Newsportal - Ruhr-Universität Bochum
James Bond im Spiegelbild des Feindes
Als Polizist verkleidet, unentdeckt von den Überwachungskameras, bahnt er sich seinen Weg durch die Londoner U-Bahn: Raoul Silva, ehemaliger MI6-Agent, ist wohl einer der markantesten Bösewichte aller Bond-Filme. Vor der Kulisse der schottischen Highlands in Skyfall wird er ein letztes Mal auf James Bond, Agent 007, treffen. „Skyfall“ ist der erfolgreichste Bond-Film aller Zeiten und Svenja Böhms Lieblings-Bond-Film. Die Kulturwissenschaftlerin hat Bonds Feinde in den vergangenen Jahren genau unter die Lupe genommen und in ihrer Doktorarbeit die gesamte Bond-Reihe – zwölf Romane, neun Kurzgeschichten, 24 Filme – systematisch untersucht. Ihre Forschung zeigt erstmals auf, wie sich die Feindbilder in der Bond-Fiktion über die Jahre entwickelt haben, wonach sie sich gruppieren lassen und wie vielschichtig das Verhältnis von Feind und Held ist.
Im Interview erklärt Böhm, welche kulturellen und gesellschaftlichen Ängste und (geo-)politischen Trends die Romane und Filme widerspiegeln und was uns die Feindbilder über das britische und westliche Selbstbild verraten. Außerdem spricht sie über den neuen Film „Keine Zeit zu sterben“, der heute in die Kinos kommt, und die Frage, wie es mit der Kult-Reihe weitergehen könnte.
Drei Mal wurde er bereits verschoben, nun kommt der von vielen Fans sehnsüchtig erwartete Bond-Film endlich in die Kinos. Worauf sind Sie als Bond-Expertin besonders gespannt?
Ich bin vor allem gespannt darauf zu erfahren, wie sich die Becoming-Bond-Geschichte fortsetzen wird. Das ist ja das Neue an den Craig-Filmen, die serielle Erzählung. Diese hat so viel neue Spannung und Komplexität mit reingebracht. Wie geht sie zu Ende? Wie geht der Film mit den zentralen Themen dieses Reboots, Betrug und Misstrauen, um? Welches Schicksal wird Bonds Geliebte, Madeleine Swann, erfahren: Wird sie, wie Tracy in „On Her Majesty's Secret Service“, Bond heiraten? Und natürlich bin ich auf den neuen Feind, Safin, gespannt: Sticht er ähnlich markant hervor? Ist er ein Feind von außen oder innen?
In Ihrer Doktorarbeit untersuchen Sie systematisch und chronologisch James Bonds Feinde. Was ist ein Feind(bild)?
Feinde, beziehungsweise Feindbilder, sind notwendig, um Identitäten zu bilden. Das Bild des Anderen, insbesondere das Bild des Feindes, ist ein nicht reales Bild, sondern ein Bild, welches das Selbst sozusagen als Gegenentwurf konstruiert. Um den Feind sichtbar zu machen und um uns wiederum davon abgrenzen zu können, braucht es bestimmte fassbare Merkmale, also Merkmale, die den Feind deutlich als Feind kennzeichnen. Insbesondere bei James Bond geht es viel um die Konstruktion von britischer oder westlicher Identität. Das Feindbild ist daher eine sehr fruchtbare Kategorie, um solche Konstruktionen zu untersuchen.
Wie wird der Feind in Bond gekennzeichnet?
In den Bond-Romanen, das hat die bestehende Forschung immer wieder bekräftigt, gibt es klare, wiederkehrende Charakteristika, die den Feind kennzeichnen. In der Regel ist er nicht britisch und hebt sich von Bond durch seine ethnische, sexuelle und physische Andersartigkeit ab. Das wären die sichtbaren Kennzeichen des Feindes. Es gibt aber auch eine Reihe unsichtbarer Merkmale. Insbesondere in den neueren Filmen der Craig-Serie sind die Feinde nicht so leicht als Feinde zu erkennen. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, Held und Feind. In meiner Arbeit spreche ich von einem Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Feindes, welches sich auch durch die verändernden Kontexte, Ängste, Hintergründe erklären lässt.
Die ersten Bond-Romane von Fleming stammen aus den 1950er-Jahren. Wie hat sich das Feindbild über die Jahre verändert?
Die Romane aus den 50ern spiegeln den Ost-West-Konflikt wider und sind eindeutig im kalten Krieg verankert. Hier haben wir den sichtbarsten Feind: die Sowjetunion. Der Feind ist in den Romanen mit sehr markanten Merkmalen versehen. Wir wissen, wie er aussieht und er ist geografisch definiert. Dabei wird der Ost-West-Konflikt gewissermaßen mit einem Nord-Süd-Schema überlagert: Feindfiguren unterschiedlicher Nationalitäten arbeiten für die Sowjets, verschiedene Stereotype und Feindbilder werden so kombiniert. Die Bücher greifen dabei weit verbreitete Anti-Sowjet-Propaganda auf und verstärken diese. Die Leser und Leserinnen haben hier also ein Feindbild vor Augen, das sie schon ganz genau aus den westlichen Medien kennen. Das ändert sich dann schnell in den 1960ern.
Da sind wir immer noch im kalten Krieg, aber …?
Wir sind immer noch im kalten Krieg, genau, aber der Feind ist nun ein anderer und die Grenzen zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit fangen an zu verschwimmen. Zum Einen ist da Blofeld, der, insbesondere in den Filmen, ein Sichtbarkeits-Unsichtbarkeitsparadoxon darstellt. Obwohl er, auf der einen Seite, der ikonischste Bond-Bösewicht ist, wird dieses Bild immer wieder durch seine Unsichtbarkeit untergraben. So verändert er beispielsweise über die Filme hinweg sein Aussehen. In „Diamonds are forever“ haben wir plötzlich sogar zwei Blofelds und wissen nicht, wer der richtige ist.
Neben Blofeld taucht in den 1960ern Spectre als Feind, als feindliche Terrororganisation, auf. Spectre steht nicht mehr im Zusammenhang mit der Sowjetunion, agiert transnational, und gehört so keinem geografischen Raum mehr an. Die Organisation ist schwierig zu greifen, versteckt sich im westlichen Kapitalismus, ist Teil davon. Auf der Repräsentationsebene aber tauchen nach wie vor Bilder des kalten Krieges, bekannte Bilder und Stereotype auf, die den Feind deutlich und sichtbar markieren. Unaufmerksame Zuschauer und Zuschauerinnen bemerken darum teilweise nicht, dass der Feind nicht mehr die Sowjets sind, sondern Spectre. Dieses Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit kulminiert dann in den Brosnan- und vor allem in den Craig-Filmen.
Inwiefern?
In allen Bond-Filmen, die nach dem Fall der Mauer entstanden sind – beginnend mit dem ersten Brosnan-Film, „Golden Eye“ – merkt man, dass bestimmte Unsicherheiten bestehen: Der Feind kommt mehr aus dem Inneren, möchte Kritik, Rache üben. Der Feind ist nicht nur näher dran, er wird auch ungreifbarer. Dieser Trend findet seinen Höhepunkt in den Craig-Filmen. In „Skyfall“ wird sogar an der Heimatfront gekämpft: Es gibt einen Terror-Angriff auf das MI6 und die London Underground. Sehr lange weiß man nicht, wer hinter den Anschlägen steckt, es herrschen Unsicherheit und Angst. Die Craig-Filme nehmen hier konkret Bezug zu post-9/11-Diskursen und post-7/7-Diskussionen um Überwachung und Anti-Terror-Maßnahmen, spiegeln die Paranoia, Angst vor Anschlägen wider – ähnlich wie Serien wie „Homeland“.
Die Craig-Filme bieten auch den unsichtbarsten Feind. Als Repräsentant einer unbekannten Terrororganisation identifiziert Bond am Ende des ersten Craig-Films einen Mister White, der überhaupt nicht markant oder skurril ist, sondern weiß wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Bis dahin haben uns andere, sichtbare, auffällige Feinde in die Irre geführt, die sich merklich von uns unterscheiden. Erst relativ spät, im vierten Craig-Film, erfahren wir, dass die Terrororganisation Spectre im Hintergrund die eigentlichen Fäden zieht und der wahre Bösewicht Blofeld ist – Bonds Pflegebruder. Der wahre Feind ist uns viel ähnlicher und näher, als wir glauben. Und alles scheint miteinander verwoben zu sein: die Terrororganisation Spectre mit dem MI6, der Regierung, global agierenden Unternehmen des westlichen Kapitalismus und James Bond selbst. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwinden.
Was sagen die unterschiedlichen Feindbilder in den Romanen und Filmen über das jeweilige Selbstverständnis, die nationale Identität Großbritanniens aus?
Der Feind dient als Projektionsfläche des Helden und des britischen beziehungsweise westlichen Selbstbildes. Er ist mit den Merkmalen ausgestattet, die man selbst nicht haben möchte, wie etwa einem oberflächlichen Kapitalismus, zweifelhaften Geheimdienstoperationen, dubiosen Überwachungsmaßnahmen und Anti-Terror-Gesetzen, die die Demokratie angreifen. Dies wird alles auf den Feind übertragen. Paradoxerweise charakterisiert aber eben genau dies die britische Politik, und, wenn man genau hinschaut, werden diese Maßnahmen auch vom MI6 in den Craig-Filmen benutzt.
Wie hat sich das Selbstverständnis gewandelt?
Die Romane der 1950er-Jahre haben ein sehr positives Bild von Britishness gezeichnet, das sich leicht vom Anderen im Osten abgrenzen ließ. Auch heute geht es noch immer um die Verhandlung von britischer Identität, aber das positive Bild wird auch hinterfragt. Am Ende ist es zwar immer noch Bond, der die Welt und Großbritannien rettet, aber die Abgrenzung zum Bösen ist schwieriger und unklarer geworden.
Der Film „Spectre“ zeigt deutlich: Der Feind ist immer noch anders – Blofeld ist mit einer Narbe gekennzeichnet, vermutlich Österreicher – aber der Grund, warum er so agiert, wie er agiert, hat mit Bond zu tun. Das gilt auch für den Feind in „Sykfall“, Raoul Silva. Sein Akzent, seine sexuelle Hybridität, seine Gesichtsprothese kennzeichnen ihn als anders; als ehemaliger Agent jedoch entstammt er den gleichen Reihen wie Bond. Von der Vorgesetzten im Stich gelassen und von Feinden gefoltert, nimmt er nun Rache. Diese Komplexität ist neu. Der Feind ist Teil Großbritanniens und Großbritannien trägt Schuld an der Existenz des Feindes. Der Film deutet auf interne Identitätsprobleme hin, wirft die Frage auf, was eigentlich Britishness heißt. Auf der anderen Seite lassen die Filme eine Sehnsucht nach sichtbaren Feinden erkennbar werden. Der Wunsch nach klaren Grenzen, wie im kalten Krieg, ist da.
Welche Rolle spielen Kameratechniken bei der Konstruktion des Feindes in den Bond-Filmen?
Es gibt sehr prägnante Kameraeinstellungen in den neueren Bond-Verfilmungen, die das Spiel mit der Sichtbarkeit beziehungsweise Unsichtbarkeit des Feindes unterstreichen und verstärken. Häufig wird mit Licht und Schatten gespielt. Um den Feind nicht sichtbar zu machen, ist sein Gesicht zum Beispiel erst im Schatten. Er gibt sich nicht zu erkennen. Es gibt auch Kameraeinstellungen, in denen Bond halb im Schatten ist und sich die Zuschauer fragen, ob das nun der Feind ist. Hier verschwimmen auch auf der Repräsentationsebene die Grenzen zwischen Gut und Böse. Im Bond-Film „Spectre“ gibt es diese eine, sehr prägnante Szene, in der Blofeld am Ende im alten MI6-Gebäude auf Bond trifft. Sie stehen sich gegenüber und nur noch eine Glasscheibe trennt sie voneinander. Darin spiegeln sich ihre Gesichter so, dass sie sich überlappen, die Gesichter von Freund und Feind verschwimmen. Das Visuelle überlagert und relativiert den Plot.
Wie erklären Sie sich den Bond-Kult, die Popularität des britischen Geheimagenten und das Interesse der Forschung daran?
Insgesamt gesehen scheint die James-Bond-Formel einfach gut anzukommen. Es gibt feste Bestandteile und wiederkehrende Elemente, wie den Titelsong, die Feind-Freund-Konstellation, die zweifelhafte Kategorie des Bond-Girls, der Umgang mit Ängsten … Ich denke, der Erfolg liegt vor allem in der Anpassungsfähigkeit der Filme begründet. Die Bond-Romane und Filme werden ja als Zeichen der Zeit verstanden. Sie gehen mit der Zeit, greifen gesellschaftliche Trends und geopolitische Entwicklungen auf.
Im Hinblick auf jüngste Entwicklungen auf internationaler (Afghanistan-Einsatz) und europäischer Bühne (Brexit): Wie könnte die Bond-Serie weitergesponnen werden?
Die Craig-Filme haben James Bond ganz klar als professionellen Killer dargestellt, der für den Secret Service arbeitet. Das war so immer schon in den Romanen angelegt, aber zuletzt wurde die license to kill ganz offensichtlich hinterfragt. Die Vorgänger-Filme üben Kritik an westlichen Geheimdiensten und Regierungen. Bond greift Diskussionen um Anti-Terror-Abwehr-Gesetze oder das Handeln von Geheimdiensten und Militär auf und spiegelt so im weiteren Sinne auch Debatten um den Einmarsch in Afghanistan und das Gefangenenlager Guantanamo wider.
Die spannende Frage wird sein: Werden sich die neuen Filme mehr mit Fragen des Inneren befassen, der Zukunft Großbritanniens, oder mit Fragen des Außen? Wird Großbritannien mit neuer Stärke zurückkommen, das alte Empire erwachen und Bond in die Welt reisen, um diese zu retten? Oder wird es weiterhin um Unsicherheiten gehen, auch im eigenen Land? Was bedeutet die Abspaltung von der EU, der Brexit?
Wagen Sie eine Prognose: Wer wird der nächste Bond?
Man kann nur einen Bond auf einmal lieben. Ich bin großer Fan von Daniel Craig als James Bond. Es wird also schwierig für mich, mich an einen neuen Bond-Darsteller zu gewöhnen. Das kann ich mir aktuell nicht vorstellen. Ich wünsche mir jedoch, dass es bei der Neubesetzung mehr in Richtung eines Nicht-Weißen gehen würde. Es wäre an der Zeit.
Svenja Böhm: Enemy images in the James Bond series. Narratives of visibility and invisibilty, Königshausen u. Neumann, Würzburg 2020, 316 Seiten, ISBN 9783826070198
30. September 2021
09.52 Uhr