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Wie Yoga aus Schweden nach Indien kam
Das Verhältnis der Religion zum Körper erscheint vor allem aus der christlichen Warte ein wenig eng. Doch beschäftigen sich Religion und Theologie schon immer mit dem Körper. „Innerhalb der evangelischen Theologie bildet gerade der Umgang mit Schmerz einen gemeinsamen Forschungsschwerpunkt“, berichtet Prof. Dr. Claudia Jahnel, Professorin für Interkulturelle Theologie und Körperlichkeit an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der RUB. „Im Mittelalter hat man sich zum Beispiel vertieft in das Leiden Christi.“
Was ist der Mensch?
Heute rücken vor allem Fragen nach den Grenzen des Körpers in den Mittelpunkt, unter anderem bewegt durch das Phänomen des Transhumanismus, bei dem es darum geht, die Grenzen des Körpers immer weiter hinauszuschieben, etwa durch Prothesen, die direkt ans Gehirn Rückmeldung geben können. „Zur Frage der Körpergrenzen haben wir auch eine interdisziplinäre Forschungsgruppe gegründet. Wir wollen aus der Perspektive der verschiedenen Disziplinen untersuchen, was Menschen dazu motiviert, ihre Körpergrenzen zu überschreiten, etwa im Sport an ihre Leistungs- oder Schmerzgrenzen zu gehen, oder wie Momente religiöser Ekstase Bewusstsein und Körperwissen verändern. Das stellt auch die Frage neu: Was ist der Mensch?
Alle Welt glaubt, Yoga komme aus Indien. Das stimmt so aber gar nicht.
Claudia Jahnel lotet diese Fragen nach den Grenzen unter anderem am Beispiel des Yoga aus. „Wenige wissen, dass Yoga eine grenzüberschreitende Geschichte hat“, sagt sie. „Alle Welt glaubt, Yoga komme aus Indien. Das stimmt so aber gar nicht.“ Einen besonderen Einfluss auf Yoga hatte zum Beispiel indirekt der Schwede Pehr Henrik Ling, der sich der körperlichen Ertüchtigung verschrieben hatte und unter anderem in England an Einfluss gewann. Die englische Kolonialregierung brachte seine Übungen nach Indien, etwa die bekannte Haltung „Kerze.“ „Solche Übungen wurden mit verschiedenen Narrativen verbunden wie dem der Gesunderhaltung“, erklärt Claudia Jahnel. „Daneben gab und gibt es aber auch andere Narrative, wie das vom Loslassen oder geerdet Werden.“
Der Begriff Yoga stammt tatsächlich aus Indien, auf Hindu bedeutet er „Joch“. Zuerst kommt er in einem Sutra aus der Zeit 200 vor bis 400 nach Christus vor. Darin sind nur wenige Haltungsformen beschrieben, extreme Haltungen wurden von den Eliten abgelehnt. So hat etwa der berühmten Swami Vivekananda, der den Hinduismus und Yoga im Jahr 1893 mit einer Rede vor dem Weltparlament der Religionen über Nacht bekannt gemacht hat, das körperbezogene Hata-Yoga nicht goutiert. „Man fand, man brauche keine körperliche Ertüchtigung, sondern nur die Versenkung, das Atmen, das Pranayama“, so Jahnel.
„Monströse Übungen“ waren suspekt
Auch den Briten waren die „monströsen Übungen“ der Yogis, die sie in einem Atemzug mit Fakiren nannten, suspekt: Sie hängten sich mitunter an einen Baum, bis der Arm abfiel oder ließen sich tagelang lebendig begraben. Die Briten fanden das gefährlich und subversiv und degradierten die Yogis zur Jahrmarktsattraktion. Ersatzweise importierten sie schwedische, deutsche und englische Körperertüchtigungen, und mit der Zeit vermischte sich dies mit dem Yoga, das heute sehr vielgestaltig ist.
Yoga-Lehrer wie Sri Aurobindo brachten Körperübungen und spirituelle Aspekte zusammen und stärkten damit Körper und Geist im Widerstand gegen die britischen Kolonialherren. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen indische Yoga-Lehrer nach Europa. Als etwas Exotisches, Spirituelles erfuhr ihre Lehre dort eine große Akzeptanz. Die Autorität der Kirchen nahm gerade ab, der Körper wurde wieder wichtiger, man suchte eigene spirituelle Erfahrung.
„Das moderne Yoga ist also das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Indien und Europa“, fasst es Claudia Jahnel zusammen. Und dieser Prozess geht weiter: Vor rund zehn Jahren startete die Hindu-American Foundation die Aktion „Bring back Yoga“. Hintergrund war die Feststellung, dass sich Yoga komplett vom Hinduismus gelöst hatte, man denke an Trends wie Hot Yoga bei knapp 40 Grad Celsius oder Yoga auf Stand-up-paddling-Boards. Man kritisierte aber vor allem die Christianisierung des Yoga.
Es war und ist attraktiv, neu über den Körper nachzudenken und ihn zu spüren.
In den USA hatten fundamentalistische Christen das Yoga zunächst verteufelt. „Dann fanden viele – und längst nicht nur Evangelikale – die prinzipielle Idee aber gut und wollten Yoga an ihre eigenen Überzeugungen anpassen“, sagt Claudia Jahnel. „Man interpretiert zum Beispiel den Atem als den Heiligen Geist. Das Händefalten beim Namaste-Gruß als Verbeugung vor Gott. Die Umdeutungsmöglichkeiten sind gegeben. Und es war und ist attraktiv, neu über den Körper nachzudenken und ihn zu spüren.“ Immerhin zeichnet sich die religiöse Praxis in christlichen Kirchen im Westen oftmals durch eine Körperarmut aus.
Die Grenze zum Unverfügbaren
In ihrer eigenen Forschungsarbeit interessiert sich Jahnel für die politische Komponente dieses Aushandlungsprozesses: Wer hat die Deutungsmacht? Wie kann eigenes inneres Erleben in Verbindung gebracht werden mit dem äußeren geschichtlichen Prozess? „Seit etwa 20 Jahren gibt es Forschung zur Religionsästhetik, das heißt zur sinnlichen Wahrnehmung von Religion“, erklärt sie. Interviews mit vor allem weiblichen Yoga-Praktikerinnen haben ergeben, dass Yoga ihnen hilft, Distanz zu gewinnen zu äußerem Stress, sich innerlich zu wappnen und Widerstand zu leisten. „Hier verläuft offenbar eine Grenze zwischen innen und außen, es gibt etwas Unverfügbares“, erklärt Claudia Jahnel. „Leider ist diese Erfahrung der Forschung nicht direkt zugänglich. Neurowissenschaftliche Verfahren könnten helfen zu ergründen, was die Grundlagen sind, was im Gehirn passiert, ob es etwa eine messbare Entspannung gibt durch Yoga.“
Die Theologin, deren Forschungsschwerpunkt eigentlich auf Afrika liegt, konnte Yoga-Schulen unter anderem auch in Ghana ausfindig machen. 1946 hatten Söldner des britischen Militärs nach Erfahrungen im heutigen Myanmar es mitgebracht und ein Yoga-Zentrum gegründet. „Das sind spannende Verflechtungen“, so Jahnel. „Die Praxis unterscheidet sich zwar jeweils, aber es gibt auch vieles, das sie eint.“ Für viele ist Yoga Teil ihrer Religion, für andere nicht. Jeder definiert selbst, ob es dabei um Sport oder Spiritualität geht. Häufig will Yoga den Praktizierenden helfen, wieder zurückzufinden zu einem vermeintlich natürlichen Sein. „Aber eins steht fest: Egal ob man weiß, wo die Ursprünge liegen oder nicht, es wirkt“, sagt Claudia Jahnel.
9. April 2020
08.15 Uhr