Anders als einen Alltagsgegenstand kann man ein Elementarteilchen nicht einfach quetschen, um zu schauen, wie es darauf reagiert. Es ist viel zu klein.
© Roberto Schirdewahn

Theoretische Physik Winzige Teilchen mit enormem Druck

Mit Stift und Zettel berechnete der Bochumer Physiker Maxim Polyakov einst eine Zahl, die 15 Jahre später die Forschungswelt verblüffte – und in der Zwischenzeit Dutzende Experimentalphysiker beschäftigt hielt.

Als Prof. Dr. Maxim Polyakov im Jahr 2003 seine theoretische Arbeit zum Druck im Inneren bestimmter Elementarteilchen veröffentlichte, ahnte er nicht, welche Verknüpfungen zur experimentellen Forschung sich eines Tages dadurch ergeben würden. Getrieben von der Neugier eines Grundlagenforschers hatte sich der RUB-Physiker mit der Frage beschäftigt, welche fundamentale Eigenschaft Elementarteilchen neben der Masse und dem Spin noch besitzen können. An der RUB leitet Polyakov die Arbeitsgruppe namens „Theoretische Physik II, insbesondere theoretische Hadronenphysik“ – und wie der Name schon sagt, interessiert er sich vor allem für Teilchen aus der Klasse der Hadronen. Die bekanntesten Vertreter sind Protonen und Neutronen, aus denen Atomkerne aufgebaut sind.

„Solche Teilchen werden üblicherweise anhand ihrer Masse charakterisiert“, erklärt der Wissenschaftler. „Masse bringen wir in unserem Alltag intuitiv mit Schwerkraft in Verbindung.“ Die Schwerkraft wiederum beschreiben Physiker basierend auf Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie als Verformung der Raumzeit. „Eine ziemlich abstrakte Idee“, gibt Polyakov zu. In seinen theoretischen Arbeiten klammerte er die Zeit-Komponente aus und widmete sich nur den Verformungen des dreidimensionalen Raums, in dem wir leben. Er analysierte, ob Elementarteilchen eine fundamentale Eigenschaft besitzen, die nur mit einer Verformung dieses Raums zusammenhängt – und wurde fündig. Diese Eigenschaft nannte er D-Term. „Eigentlich sollte man besser von Druck-Term sprechen“, sagt er aus heutiger Perspektive. „Der D-Term beschreibt die elastischen Eigenschaften von Elementarteilchen, also wie sie sich verhalten, wenn man sie quetscht.“ Das wiederum sagt etwas über den Druck aus, der im Inneren des Teilchens herrscht.

Maxim Polyakovs Theorie sagte voraus, dass der Druck im Zentrum eines Protons extrem groß sein müsse und nach außen wirke, während außerhalb des Zentrums ein geringerer Druck nach innen wirke. Er berechnete auch konkrete Zahlen für den Druck im Inneren eines Protons. Zahlen, die anschließend viele Jahre nur auf dem Papier existierten.

Das war wirklich eine Freude, ein Moment der Euphorie.


Maxim Polyakov

„Ich habe mit meinen Kollegen damals auch einen Vorschlag gemacht, wie man den Wert messen könnte – aber dazu braucht es einen besonderen Teilchenbeschleuniger, der damals nicht existierte“, erzählt der Physiker. Forscher am deutschen Beschleuniger HERA versuchten sich zwar an dem Experiment, aber die Technik konnte die erforderliche Leistung nicht bringen. So blieb es bei der Theorie, bis ein Team am US-amerikanischen Jefferson Lab 15 Jahre nach der Veröffentlichung von Polyakovs Arbeit ein Paper publizierte und seine Vorhersagen bestätigte. Ein besonderer Moment, erinnert sich Maxim Polyakov. „Das war wirklich eine Freude, ein Moment der Euphorie“, sagt er. „Zu sehen, dass Leute einen Beschleuniger gebaut haben, dass um die hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einem Experiment gearbeitet haben und monatelange mit einem Supercomputer die Daten auswerteten, um eine Zahl herauszubekommen, die ich mit Stift und Zettel ausgerechnet hatte – und dann kommen wir auf denselben Wert!“

Und dieser Wert hatte es in sich. Denn er zeigte, dass der Druck im Inneren eines Protons zehnmal höher ist als im Inneren eines Neutronensterns – des dichtesten Objekts im Universum.

Den Druck experimentell messen

Warum aber war es so schwer, den Druck im Inneren eines Protons zu messen? „Elementarteilchen sind sehr klein, wir können sie nicht einfach quetschen und schauen, wie sie reagieren“, beschreibt Maxim Polyakov. „Am einfachsten wäre es gewesen, wenn wir ein Teilchen in die Nähe eines Schwarzen Loches hätten platzieren und beobachten können, wie es sich durch dessen Schwerkraft verformt. Aber Schwarze Löcher sind halt nicht in der Nähe.“ Die Messung musste indirekt erfolgen.

Es ist ein bisschen so, als würde man mit einem Hammer auf ein Glas hauen.


Maxim Polyakov

Mit dem Teilchenbeschleuniger am Jefferson Lab in Newport, USA, gelang es schließlich, Polyakovs Experimentidee in die Tat umzusetzen. Beim sogenannten Deeply Virtual Compton Scattering wurden Protonen mit einem hochenergetischen Elektronenstrahl beschossen. „Es ist ein bisschen so, als würde man mit einem Hammer auf ein Glas hauen“, vergleicht Maxim Polyakov. „In der Regel geht es dabei kaputt.“ Auch die Protonen werden durch den Elektronenbeschuss in den meisten Fällen zerstört. Aber hin und wieder bleiben sie intakt und werden nur verformt. Die Forscher zeichneten Milliarden solcher Ereignisse auf und zählten, wie häufig und unter welchen Bedingungen die Protonen zerstört wurden oder intakt blieben. Aus dem Verhältnis konnten sie die elastischen Eigenschaften des Protons und somit den Druck in seinem Inneren – den D-Term – berechnen.

Neutronensterne sind die dichtesten Objekte im Universum. Aber der Druck im Inneren eines Protons ist trotzdem zehnmal höher als im Inneren eines Neutronensterns. Hier als weißer Punkt im Zentrum zu sehen ist ein Neutronenstern im Krebsnebel.
© ESA/NASA, CXC, JPL-Caltech, J. Hester and A. Loll (Arizona State Univ.), R. Gehrz (Univ. Minn.), and STSc

Forschung in der Nähe Schwarzer Löcher

Das war aber nicht der einzige Moment, in dem Maxim Polyakovs Theorien unerwartet die experimentelle Forschung berührten. Auch der erste Nachweis von Gravitationswellen eröffnete plötzlich neue Möglichkeiten für seine Arbeit. 2015 beobachtete die LIGO-Forschungskollaboration erstmals die bis dahin nur theoretisch vorhergesagten Gravitationswellen beim Verschmelzen zweier Schwarzer Löcher. „Wobei der Nachweis der Gravitationswellen für mich gar nicht das Entscheidende war“, so Polyakov. „Ich war mir immer sicher gewesen, dass sie existieren müssen. Aber nun konnte man Teilchen in der Nähe Schwarzer Löcher erforschen, also wenn sie einem immensen Druck ausgesetzt sind. Da habe ich meinen Doktoranden sofort gesagt: Hier wird unser D-Term eine große Rolle spielen.“

Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 110 „Symmetrien und Strukturbildung in der Quantenchromodynamik“ arbeitet Maxim Polyakov mit seinem Team nun an fundamentalen Gleichungen, die helfen sollen, die beobachteten Daten aus der Umgebung der verschmelzenden Schwarzen Löcher zu interpretieren. „Viele Jahre lang war meine Arbeit nur theoretischer Natur gewesen“, resümiert der Bochumer Forscher. „Aber auf einmal kamen alle Puzzleteile zusammen: die Messungen des D-Terms im Labor, die neue Möglichkeit, Teilchen in starken Gravitationsfeldern zu untersuchen – es ist schön, dass die Theorie so viele Anknüpfungen zur Realität bekommen hat.“

Originalveröffentlichung

Maxim V. Polyakov: Generalized parton distributions and strong forces inside nucleons and nuclei, in: Physical Letters B, 2003, DOI: 10.1016/S0370-2693(03)00036-4

Das Confinement-Problem

Die theoretischen Arbeiten rund um den D-Term sind nicht nur für die Physik in der Nähe Schwarzer Löcher interessant, sondern auch für das sogenannte Confinement-Problem. Es beschreibt die Tatsache, dass gewisse Elementarteilchen nie frei vorkommen. Protonen bestehen beispielsweise unter anderem aus Quarks. Selbst wenn man Protonen mit hohen Energien beschießt, um sie zu zerstören, entstehen in dem Prozess nie einzelne freie Quarks. Warum ist ein Rätsel. Das Clay Mathematics Institute hat das Confinement-Problem als Millennium-Problem ausgerufen und winkt mit 1 Million Dollar Preisgeld für die, die es lösen. Die Messungen des D-Terms können die Kräfte sichtbar machen, die zwischen den Quarks wirken. Daher hofft Maxim Polyakov, dass die Arbeiten zur Lösung des Confinement-Problems beitragen können.

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Veröffentlicht

Dienstag
09. März 2021
09:07 Uhr

Dieser Artikel ist am 3. Mai 2021 in Rubin 1/2021 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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