Goodbye paper: A software from Bochum enables people to create Augmented Reality manuals without any prior knowledge in that field.
© Roberto Schirdewahn

Digital Engineering Augmented Reality aus dem Baukasten

Mit einer neuen Bochumer Software können Papieranleitungen leicht in Augmented-Reality-Anwendungen übersetzt werden. Vorwissen braucht es dazu nicht.

Spätestens seit dem Hype um das Handyspiel Pokémon Go ist Augmented Reality (AR) vielen Menschen ein Begriff. AR-Anwendungen erweitern die Realität, wenn diese durch eine Kamera, zum Beispiel auf dem Handydisplay betrachtet wird. Auf dem Kamerabild werden zusätzliche digitale Informationen angezeigt, die in der realen Welt nicht sichtbar sind. Das ist nicht nur eine Spielerei wie im Fall von Pokémon Go, sondern könnte in bestimmten Bereichen den Alltag deutlich erleichtern. Zum Beispiel im Maschinenbau. Dicke Papieranleitungen zur Wartung oder Reparatur komplexer Anlagen würden dann der Vergangenheit angehören.

Unser Ziel ist es, Augmented Reality einfach nutzbar zu machen.


Mario Wolf

Allerdings können derzeit nur Experten die naturgemäß komplexen AR-Applikationen erstellen. „Unser Ziel ist es, Augmented Reality einfach nutzbar zu machen“, sagt Dr. Mario Wolf vom Lehrstuhl für Digital Engineering der RUB. Gemeinsam mit Jan Luca Siewert hat er ein Tool entwickelt, mit dem Anwender ohne Vorwissen ihre eigenen Augmented-Reality-Apps erzeugen können. Die Vorarbeiten dafür leistete Siewert bereits in seiner Masterarbeit: „Im Maschinenbau-Studium müssen Studierende komplexe Anlagen bedienen, wofür sie ein dickes Skript in die Hand bekommen“, erzählt er. „Oft stehen sie dann vor den Anlagen und wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Wir wollten den Versuchsleitern ein Werkzeug an die Hand geben, um Papieranleitungen in AR-Anleitungen zu übersetzen, die Schritt für Schritt erklären, was zu tun ist.“

Instruktionen per Tablet anbringen

Um diese digitalen Anleitungen zu erstellen, müssen die Dozenten nichts über AR, Bildverarbeitung oder Ähnliches wissen. Sie bauen die Anleitung nach dem Baukastenprinzip mithilfe eines PCs und eines Tablets zusammen. „Man kann beispielsweise an einer bestimmten Stelle der Anlage einen Pfeil anbringen und an einer anderen Stelle ein Warnsymbol, um zu zeigen, dass es dort heiß ist, und so weiter“, erzählt Jan Luca Siewert.

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Die Augmented-Reality-Anleitung entsteht dabei in zwei einfachen Schritten: Mit einer Web-Anwendung wird zunächst die Vorarbeit geleistet. Der Versuchsleiter übersetzt die Papieranleitung Schritt für Schritt in digitale Instruktionen, wobei die Software verschiedene Icons und Textfelder anbietet sowie die Möglichkeit, Fotos oder PDF-Dokumente hochzuladen. Anschließend kann der Versuchsleiter mit einem Tablet im Kameramodus zur Anlage gehen, und durch Antippen auf dem Kamerabild angeben, wo welche Instruktion positioniert werden soll.

Statt einer dicken Papieranleitung bekommen die Studierenden dann ein Tablet in die Hand. Schauen sie die Anlage im Kameramodus an, wird ihnen automatisch digital angezeigt, was in welcher Reihenfolge an welcher Stelle zu tun ist. Eine solche Anwendung ist jedoch nicht nur für die Lehre nützlich, sondern überall dort, wo umständliche Papieranleitungen zum Bedienen komplexer Geräte vonnöten sind.

Tablet orientiert sich von alleine

Die Orientierung im Raum erledigt das Tablet im gesamten Prozess selbst. Der Anwender muss nur zu Beginn einen Nullpunkt definieren. Dafür druckt er einen Bildmarker auf einem DIN-A4-Blatt aus und klebt ihn in die Nähe der Anlage. Diesen Marker erkennt die Software automatisch als Nullpunkt, sobald die Kamera darauf gerichtet wird. Anschließend kann sich der Anwender frei im Raum bewegen, um seine AR-Anleitung zu erstellen. Über die im Tablet verbauten Bewegungssensoren weiß das Programm stets von allein, wo es sich im Raum befindet – selbst, wenn der Bildmarker für die Kamera nicht mehr sichtbar ist. Zusätzlich werden die Bildverarbeitungsalgorithmen herangezogen, die markante Punkte in der Umgebung erkennen, um sich zu orientieren.

Problematisch wird es lediglich, wenn sehr wenig Licht im Raum ist oder spiegelnde Oberflächen starke Reflexionen erzeugen. Auch große einfarbige Flächen stören die Orientierung, weil die Algorithmen dann keine markanten Punkte zur Orientierung im Bild finden. „Unter realen Bedingungen klappt die Positionierung von Informationen mit unserer Software derzeit auf wenige Zentimeter genau“, sagt Mario Wolf. „Das ist für unsere Zwecke ausreichend.“

Basierend auf bestehenden Algorithmen

Die App haben Jan Luca Siewert und Mario Wolf basierend auf einem Software Development Kit für AR-Anwendungen aufgebaut. Diese Software-Pakete liefern Algorithmen und Methoden, um Dinge in der Realität zu identifizieren und zu verankern, also zum Beispiel für die Orientierung im Raum oder die Bilderkennung.

Mario Wolf (links) und Jan Luca Siewert vom Lehrstuhl Digital Engineering haben die Software entwickelt.
© Roberto Schirdewahn

Aktuell läuft die Software der Bochumer Forscher auf dem I-Pad von Apple. Bilderkennungsalgorithmen und Orientierungsfunktionen seien bei diesem Produkt am besten, sagen sie. „Ein Nachteil ist, dass wir die App nicht so einfach verteilen können. Interessierte Anwender müssen im Moment bei uns vorbeikommen, damit wir das Programm per Kabel auf ihr Gerät aufspielen können“, erklärt Mario Wolf. Für eine einfachere Verteilung müsste die Anwendung vom Apple-App-Store akzeptiert werden – doch aktuell ist sie noch im Entwicklungsstadium.

Studie zur Nutzerfreundlichkeit

Das Team vom Lehrstuhl Digital Engineering, zusammen mit dem Lehrstuhl Materials Discovery and Interfaces von Prof. Dr. Alfred Ludwig, plant im nächsten Schritt eine Studie zur Nutzerfreundlichkeit, um herauszufinden, was den Anwendern noch fehlt, und die Software so weiter optimieren zu können. Studierende des Maschinenbaus und aus anderen Fakultäten werden bei dem Test mitmachen. Aktuell ist die App bereits an verschiedenen Lehrstühlen an der RUB im Einsatz, die damit Anleitungen zum Bedienen komplizierter Forschungsgeräte erstellen. Das Ziel bleibt dabei weiterhin eine möglichst einfache Anwendung. „Der Trend im Augmented-Reality-Bereich geht gerade weg von komplizierten dreidimensionalen Animationen, die eigentlich nur Showeffekt sind und oft wenig Mehrwert liefern“, weiß Mario Wolf. Stattdessen müsse AR für die breite Masse nutzbar gemacht werden; die ersten Schritte dafür hat das Bochumer Team gemacht – und Interessenten aus der Industrie haben sich auch schon bei ihnen gemeldet.

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Veröffentlicht

Freitag
11. Oktober 2019
08:51 Uhr

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 4. November 2019 in Rubin 2/2019 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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