Plasmaphysik Eine Referenzquelle für die Plasmaforschung
Ein Plasma zu erzeugen ist gar nicht so schwer. Daher gibt es unzählige verschiedene Plasmaquellen auf der Welt. Für die Forschung ist das aber ein Problem.
Die Einsatzgebiete von Plasmen scheinen unerschöpflich. In der Biomedizin verspricht die Technik etwa, chronische Wunden besser heilen, antibiotikaresistente Keime abtöten oder Krebszellen selektiv behandeln zu können. „Es gibt viele Studien, die zeigen, dass Plasmen dafür nützlich sein könnten“, sagt Prof. Dr. Judith Golda, Physikerin im Sonderforschungsbereich 1316. „Um Plasmen für diese Zwecke einsetzen zu können, muss man aber die Mechanismen verstehen, mit denen sie wirken.“
Ein Problem dabei ist, dass im Lauf der Jahre zwar viele Studien entstanden sind, dass aber die verwendete Technik nicht vergleichbar war. „Ein Plasma mit Atmosphärendruck herzustellen ist leicht“, erklärt Golda. „Man braucht eigentlich nur zwei Drähte, an die man eine Spannung anlegt, sodass ein elektrisches Feld entsteht, das das Gas zwischen den Drähten ionisiert.“ Weil das so leicht ist, haben viele Forschungsgruppen ihre eigenen Plasmaquellen gebaut. Doch Plasma ist nicht gleich Plasma. Es gibt viele Eigenschaften, die darüber entscheiden, wie gut ein Plasma für einen bestimmten Einsatzzweck geeignet ist, etwa die Stärke der elektrischen Felder oder die Art und Menge der enthaltenen reaktiven Teilchen.
Komplexe Plasmaphysik trifft komplexe biologische Prozesse
Da sowohl die Plasmaphysik als auch die biologischen Prozesse, die man mit Plasmen beeinflussen möchte, sehr komplex sind, ist es bei der Vielzahl an variablen Parametern im Plasma schwer, die beobachteten Effekte von Plasmabehandlungen mechanistisch zu erklären. Anfang der 2010er-Jahre entstand daher die Idee, eine Referenzquelle zu entwickeln, also ein Plasma, dessen Eigenschaften genau charakterisiert sind und das sich mit genau diesen Eigenschaften reproduzierbar herstellen lässt. Würden verschiedene Forschungsgruppen dieses Plasma nutzen, so die Hoffnung, wüsste man genau, auf welche Plasmaparameter bestimmte Effekte zurückzuführen sind. „Solch eine Referenzquelle gab es bereits für Niederdruckplasmen, wir wollten das Konzept nun auf Atmosphärendruckplasmen übertragen“, erinnert sich Judith Golda, die bereits während ihrer Promotion an der RUB an diesem Thema arbeitete.
Gemeinsam mit Partnern aus Greifswald, Eindhoven, Milton Keynes, York und Dublin wählte die Bochumer Gruppe eine Plasmaquelle aus, die RUB-Physiker Dr. Volker Schulz-von der Gathen zuvor bereits intensiv untersucht hatte. „Ein wichtiges Argument für uns bei der Auswahl war, dass auch viele andere Gruppen weltweit schon mit ähnlichen Quellen gearbeitet haben. Wir haben also sozusagen ein Plasma gesucht, das mehrheitsfähig ist“, erklärt Judith Golda.
Analysen an fünf Standorten mit gleichen Ergebnissen
Das internationale Team charakterisierte die Plasmaquelle im Detail. Die RUB-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler bauten zunächst fünf identische Quellen, sodass jeder Kooperationspartner das Plasma an seinem Standort untersuchen konnte, um sicherzustellen, dass sich stets die gleichen Eigenschaften ergaben – was auf Anhieb gut funktionierte. Die Arbeiten fanden im Rahmen eines Förderprogramms der European Cooperation in Science and Technology, kurz COST, statt. Daher tauften die Forscherinnen und Forscher ihre Quelle letztendlich COST-Jet. Jet, weil das Plasma in Form eines Strahls aus einer Öffnung austritt.
Um die Plasmaquelle für alle Forschungsgruppen weltweit verfügbar zu machen, schrieb das Projektteam detaillierte Bauanleitungen und veröffentlichte sie frei zugänglich im Internet unter cost-jet.eu. „Weil es für Forschende ohne Vorerfahrung aber manchmal nicht so leicht ist, eine solche Anleitung umzusetzen, haben wir uns auch dafür eingesetzt, dass man den COST-Jet fertig gebaut zum Selbstkostenpreis erwerben kann“, erklärt Judith Golda. Der Vertrieb läuft über das aus der RUB ausgegründete Unternehmen Plasma Applications Consulting.
Referenzquelle weltweit im Einsatz
Viele Gruppen weltweit (siehe Karte) nutzen den COST-Jet mittlerweile, sodass die Arbeiten all dieser Gruppen vergleichbar sind. Komplettiert werden die Untersuchungen durch theoretisch arbeitende Gruppen.
„Es gibt natürlich auch Alternativquellen“, weiß Judith Golda. „Und die haben auch ihre Berechtigung. Denn je nach Anwendung benötigt man unterschiedliche Plasmen.“ Trotzdem freut sich die Physikerin, dass das in Bochum maßgeblich mit entwickelte Referenzplasma an vielen Plasmaforschungsstandorten der Welt im Einsatz ist.
Auch an der RUB wird im Rahmen der Plasma-Sonderforschungsbereiche weiter damit geforscht. Gruppen aus der Physik und Elektrotechnik kooperieren etwa, um detailliert zu verstehen, welche reaktiven Spezies sich im COST-Jet bilden und wie ihre Menge sich mit zunehmender Entfernung von der Quelle verändert. „Je nachdem welches Gas man nutzt, können sich in einem Plasma schnell bis zu 1.000 verschiedene Reaktionen abspielen, weil die reaktiven Spezies in vielen Kombinationen interagieren“, erläutert Golda. Der COST-Jet basiert auf den Edelgasen Helium und Argon mit geringen Beimischungen von anderen Gasen, beispielsweise Sauerstoff und Stickstoff. Werden diese in den elektrischen Feldern dissoziiert und ionisiert, können die Atome alle möglichen reaktiven Formen annehmen: Sauerstoff kann etwa als positiv (O+) oder negativ geladenes Ion (O-), als neutrales Atom (O), als molekularer Sauerstoff (O2) oder Ozon (O3) vorliegen. Ist Stickstoff (N) mit in der Mischung enthalten, ergeben sich schnell zahlreiche weitere Kombinationen, beispielsweise NO, N2O, NO2 und weitere. „Die Reaktionschemie explodiert förmlich“, beschreibt Golda.
Reaktive Spezies spektroskopisch untersuchen
So interessierten sich die Bochumer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise dafür, wie viele reaktive Sauerstoffatome im COST-Jet entstehen und wie ihre Menge mit zunehmendem Abstand zur Quelle abnimmt. „Viele biologischen Systeme benötigen eine gewisse Menge atomaren Sauerstoffs, sodass Plasmabehandlungen mit reaktiven Sauerstoffspezies positive Effekte haben können“, erklärt Judith Golda. „Manchmal kann es aber auch zu viel Sauerstoff sein.“ Daher sei es wichtig zu wissen, wie viel reaktiver Sauerstoff genau im Plasma vorliegt und wie die optimale Entfernung von der zu behandelnden Oberfläche zum Plasma wäre. „Nur so kann man später Anwendungen entwickeln, die auch sicher für Patientinnen und Patienten sind“, so die Physikerin.
Die erforderlichen Messungen erfolgten mittels Spektroskopie. Dabei schicken die Forscherinnen und Forscher Laserlicht einer bestimmten Wellenlänge in das Plasma. Dieses Licht wird von den Sauerstoffteilchen absorbiert, wodurch sie auf ein höheres Energieniveau gehoben werden. Nach einer Weile kehren sie in den Grundzustand zurück; dabei strahlen sie Licht einer bestimmten Wellenlänge aus, welches die Forschenden messen können. Die emittierte Wellenlänge hängt dabei von dem Teilchen ab, das das Licht aussendet; ein neutrales Sauerstoffatom schickt etwa anderes Licht zurück als ein positiv geladenes Sauerstoffion. Aus der Menge des abgestrahlten Lichts bestimmter Wellenlängen können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler somit auf die Menge verschiedener Sauerstoffspezies zurückschließen.
Wir wissen ziemlich genau, was aus der Quelle vorne rauskommt – das ist nur bei wenigen Quellen der Fall.
Judith Golda
Auf diese Weise stellte das Team fest, dass die Menge der Sauerstoffatome im Plasma exponentiell mit der Entfernung zur Quelle abnimmt. Mit analytischen Modellen zeigten sie auch die Gründe dafür. „Weil die Teilchen so reaktiv sind, reagieren sie schnell zu anderen Verbindungen weiter, etwa zu molekularem Sauerstoff oder Ozon“, schildert Judith Golda. Auch die reaktiven Spezies, die sich durch eine Beimischung von Stickstoff in die Quelle ergeben, erforscht das Team, zum Beispiel Stickstoffmonoxid (NO). Das ist für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besonders interessant, weil NO auch im menschlichen Körper als Botenstoff vorkommt und wichtig für die Wundheilung ist. Sie ermitteln beispielsweise das Strömungsmuster der NO-Moleküle, wenn diese aus der Plasmaquelle auf eine Oberfläche treffen.
Insgesamt, so Judith Golda, sei der COST-Jet schon sehr gut charakterisiert. „Wir wissen ziemlich genau, was aus der Quelle vorne rauskommt – das ist nur bei wenigen Quellen der Fall“, sagt sie.