Kosmologie Bochumer Forscher an Weltraummission „Euclid“ beteiligt
Das Weltraumteleskop Euclid soll eines der größten Rätsel der Physik lösen. Ein entscheidendes Puzzlestück für die Auswertung der Daten steuert der Bochumer Forscher Hendrik Hildebrandt bei.
„Es ist die größte Mission, an der ich je beteiligt war“, stellt Prof. Dr. Hendrik Hildebrandt fest, als er über an den Start des Weltraumteleskops Euclid spricht. Rund 1.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa, Nordamerika und Japan sind Teil des Forschungskonsortiums, das die Mission vorbereitet hat. Mit Spannung fiebert Hildebrandt nun dem Start entgegen. Im Juli 2023 ist wird so weit sein.
Mission Euclid
Euclid will nichts weniger, als eine der größten physikalischen Fragen unserer Zeit beantworten. Nämlich warum sich die Expansion des Universums beschleunigt. „Das Phänomen ist seit über 20 Jahren bekannt“, sagt Hildebrandt, Leiter des Lehrstuhls Beobachtende Kosmologie an der Ruhr-Universität Bochum. „Aber warum tut unser Universum das? Steckt zum Beispiel ein bestimmtes Teilchen dahinter? Es gibt viele Theorien, die alle unter dem Sammelbegriff der Dunklen Energie zusammengefasst werden.“ Die Natur dieser mysteriösen kosmologischen Größe will das Euclid-Team ergründen.
Euclid erfasst die Geschichte der Weltallexpansion
Voraussichtlich sechs Jahre wird das Teleskop Daten sammeln. Eine Rakete des Unternehmens SpaceX befördert es an einen Ort, der rund viermal weiter entfernt als der Mond auf der sonnenabgewandten Seite der Erde liegt. Von hier aus wird Euclid ein Drittel des Himmels beobachten. Anders als das Hubble-Weltraumteleskop, das nur einen winzigen Ausschnitt des Himmels sieht, hat Euclid quasi ein Weitwinkelobjektiv. Bilder von rund zehn Milliarden Galaxien soll es aufnehmen. Dabei schaut es in bis zu zehn Milliarden Lichtjahre Entfernung und somit auch in die Vergangenheit des Universums. Da das Licht eine gewisse Zeit braucht, um die Erde zu erreichen, sehen die Kosmologinnen und Kosmologen, je weiter sie schauen, immer frühere Zustände des Universums.
Anhand der Euclid-Daten kann das Team herausfinden, wie die Materie im Weltall im Lauf der Zeit verteilt war und wie sich Strukturen daraus gebildet haben. „Nach dem Urknall war die Materie relativ gleichmäßig verteilt“, sagt Hendrik Hildebrandt. „Durch Dichtefluktuationen gab es aber Bereiche, die ein wenig dichter waren als andere – und die Gravitation hat dafür gesorgt, dass sie im Lauf der Zeit immer dichter wurden.“ So entstanden Strukturen wie die Galaxien oder Galaxienhaufen.
Um die Materieverteilung zu bestimmen, nutzen die Forschenden den Gravitationslinseneffekt. Dazu müssen sie auch die Entfernung aller Galaxien zur Erde messen, was mithilfe der Rotverschiebung erfolgt: Das Licht von weiter entfernt liegenden Galaxien ist zu röteren Wellenlängen verschoben.
Experte für die Datenkalibrierung
Hier kommt die Expertise von Hendrik Hildebrandts Team ins Spiel. Denn die Rotverschiebung ist gar nicht so leicht zu detektieren. Üblicherweise dienen spektroskopische Messungen als Grundlage. In einem Spektrum wird exakt aufgetragen, wie viel Licht eine Galaxie bei verschiedenen Wellenlängen aussendet, sodass präzise bestimmt werden kann, wie stark das Licht in den roten Bereich verschoben ist. Spektroskopische Messungen sind allerdings aufwendig und unmöglich für Milliarden von Galaxien zu machen. Euclid nutzt daher ein vereinfachtes Verfahren: Es nimmt Bilder der Galaxien in verschiedenen Farbbändern auf, zum Beispiel eines im blauen, eines im grünen und eines im roten Bereich. Dann ermitteln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Helligkeit der Galaxie in den verschiedenen Bildern. So lässt sich die ungefähre Rotverschiebung messen.
Damit das Verfahren möglichst exakt funktioniert, muss es kalibriert werden. Genau hierfür ist Hendrik Hildebrandt weltweit als Experte gefragt. Seit 2011 ist er in die Vorbereitungen zur Euclid-Mission involviert. In Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in Genf, Marseille, Barcelona, Bologna, München und Pasadena nutzt er Daten von anderen Beobachtungsprogrammen, die in kleinen Himmelsbereichen spektroskopische Messungen durchgeführt haben. „In diesen Bereichen gibt es also Galaxien, über die wir sehr viel wissen“, erklärt der Kosmologe. Dieses Wissen können die Forschenden mit den neuen Aufnahmen von Euclid zusammenbringen und so eine Kalibrierung vornehmen, die es erlaubt, die Rotverschiebung auch von neu aufgenommenen Galaxien zuverlässig zu bestimmen. Denn nur wenn die Entfernungen der Galaxien bekannt sind, kann das Euclid-Team die Expansionsgeschichte und das Wachstum der Strukturen des Universums rekonstruieren – und so ergründen, was es mit der Dunklen Energie auf sich hat.
Relativitätstheorie im Test und Neutrinos auf der Waage
Nebenbei widmet sich Euclid noch anderen Fragen, testet zum Beispiel Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie in Bereichen, in denen sie noch nie zuvor auf den Prüfstand gestellt worden ist. Oder versucht, die bislang unbekannte Masse von Neutrinos – einer Sorte von Elementarteilchen – zu ermitteln. Aber das ist noch nicht alles.
Ich bin mir fast sicher, dass wir etwas Neues finden werden. Etwas womit wir jetzt noch gar nicht rechnen.
Hendrik Hildebrandt
„Euclid wird an so viele Stellen des Universums gucken, wo wir noch nie zuvor hingeschaut haben“, schwärmt Hendrik Hildebrandt. „Wenn wir in 20 bis 30 Jahren auf die Mission zurückschauen, wird sie uns eventuell gar nicht für die Erkenntnisse in Erinnerung geblieben sein, für die sie ursprünglich gestartet wurde – sondern für Dinge, die wir jetzt gar nicht erwarten. Das ist vielleicht das Tollste an dieser Mission: Ich bin mir fast sicher, dass wir etwas Neues finden werden. Etwas, womit wir jetzt noch gar nicht rechnen.“