Psychiatrie Zwangsmaßnahmen: Zwischen Sicherheit und Wohlergehen
Wann darf ein Patient gegen seinen Willen fixiert werden? Dieses neue Forschungsprojekt will Klarheit schaffen.
Die Anwendung von Zwang in der Behandlung von psychisch erkrankten Menschen wird nicht nur in der Psychiatrie-Fachwelt, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Eine aktuell gestartete und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 2,1 Millionen Euro geförderte Forschungsgruppe namens Salus soll mit Handlungsempfehlungen für Klarheit sorgen.
Gemeinsam werden sich die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin des LWL-Universitätsklinikums Bochum des Landschaftverbandes Westfalen-Lippe (LWL) sowie das Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der RUB in den nächsten sechs Jahren mit den bislang wenig erforschten ethischen Konflikten zwischen Selbstbestimmung, gesundheitlichem Wohl und Sicherheit in der klinischen Praxis auseinandersetzen.
Jeder hat ein Grundrecht auf Freiheit
Im Sommer 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Fixierung eines Psychiatrie-Patienten nur noch mit richterlicher Anordnung möglich sei. Sie verstoße gegen das Grundrecht auf Freiheit der Person nach Artikel 104 des Grundgesetzes. Freiheitsentzug sei demnach nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine ethische Frage. Das Bochumer Salus-Projekt untersucht nun, ob und wann Zwang in der Psychiatrie moralisch gerechtfertigt ist.
Präventiv handeln
„Es geht uns darum, das gesundheitliche Wohl der Betroffenen und die Sicherheit Dritter stärker in die Argumente für und gegen Zwang einzubeziehen“, erklärt Dr. Jakov Gather, der die Forschungsgruppe leitet. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, Handreichungen zu bieten, die helfen, freiheitsentziehende Maßnahmen zu reduzieren. Dazu könne zum Beispiel gehören, dass Klinikbeschäftigte an Deeskalationstrainings teilnehmen und die Patienten noch intensiver betreut werden.
Interdisziplinärer Ansatz
Das Forschungsprojekt arbeitet interdisziplinär. In die Untersuchungen fließt Wissen aus Medizinethik, Philosophie, Psychiatrie, Rechtswissenschaften und Psychologie ein, um unter anderem zu analysieren, inwiefern sich gesetzliche Veränderungen für das Selbstbestimmungsrecht auf das gesundheitliche Wohl von Betroffenen und auf die Sicherheit Dritter auswirken. Auch werden die Einstellungen von Professionellen, Patienten und Bevölkerung zu Zwang in der Psychiatrie untersucht und die Bedingungen bestimmt, unter denen Zwangseinweisungen, -maßnahmen und -behandlungen moralisch gerechtfertigt sind.