompatibel werden. Und wie das geht, wissen wir nicht. Das Neue Testament spricht gern mit dem griechischen Begriff Mysterion.
Söding: Es gibt dafür auch klare, harte Bilder: das Jüngste Gericht, in dem zwischen Gut und Böse unterschieden wird. Allerdings sollte man nicht denken, dass die bad guys dabei aussortiert werden und die good guys in den Himmel kommen. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse kann ein dramatischer Prozess in einem selbst sein. Man muss auch immer bedenken, dass jede Übeltat, so schlimm sie auch gewesen sein mag, zeitlich begrenzt ist; sie kann nicht unbegrenzt bestraft werden. Über lange Zeit gab es auch die sehr populäre Vorstellung vom Fegefeuer als Läuterungsort.
Wir würden das heute Schwarze Pädagogik nennen.
Reinhard von Bendemann
Von Bendemann: Das Jüngste Gericht wurde teils sehr finster dargestellt, wir würden das heute Schwarze Pädagogik nennen. Das hat jahrhundertelang meinungsbildend gewirkt, auch zur Einschüchterung von Gläubigen geführt. Die Reformatoren haben die antike beziehungsweise mittelalterliche Lehre vom Reinigungsort, die Fegefeuerlehre, kritisiert. Nach der Reformation kam das aber alles wieder, zum Teil viel finsterer als im Mittelalter. Erst mit der Aufklärung hat man das im Protestantismus ausgemistet.
Was bedeutet es, dass Christus hinabgestiegen ist in das Reich des Todes?
Von Bendemann: Diese Passage aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis lässt sich aus keinem neutestamentlichen Text herleiten. Die Vorstellung vom Hades-Aufenthalt Christi verdankt sich anderen mythologischen und philosophischen Vorgaben. Eine spannende Erzählung findet sich hierzu in den Apokryphen im Nikodemusevangelium: Satan und Hades streiten darum, ob sie Jesus in die Unterwelt aufnehmen sollen. Sie fürchten nämlich, dass er alle Toten auferwecken könne und Hades quasi arbeitslos werden würde – so geschieht es dann in der Geschichte auch. Die Zeile „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ bildet letztendlich nichts neutestamentlich Zentrales ab, sofern es das Weltbild als solches betrifft.
Bitte nicht zu viel wissen wollen über die Unterwelt, aus der noch keiner zurückgekommen ist.
Thomas Söding
Söding: Es geht um die Frage, wie weit reicht der Arm Gottes? Gibt es einen Kontakt Gottes zu den Toten? Das kann man ja nicht wissen. Es gibt die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten am Ende aller Tage. Undeutlich bleibt das Bild von einem messianischen Zwischenreich, in dem die Toten nach dem irdischen Exitus bis zur Auferstehung am Ende aller Zeiten leben sollen. Grundsätzlich treten wir Theologen hier gern etwas auf die Bremse: Bitte nicht zu viel wissen wollen über die Unterwelt, aus der noch keiner zurückgekommen ist.