Anglistik Schönheit ist …

Körperideale in den Medien: von Diätkultur bis Body Positivity.

Schön sein, das Beste aus sich machen, sich sicher und wohl fühlen in seiner Haut wollen viele – aber warum eigentlich? Was ist schön? Diese Frage lässt sich gar nicht so leicht beantworten, denn Schönheit ist nichts Objektives. „In einer Region und einer Zeit, in der Menschen Hunger leiden, haben dünne Körper eine andere kulturelle Bedeutung als in Regionen und Zeiten des Überflusses“, sagt Prof. Dr. Heike Steinhoff vom Englischen Seminar der RUB und macht damit deutlich: Schönheitsideale sind kulturell und historisch bedingt, sind gesellschaftliche Normen, produzieren und reproduzieren gesellschaftliche Machtstrukturen.

Durch die sozialen Medien hat sich der Blick auf die Schönheit weiterentwickelt.


Heike Steinhoff

Anhand von Medien hat sie sich vor allem für den US-amerikanischen Raum, der die mediale Kultur der westlichen Industriestaaten stark prägt, diese Ideale angeschaut. „Wenn wir Reality-TV-Formate der 2000er-Jahre sehen, geht es häufig darum, den Körper zu optimieren“, fasst sie zusammen. Beispiele aus dem deutschen Fernsehen sind die Vorher-Nachher-Show, bei der es um ein neues Styling ging, diverse Formate rund um Schönheitsoperationen und Shows wie Germany’s Next Top Model. „Wir nennen das eine Makeover-Kultur, also eine Kultur, in der wir dazu angehalten sind, uns selbst und insbesondere unsere Körper wie ein Projekt zu betrachten, das es beständig zu optimieren gilt“, sagt die Amerikanistin. „Die Körper sollen idealerweise schlank, trainiert und fettfrei sein. Das dominante Körperideal ist zudem weiß und able-bodied, das heißt nicht behindert. Es ist dieses Ideal, das kulturell als gesund, normal, erfolgreich und erstrebenswert gilt.“

„Durch die sozialen Medien hat sich der Blick auf die Schönheit weiterentwickelt“, stellt Heike Steinhoff fest. Noch immer findet eine körperliche Selbstoptimierung statt, die sich unter anderem in der Nutzung und Verknüpfung von Fitnesstrackern und Hashtags wie Fitspiration ausdrückt. Es steht dabei nicht nur die Schönheit im Mittelpunkt, sondern auch die Gesundheit und Fitness. „Wir werden im Neoliberalismus zu aktiven Subjekten, die sich selbst überwachen und normieren, auch per App“, verdeutlicht Steinhoff.

Ideale des Mainstreams werden reproduziert

Ein Blick in die Jugendliteratur und Produkte des sogenannten aktuellen Qualitätsfernsehens zeigt, dass solche Diskurse auch Kritik erfahren. Hier wird der Körperkult ins Groteske verzerrt, mit Horrorelementen versetzt. In der amerikanischen TV-Serie „Nip/Tuck“ (2003 bis 2010) zum Beispiel, in dem die Praxis zweier Schönheitschirurgen im Mittelpunkt steht, werden die operativen Eingriffe hyperrealistisch gezeigt. „Das ist mitunter brutal. Es spielen darüber hinaus Charaktere unterschiedlicher Ethnizitäten, Trans-Personen und behinderte Menschen mit“, beschreibt Heike Steinhoff. „Auf der anderen Seite werden die Ideale des Mainstreams auch wieder reproduziert. Die beiden Chirurgen etwa entsprechen dem dominanten Männlichkeitsideal; sie sind weiße schlanke Männer der Oberschicht, einer der Hauptdarsteller entspricht zudem mit seinem trainierten Körper dem aktuellen männlichen Schönheitsideal. Darin zeigt sich die Ambivalenz des Ganzen.“

Heike Steinhoff is concerned with the view of the body. © Roberto Schirdewahn

Ein anderes Beispiel für eine kritische Auseinandersetzung mit den gängigen Schönheitsidealen ist die Science-Fiction-Romantrilogie „Uglies“ (2005 bis 2007) von Scott Westerfeld. Die Jugendbuchserie zeichnet eine Dystopie, in der sich jeder Mensch im Alter von 16 Jahren einem staatlich verordneten schönheitschirurgischen Eingriff unterziehen muss.

Ganz aktuell ist die TV-Serie „Dietland“ (2018) des amerikanischen Senders AMC, die in Deutschland über Amazon Prime gestreamt werden kann. Es ist eine mit Horror- und Thriller-Elementen besetzte feministische Satire der Beauty- und Modebranche, die eine dicke Protagonistin in den Mittelpunkt stellt.

Selbstliebe und Körperakzeptanz

Die positive Sichtbarmachung medial unsichtbarer und kulturell stigmatisierter Körper ist das Anliegen der Body-Positivity-Bewegung, die in den sozialen Medien begonnen hat. Sie distanziert sich von den üblichen Schönheitsidealen und plädiert für Selbstliebe und Körperakzeptanz. Aufrufe zum Posten von Selfies, die nicht dem dominanten Bild entsprechen, gibt es in vielen sozialen Netzwerken. Den Photoshop-Bildern der Werbeindustrie sollen Fotos von vermeintlich authentischen Körpern entgegengestellt werden – dicke Körper, behaarte Körper, Körper mit Cellulite –, um zu zeigen: Auch diese Körper sind schön. „Die Folge ist, dass Unternehmen auch diese Strömungen aufgreifen, und alles scheinbar diverser wird“, sagt Heike Steinhoff. War es anfangs nur die Firma Dove, die Models mit verschiedenen Körperformen, Hautfarben und Altersstufen für ihre Kampagnen buchte, machen das nun auch andere. „Die Kritik ist oft, dass das sehr oberflächlich sei, ein Marketing-Vehikel“, sagt die Amerikanistin. „Denn ein Plus-Size-Model wie Ashley Graham trägt offensichtlich nicht die in der Modewelt vorherrschende Size Zero, entspricht davon abgesehen aber dem gängigen Schönheitsideal. Trotzdem: Es ändert sich etwas, sonst würden die Konzerne solche Strömungen nicht aufgreifen.“

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass auch in diesen vermeintlich befreienden Narrativen die Aufforderung zur Selbstoptimierung im Sinne einer gesellschaftlichen Normierung nicht verschwindet. Vielmehr findet eine Verschiebung statt vom körperlichen zum mentalen Makeover. Das Credo lautet: Egal wie du aussiehst, du musst dich und deinen Körper nur lieben, egal was die anderen sagen. Emotional anrührende Kampagnen täuschen darüber hinweg, dass diese Sicht der Dinge strukturelle Ungleichheiten ausblendet, die gesellschaftliche Komponente des Ganzen ignoriert und die gesamte Verantwortung dem Individuum aufbürdet.

Es gibt eine lange Geschichte des weiblichen Körpers als kulturell defizitär codierten Körper.


Heike Steinhoff

Während sich viele Aktivitäten in der Body-Positivity-Bewegung im Posten von Selfies erschöpfen, gibt es auch Aktivistinnen, die versuchen, dem neoliberalen Selbstoptimierungsprojekt zu entgehen, und die die Gesellschaft verändern wollen. Begriffe wie Body Neutrality oder Body Acceptance sollen den Druck nehmen, sich jeden Tag und in allen Aspekten schön finden zu müssen oder sich primär über den Körper zu definieren. Vertreterinnen wie Sonya Renee Taylor sprechen von Radical Self-Love und verfolgen einen intersektional-feministischen Ansatz: Sie verknüpfen ihr Konzept der Selbstliebe mit feministischen, queeren, antirassistischen Bewegungen. Ihnen geht es darum, Hilfestellung zu geben, sich selbst anzunehmen und darüber hinaus ein Bewusstsein für soziale Ungleichheiten und Machtstrukturen zu schaffen. „Der Grundgedanke ist, dass Bewusstseinsbildung, Selbstliebe und damit auch die Akzeptanz anderer auf dieselbe Art langfristig die Gesellschaft verbessern werden“, so Steinhoff. Die Kritik der Aktivistinnen gilt nicht nur den Medien, sondern der patriarchalen Unterdrückung, deren Strukturen zentral durch die Medien und die dort verbreiteten Schönheitsideale (re)produziert werden.

„Es gibt eine lange Geschichte des weiblichen Körpers als kulturell defizitär codierten Körper, als einen pathologischen Körper, der diszipliniert und normiert werden muss“, so Heike Steinhoff. „Ebenso gibt es eine lange Tradition der Sexualisierung und Objektivierung des weiblichen Körpers in einer männlich-dominierten Welt.“ Die feministische Wissenschaftlerin Naomi Wolf hat in den 1990er-Jahren die These aufgestellt, dass die formale Benachteiligung der Frauen nach ihrem Wegfall ersetzt wurde durch das Schönheitsdiktat, dem Frauen unterworfen sind.

Dabei will Heike Steinhoff kein allzu düsteres Bild zeichnen: „Es ist nicht so, dass sich nichts ändert – das Bild von körperlicher Schönheit ist viel diverser geworden“, fasst sie zusammen. „Unsere Aufgabe als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist es, auch diese Entwicklungen kritisch zu hinterfragen und das aufzudecken, was man auf den ersten Blick nicht sieht.“

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Veröffentlicht

Freitag
27. März 2020
09:34 Uhr

Dieser Artikel ist am 4. Mai 2020 in Rubin 1/2020 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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