Geowissenschaft Warum Fracking Erdbeben in Westkanada auslöst
Das Aufbrechen von Gestein mithilfe von Flüssigkeiten und hohem Druck löst regelmäßig Erdbeben aus. Die genauen Ursachen sind bislang wenig erforscht.
Dass die Erde in der kanadischen Provinz Britisch-Kolumbien bebt, ist keine Seltenheit. Aber das Ereignis im Sommer 2015 sorgte für Schlagzeilen. Eine Stärke von 4,6 erreichte das Beben, das nicht natürlichen Ursprungs, sondern von Menschen ausgelöst war. Mit Hydraulic Fracturing, kurz Fracking, werden in Westkanada die reichen Erdgas- und Erdölvorkommen zugänglich gemacht. Immer wieder löst diese Praxis kleinere Erdbeben aus. Das 2015er-Ereignis war laut damaligen Medienberichten das bis dahin stärkste durch Fracking induzierte Erdbeben weltweit. Mittlerweile hält das chinesische Sichuan-Becken mit einem Beben der Stärke 5,4 diesen unrühmlichen Rekord.
„Erdbeben mit einer Stärke größer 4 können Schäden an der nahe liegenden Infrastruktur auslösen“, weiß Prof. Dr. Rebecca Harrington, die die Gruppe Hydrogeomechanik am RUB-Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik leitet. „Die Toleranz für diese Beben in Britisch-Kolumbien ist verhältnismäßig hoch, weil dort viele Menschen leben, die in der Öl- und Gasindustrie arbeiten. Allerdings hat sie in den vergangenen Jahren abgenommen.“
Entstehung von Erdbeben grundsätzlich verstehen
Mit ihrem Team erforscht Harrington die Ursachen von Seismizität an verschiedenen Orten der Welt, unter anderem in Westkanada, zusammen mit Kooperationspartnern der McGill University in Montreal. Ihr Ziel ist es, grundsätzlich zu verstehen, wie Erdbeben im Untergrund entstehen und welche Rolle die vorliegenden geologischen Bedingungen für das Aufkommen seismischer Aktivität spielen. Dazu werten die Forscherinnen und Forscher Daten von natürlichen und von menschgemachten Erdbeben aus.
Der Fracking-Prozess ist für uns so etwas wie ein hochskalierter Laborversuch.
Rebecca Harrington
Eine von vielen Datenquellen sind Aufzeichnungen von Erdbeben, die durch Fracking in einem 50 mal 50 Kilometer großen Areal in Westkanada ausgelöst werden. Denn anhand solcher Untersuchungen bekommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur Einblicke, was beim Fracking-Prozess im Untergrund passiert. Vielmehr können sie ableiten, wie der Untergrund auch unter natürlichen Bedingungen auf Änderungen im Spannungsgefüge reagieren würde. „Der Fracking-Prozess ist für uns so etwas wie ein hochskalierter Laborversuch“, erklärt Rebecca Harrington. „Wir sehen, was passiert, wenn der Untergrund kontrollierten Stressbedingungen ausgesetzt wird – unter natürlichen Bedingungen wäre das viel schwieriger zu untersuchen.“
Gestein durchlässig für Öl und Gas machen
Mit Fracking lassen sich Öl- oder Gasvorkommen erschließen, die tief im Untergrund liegen. Eine Mischung aus Wasser, Sand und schwach konzentrierter Salzsäure wird mit hohem Druck in den Untergrund gepresst, um Risse im Gestein zu erzeugen und dieses durchlässig für das Gas oder Öl zu machen. Dazu wird vertikal in den Untergrund gebohrt, um in die Tiefe der Öl- und Gasvorkommen zu gelangen; dort wird ein bis zwei Kilometer in horizontaler Richtung gebohrt. Dieses horizontale Bohrloch wird in Segmente von je 50 Metern Länge geteilt, in jedes Segment wird nacheinander die Fracking-Flüssigkeit gepumpt, bis sich Risse im Gestein bilden. Die Flüssigkeit wird anschließend über ein eigens dafür angelegtes Entsorgungsbohrloch zurückgewonnen, wenn auch nicht vollständig. Der Fracking-Prozess selbst, die sich im Untergrund ausbreitenden Flüssigkeiten und die Abwasserentsorgung können Erdbeben auslösen.
„Im Western Canada Sedimentary Basin entstehen die Erdbeben durch das Fracking selbst, anders als zum Beispiel in der Mitte und im Osten der USA, wo die Abwasserentsorgung der Auslöser ist“, erklärt Rebecca Harrington. „Dabei werden in Westkanada wesentlich geringere Volumina Fracking-Flüssigkeit eingesetzt. Es gibt keine gute Erklärung, warum die Erdbeben dort entstehen, obwohl typischerweise so wenig Flüssigkeit im Spiel ist.“
Flüssigkeiten nehmen unerwartete Wege
2018 trat ein Beben der Stärke 4,5 auf, und zwar sehr früh im Fracking-Prozess, als noch kaum Flüssigkeit injiziert worden war. „Das zeigt, dass die Flüssigkeiten sich im Untergrund auf eine Art und Weise bewegen, wie wir sie nicht erwarten würden“, sagt Harrington. Dieses Beben und einige Nachbeben, von denen die größten immer noch Stärken von 4,2 und 3,4 erreichten, analysierte das RUB-Team zusammen mit den Kollegen der McGill University. Die beiden Institutionen haben im Western Canada Sedimentary Basin mittlerweile 17 seismische Stationen aufgebaut und können so auf ein dichtes Datennetz zugreifen.
Anhand dieser Aufzeichnungen rekonstruierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Quellen der verschiedenen Beben und wie sich diese im Untergrund ausgebreitet hatten. Die Daten brachten sie mit Informationen über den Fracking-Prozess und über die Beschaffenheit des Untergrundes zusammen. Mit Computersimulationen modellierten sie die Kräfte, die während der Beben im Untergrund gewirkt hatten. Das Fazit: „Vermutlich gab es eine geologisch betrachtet junge Verwerfung im Untergrund, also einen Bruch in der Erdkruste, der viele natürliche Risse im Gestein erzeugt hatte. Durch diese konnte die Fracking-Flüssigkeit strömen wie durch einen Kanal“, beschreibt Rebecca Harrington. Der Flüssigkeitsstrom erreichte so schnell die darunterliegende Verwerfung, was das Spannungsgefüge im Untergrund störte und ein Erdbeben triggerte, das stärker als erwartet war.
Tausende von Erdbeben analysiert
Auch in anderen Arbeiten bestätigte sich, dass Erdbeben einerseits durch die Interaktion von Flüssigkeitsströmen und natürlich vorkommenden Verwerfungen im Untergrund zustande kommen können. Andererseits können Ansammlungen von Flüssigkeiten aber auch das Spannungsfeld im Untergrund so beeinflussen, dass Verwerfungen im benachbarten Gestein zum Versagen gebracht werden. „Oft nehmen Leute an, dass Erdbeben entstehen, wenn die Fracking-Flüssigkeit Risse im Gestein erzeugt und die durch die Risse entstehende seismische Aktivität sich im Untergrund fortpflanzt“, sagt Rebecca Harrington. „Manchmal ist das sicher auch der Grund – aber nicht immer.“
Die Arbeitsgruppen der RUB und der McGill University haben begonnen, rund 8.200 Erdbeben zu analysieren, die die seismischen Stationen im Western Canada Sedimentary Basin zwischen Juli 2017 und September 2020 aufgezeichnet haben. Sie zeigten, dass viele Erdbeben an Stellen auftreten, an denen natürliche geologische Verwerfungen im Untergrund existieren, mit denen die Flüssigkeiten interagieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiesen außerdem nach, dass diese Verwerfungen optimal im Spannungsfeld der Erdkruste orientiert sind, um Erdbeben auszulösen. „Die Erdbeben entstehen zwar durch industrielle Aktivitäten, aber wenn sie einmal initiiert sind, verhalten sich die geologischen Verwerfungen ziemlich genau so wie bei einem Erdbeben natürlichen Ursprungs“, resümiert Harrington.
Induzierte und natürliche Erdbeben ähneln sich
Der Vergleich zwischen Erdbeben, die auf Fracking oder auf natürliche Ursachen zurückgehen, beschäftigte die Forscherinnen und Forscher auch noch in einer anderen Studie. Konkret interessierten sie sich für einen physikalischen Parameter, den sogenannten Spannungsabbau, der bei Erdbeben eine Rolle spielt. Auf beiden Seiten der vielen Verwerfungen in der Erdkruste bauen sich im Lauf der Zeit durch die Bewegung der tektonischen Platten Spannungen auf. Wird die Spannung sehr groß, entlädt sie sich in Form einer ruckartigen Bewegung. Je größer die Verwerfung, desto mehr Energie wird frei und desto stärker ist das resultierende Beben.
Mit dem Spannungsabbau beschreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Unterschied in der Spannung vor und nach einem Beben entlang einer Verwerfung, wobei der Wert über die gesamte Fläche der Verwerfung gemittelt wird. Für natürliche Beben ist bekannt, dass der Spannungsabbau konstant zwischen ungefähr ein und zehn Megapascal beträgt und unabhängig von der Stärke eines Bebens ist. Der Wert hängt aber mit der seismischen Energie zusammen, die bei einem Beben frei wird. Aus dem Spannungsabbau und der Stärke eines Bebens lässt sich somit die frei werdende Energie berechnen – und abschätzen, wie viel Schaden ein Beben einer bestimmten Stärke anrichten würde.
Schadensausmaß abschätzen
Ob der Spannungsabbau auch für induzierte Erdbeben konstant ist, wollte Rebecca Harringtons Team herausfinden. „Wir beobachten viele kleinere durch Fracking, Bergbau oder andere Auslöser induzierte Erdbeben“, erklärt sie. „Es würde uns helfen, wenn wir basierend auf unseren Daten zu diesen Beben abschätzen könnten, wie viel seismische Energie bei größeren Beben frei werden würde, weil wir somit auch das Ausmaß der potenziellen Schäden besser abschätzen könnten.“ Dazu müssen die Forscherinnen und Forscher wissen, ob der Spannungsabbau konstant ist. Die Studie ergab, dass der Wert für Erdbeben in der Nähe von Bohrlöchern geringer ausfällt als für Beben, die sich mindestens ein bis zwei Kilometer entfernt vom Bohrloch ereignen. Letztere verhielten sich sehr ähnlich wie natürliche Erdbeben. Wie die gesamte Forschung von Rebecca Harrington zu induzierten Erdbeben zielte auch diese Studie darauf ab, grundsätzlich mehr über die Vorgänge im Untergrund zu lernen, um natürliche Erdbeben zu verstehen.
Alles, was wir über die induzierten Erdbeben lernen, kann uns auch helfen, natürliche Erdbeben zu verstehen.
Rebecca Harrington
„Insgesamt zeigen unsere Studien, dass es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen natürlichen Erdbeben und durch Fracking ausgelösten Erdbeben gibt“, resümiert Rebecca Harrington. „Fracking scheint natürliche Prozesse anzustoßen, die dann zu Erdbeben führen. Alles, was wir über die induzierten Erdbeben lernen, kann uns also auch helfen, natürliche Erdbeben zu verstehen – und hoffentlich eines Tages dazu beitragen, dass wir Folgen für Menschen und Infrastruktur durch Erdbeben minimieren können.“