Geschichtswissenschaft Unerforschte Heldinnen des Alltags
Die Geschichte der Verkäuferinnen in den Großfilialbetrieben des Lebensmitteleinzelhandels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schreibt ein neues Projekt.
In der Corona-Krise erlebte das – traditionell vorwiegend weibliche – Verkaufspersonal im Lebensmitteleinzelhandel eine bis dahin nicht gekannte gesellschaftliche Anerkennung. Bisweilen wurden die Verkäuferinnen als Heldinnen des Alltags gefeiert. Ihre Geschichte ist noch ungeschrieben. Das soll ein Projekt ändern, das Dr. Daniela Rüther am Lehrstuhl für Frühe Neuzeit und Geschlechtergeschichte der RUB leitet. Im Fokus steht die Geschichte der Verkäuferinnen in den Großfilialbetrieben des Lebensmitteleinzelhandels in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert es für drei Jahre mit 300.000 Euro.
Lebensgestaltung jenseits der Versorgungsehe
Die Großfilialbetriebe im Lebensmitteleinzelhandel gelten als Wegbereiter der modernen Konsumgesellschaft. Ihre Erfolgsgeschichte wird von der Forschung bislang auf die Effizienz und Wirtschaftlichkeit dieser Unternehmensform zurückgeführt. Die boomende Konsumgeschichte interessiert sich vor allem für die Menschen, die vor der Ladentheke standen. Die Frauen, die dahinterstanden und die Waren über den Verkaufstisch an den Mann beziehungsweise die Frau brachten, sind bis heute nicht in den Blick der Forschung geraten. In Deutschland drängte erst in den 1950er-Jahren die Selbstbedienung die qualifizierte Verkaufstätigkeit im Lebensmitteleinzelhandel zurück.
„Dieses innovative Projekt verspricht, über den engeren Bereich der Lebensmittelbranche hinaus ganz neue Erkenntnisse zur weiblichen Angestelltentätigkeit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zu liefern“, sagt Prof. Dr. Maren Lorenz, Inhaberin der Professur für Frühe Neuzeit und Geschlechtergeschichte, die zugleich geschäftsführende Leiterin des Historischen Instituts und stellvertretende Sprecherin des Marie Jahoda Center for International Gender Studies der RUB ist. „Das umfasst vor allem auch Geschlechterrollen und Spielräume für selbstständige Lebensgestaltung jenseits der gesellschaftlich von Frauen aller Schichten erwarteten Versorgungsehe.“