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Plasmen als Chemielabor
Plasmen mit Atmosphärendruck sind oft nur wenige Kubik-Millimeter groß – aber trotzdem haben sie es in sich. Denn in ihnen lassen sich spezielle Nichtgleichgewichtszustände einstellen, die physikalische und chemische Prozesse erlauben, welche in keiner anderen Umgebung möglich sind. So wird das Plasma zu einer Art Speziallabor: Atome und Moleküle können darin angeregt werden, ohne dass sich ihre Umgebung erhitzt. „Solche Anregungen könnte man theoretisch auch in einem Gas erzeugen, aber dazu müsste man es auf mehrere tausend Grad Kelvin erhitzen – dann würden sich die Moleküle allerdings zersetzen“, erklärt Prof. Dr. Uwe Czarnetzki, Leiter des Lehrstuhls für Plasma- und Atomphysik an der Fakultät für Physik und Astronomie. Seit vielen Jahren entwickelt er mit seinem Team Verfahren, um die Vorgänge im Inneren von Plasmen zu untersuchen und die Plasmen zu charakterisieren.
Das Besondere an Plasmen: Über elektrische Felder kann den Elektronen im Plasma Energie zugeführt werden; die Elektronen wiederum wechselwirken mit Molekülen wie Stickstoff oder Kohlendioxid und geben die Energie dabei an diese ab – die Moleküle werden angeregt, und zwar, ohne dass sich die Umgebung dabei erhitzt, wie es in einem Gas der Fall wäre. Die zu Schwingungen angeregten Moleküle besitzen wiederum eine weit höhere Reaktivität als solche im Grundzustand. Man kann also durch das Plasma die Chemie verändern beziehungsweise gewisse chemische Abläufe überhaupt erst ermöglichen. Das Plasma bietet Grundlagenforscherinnen und -forschern somit eine einzigartige Möglichkeit, um die Anregung von Molekülen und die damit verbundene Chemie fernab des thermodynamischen Gleichgewichts zu untersuchen. Uwe Czarnetzki interessiert sich daher vor allem für die Schwingungszustände von Molekülen in Plasmen.
Schwingungen in Molekülen untersuchen
Die einzelnen Atome von Molekülen – etwa die Kohlenstoff- und Sauerstoffatome im Kohlendioxid-Molekül – sind nicht starr miteinander verbunden. Die Bindungen zwischen den Atomen verformen sich periodisch auf unterschiedliche Weisen. Diese Schwingungen können auf mehreren Energieniveaus stattfinden, also mit verschiedenen Frequenzen, die sich durch Lichtenergie anregen lassen. Dazu muss die Frequenz des Lichtes der Differenz der Frequenzen zwischen zwei benachbarten Energieniveaus entsprechen. Aus der Abnahme der Intensität des Lichtes bei dieser speziellen Frequenz kann man auf die Zahl der absorbierenden Moleküle im Lichtstrahl schließen. Diese Tatsache nutzen die Bochumer Physikerinnen und Physiker um Uwe Czarnetzki und Dr. Dirk Luggenhölscher im Sonderforschungsbereich 1316 „Transiente Atmosphärendruckplasmen“, um die Schwingungszustände von Molekülen in Plasmen zu untersuchen, insbesondere in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Stipendiatin Dr. Yanjun Du. Sie interessiert, wie viele verschiedene Zustände wie häufig vorkommen.
„Leider funktioniert dieses Verfahren aber nicht bei allen Molekülen oder Schwingungen“, sagt Czarnetzki. Daher entwickelte er mit seinem Team, allen voran Jan Kuhfeld, die CARS-Methode weiter, kurz für Coherent anti-Stokes Raman Scattering. Das aufwendige Laserverfahren erfasst die sonst verbotenen Übergänge mit hoher Empfindlichkeit, zeitlicher und räumlicher Auflösung. Insbesondere überarbeiteten die Forschenden das Auswerteverfahren für die theoretische Berechnung der Spektren, sodass sie auch Energieverteilungen bestimmen können, die nicht einem thermodynamischen Gleichgewicht entsprechen. „Gerade die sind der entscheidende Punkt bei der Verwendung von Plasmen“, so Czarnetzki. Das Team modifizierte zudem das Lasersystem, um alle Schwingungszustände gleichzeitig detektieren zu können.
Plasmen neigen dazu, Dinge zu tun, die man erst einmal nicht versteht.
Um die Schwingungszustände anregen zu können, ist das elektrische Feld entscheidend. Die Krux: Zur Erzeugung des Plasmas benötigt man ein sehr hohes elektrisches Feld, zur effizienten Schwingungsanregung ein vergleichsweise kleines Feld.
Warum die effiziente Schwingungsanregung trotz dieses vermeintlichen Widerspruchs funktioniert, war zunächst nicht klar. „Plasmen neigen dazu, Dinge zu tun, die man erst einmal nicht versteht, die aber nützlich sind“, weiß Czarnetzki. „Wenn man den Mechanismus dann einmal verstanden hat, ist er im Nachhinein betrachtet sehr banal.“ Dank einer in Bochum von Dr. Nikita Lepikhin und seinen Kolleginnen und Kollegen neu entwickelten Lasertechnik zur Messung der elektrischen Felder konnten die Forschenden nachvollziehen, was genau bei der Entstehung des Plasmas und der Anregung der Schwingungen passiert.
Zunächst muss man sich vor Augen führen, wie ein Plasma entsteht: Zu Beginn liegt ein Gas vor, dem Energie in Form von elektrischem Strom zugeführt wird, bis schließlich ein hochenergetischer Zustand entsteht, in dem ein gewisser Anteil des Gases ionisiert ist. Es entstehen aber nicht alle Ladungen auf einen Schlag. Anfänglich werden nur einige Teilchen des Gases ionisiert und beschleunigt, was wiederum neue Ladungen erzeugt. „In wenigen Nanosekunden bildet sich eine Lawine von Ladungen, und ein hochdichtes Plasma entsteht“, erklärt Uwe Czarnetzki. Einen so energiereichen Zustand kann man nicht dauerhaft aufrechterhalten, daher werden die Plasmen gepulst betrieben, also sozusagen immer wieder an- und ausgeschaltet, typischerweise einige tausendmal pro Sekunde.
Gepulstes Plasma löst vermeintlichen Widerspruch
Durch das extrem schnelle Pulsen der Entladung löst das Plasma das vermeintliche Problem des unterschiedlichen optimalen elektrischen Feldes für Plasmaerzeugung und Schwingungsanregung quasi von selbst. In den ersten Nanosekunden nach Anlegen der Spannung liegt eine kleine Plasmadichte, daher ein hoher elektrischer Widerstand und somit auch ein hohes Feld vor. Man erreicht eine starke Ionisation und somit schließlich eine außergewöhnlich hohe Plasmadichte. Damit sinkt der Widerstand und somit auch die Größe des Feldes. In der sich daran anschließenden Phase ist das Feld klein und ideal für die Schwingungsanregung. Die durch den Stromfluss abfließenden Ladungen werden zudem in einem sehr dünnen Übergangsbereich zwischen Plasma und Elektrode passend nachgeliefert. Der weitaus größte Teil des hochdichten Plasmas erzeugt aber keine neuen Ladungen, sondern wirkt nur wie ein Stromleiter. Die Elektronen werden hier in einem schwachen Feld sanft beschleunigt und geben die so aufgenommene Energie fast vollständig an die Schwingungsanregung der Moleküle ab.
Zumindest bei Stickstoff-Molekülen klappt das schon gut. Künftig wollen die Physiker auch CO2-Moleküle auf diese Weise untersuchen. Erste Messungen und auch theoretische Überlegungen stimmen sie optimistisch.
Verschiedene Messverfahren kombiniert
Mittlerweile gelang es Czarnetzkis Team außerdem, das Verfahren zur Messung der Schwingungszustände mit der Methode zur Messung der elektrischen Felder in Plasmen zu kombinieren – eine Herausforderung. „Je kleiner ein Plasma ist, desto größer wird eigentlich der Messaufbau, den man benötigt, um es zu untersuchen“, erklärt Uwe Czarnetzki. „Unsere Plasmen sind so klein, dass wir keinen Platz haben, einen dicken Messdraht hineinzustecken.“
Es kann schon reichen, wenn ein Kabel falsch verlegt ist, um Störungen ins System zu bekommen.
Abhilfe schafft die Lasertechnik, die jedoch komplexe Messaufbauten mit sich bringt. Daher ließ sich das experimentelle Setup für die Messung der elektrischen Felder und der Schwingungszustände nicht einfach miteinander verknüpfen. Stattdessen erzeugten die Physikerinnen und Physiker mit großem Aufwand und großer Akribie zwei identische Plasmen, an denen sie die Messungen parallel laufen lassen und die Daten dann zusammenbringen konnten. Dabei kam es auf jede Kleinigkeit an. „Es kann schon reichen, wenn ein Kabel falsch verlegt ist, um Störungen ins System zu bekommen“, verdeutlicht Uwe Czarnetzki. Dass es gelungen ist, die beiden sensiblen Messverfahren zu kombinieren und damit erstmalig ein kohärentes Bild der Vorgänge im Plasma zu erlangen, zählt für ihn daher zu seinen Forschungshighlights.
Die Plasmaforschung am Lehrstuhl von Prof. Dr. Uwe Czarnetzki findet eigentlich nicht nur in Bochum, sondern auch in Japan statt. Nach einem Postdoc-Aufenthalt im Jahr 1992 packte ihn die Begeisterung für Land und Leute. So baute Czarnetzki bis 2015 Kooperationen zu fünf verschiedenen japanischen Universitäten auf, später kamen größere gemeinsame Verbundforschungsprojekte hinzu. An die rund 30 Jahre Zusammenarbeit mit Fernost erinnert er sich gern zurück.
Herr Professor Czarnetzki, warum kooperieren Sie so stark mit Japan, was ist das Besondere an dem Land?
Japan ist eine der führenden Nationen im Bereich der Plasmaforschung. Ich bin schon zum Ende meiner Promotion über meinen damaligen Chef Professor Hans Frieder Döbele mit einem japanischen Forscher, Professor Katsunori Muraoka, in Kontakt gekommen, und habe dann auch mit Unterstützung der Humboldt-Stiftung ein Postdoc-Jahr an der Kyushu-Universität absolviert. Das war eines der besten Jahre meines Lebens, ich habe mich in dem Land einfach wohlgefühlt. Und diese Verbindung zu Japan hatte weitreichende Folgen.
Welche denn?
Es ist ein kulturell und wissenschaftlich sehr inspirierendes Land, ich bin seit der Postdoc-Zeit praktisch jedes Jahr dorthin zurückgekehrt – und habe dort auch meine Frau kennengelernt. Mittlerweile ist Japan zu meiner zweiten Heimat geworden. Natürlich ist nicht alles perfekt, aber mir gefällt die Kultur, das Land – und vor allem auch das Essen!
Aber die Verbindung ist weit mehr als nur privater Natur.
Das stimmt, es gibt eine starke wissenschaftliche Anbindung. Wir ermöglichen Studierenden, Promovierenden und Postdocs den Austausch zwischen der RUB und verschiedenen japanischen Universitäten, und veranstalten gemeinsame Symposia und Workshops. Natürlich gab und gibt es auch zahlreiche Forschungskooperationen; außerdem war ich als Gastprofessor an den Universitäten in Osaka und Nagoya, und ich habe weltweit die erste Alumni-Vereinigung der Japan Society for the Promotion of Science mitgegründet. Wenn ich stichpunktartig all meine Kooperationen mit Japan auflisten würde, bekäme ich leicht einige DIN-A4-Seiten voll. Im Lauf der Zeit sind viele wertvolle Kontakte entstanden, und natürlich auch Freundschaften. Ein Kollege und Freund aus Osaka, Professor Satoshi Hamaguchi, ist aktuell Mercator-Fellow in unserem Sonderforschungsbereich.
Was bedeutet die Coronapandemie für Ihr Netzwerk?
Sie erschwert den Austausch ungemein. Natürlich gibt es viele Videokonferenzen, und wir konnten eines unserer Seminare durch den virtuellen Austausch so international gestalten wie noch nie – alle Kontinente sind vertreten, es fehlt eigentlich nur die Antarktis, insbesondere sind aber auch Kollegen aus Japan beteiligt. Aber ohne Reisen und persönliche Kontakte ist man schon stark eingeschränkt. Überhaupt hat die Coronakrise unsere Forschung sehr gebremst. Nicht nur dass Gastwissenschaftler teils nicht anreisen konnten oder mehrwöchige Quarantänen über sich ergehen lassen mussten. Auch Spezialtechniker aus dem Ausland, die wir benötigen, um spezielles Laserequipment zu reparieren, konnten nicht anreisen. Ich hoffe sehr, dass der Austausch in Zukunft wieder leichter sein wird.
- Jan Kuhfeld, Nikita Lepikhin, Dirk Luggenhölscher, Uwe Czarnetzki: Vibrational CARS measurements in a near-atmospheric pressure plasma jet in nitrogen: I. Measurement procedure and results, in: Journal of Physics D: Applied Physics, 2021, DOI: 10.1088/1361-6463/abfd6b
- Jan Kuhfeld, Dirk Luggenhölscher, Uwe Czarnetzki: Vibrational CARS measurements in a near-atmospheric pressure plasma jet in nitrogen: II. Analysis, in: Journal of Physics D: Applied Physics, 2021, DOI: 10.1088/1361-6463/abfd6c
- Nikita Lepikhin, Dirk Luggenhölscher, Uwe Czarnetzki: Electric field measurements in a He:N2 nanosecond pulsed discharge with sub-ns time resolution, in: Journal of Physics D: Applied Physics, 2021, DOI: 10.1088/1361-6463/abbbb4
- Yanjun Du, Tsanko V. Tsankov, Dirk Luggenhölscher, Uwe Czarnetzki: Nanosecond resolved ro-vibrational CO2 excitation measurement, in: Journal of Physics D: Applied Physics, 2021, DOI: 10.1088/1361-6463/ac07de
18. Juni 2021
09.13 Uhr