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Auf los geht’s los
Nachts, wenn alles ruhig ist und nur das Rauschen der Wellen am Strand der kleinen Insel Banda Naira zu hören ist, startet Dr. Mareike Huhn vom Lehrstuhl für allgemeine Zoologie und Neurobiologie der Ruhr-Universität Bochum ihre Beobachtungstauchgänge im Indo-Pazifik. Grün und braun leuchten die Steinkorallen im Licht ihrer Taschenlampe auf. Zwischen den verwinkelten Strukturen schwimmen bunte Rifffische umher, die hier Schutz und Nahrung finden. Und manchmal geschieht etwas Erstaunliches: Wie auf Kommando entlassen die Korallen Millionen Bündel aus Eizellen und Spermien in das Wasser, die wie ein orange-gelber Schneesturm aus dem Riff aufsteigen. Über diesen Vorgang ist noch nicht allzu viel bekannt, doch das Verständnis darüber ist wichtig, will man die Korallenriffe unserer Erde schützen.
Korallen sind extrem wichtig für das Leben auf der Erde.
Seit vielen Jahren lebt Mareike Huhn auf den Banda-Inseln in Indonesien, um dort Korallen zu erforschen. Das Gebiet weist mit etwa 330 Arten eine besonders hohe Artendichte auf. „Korallen sind extrem wichtig für das Leben auf der Erde“, so die Meeresbiologin. „70 bis 80 Prozent des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre kommen aus dem Ozean, nicht etwa aus Wäldern an Land. In Korallenriffen findet in den dort beheimateten kleinen Algen Fotosynthese 100-mal effizienter statt als im offenen Meer“, erklärt die Forscherin. Außerdem sind Korallenriffe äußerst artenreich. Ein Viertel aller Arten im Meer lebt in oder von Korallenriffen.
Aktuell möchte Mareike Huhn herausfinden, wie sich die teilweise weit auseinanderstehenden Korallenpopulationen einer Art synchronisieren, so dass alle gleichzeitig ablaichen und eine hohe Befruchtungsrate gewährleistet ist.„Wenn wir die Korallenriffe unserer Erde erhalten wollen, müssen wir in der Lage sein, beschädigte Riffe zu restaurieren. Das bedeutet, dass wir in Riffen, die durch Klimawandelfaktoren absterben, neue Korallen ansiedeln“, so Mareike Huhn.
Schutz der Korallen
Bis vor einigen Jahren sind dafür Taucher in ein bestehendes Riff gegangen und haben dort abgebrochene Stücke eingesammelt oder sogar Korallenstücke abgebrochen und an anderer Stelle neu eingesetzt. „Dabei schädigt man aber das Riff, dem man die Korallen entnimmt. Außerdem eignet sich diese Vorgehensweise nur für solche Korallenarten, die Verzweigungen ausbilden“, erklärt Mareike Huhn. Ein weiterer Nachteil: Pflanzt man abgebrochene Korallenstücke wie einen Pflanzensetzling ein, so vermehrt man ihn asexuell, also ohne dass sich die Gene zweier verschiedener Populationen mischen. Auf Dauer kann das zu Krankheiten und weniger resistenten Kolonien führen.
Der Ansatz, den Mareike Huhn mit ihrer Forschung weiter vorantreiben möchte, sieht ganz anders aus: Sie sammelt im Meer die Eier-Spermien-Bündel von Korallen ein und verwahrt sie die ersten fünf Tage in Aquarien. Das ist die Zeit, in der sich die Larven so weit entwickeln, dass sie fähig sind, sich am Meeresboden anzusiedeln. Anschließend setzt sie die Larven in einem beschädigten Riff aus.
Voraussetzung dafür ist, dass sie möglichst genaue Kenntnis über das Ablaichen der Korallen hat. Die ersten Hinweise, wie sich die Korallen um die Banda-Inseln zeitlich dabei synchronisieren, bekam Mareike Huhn im Jahr 2016.
Zufällige Beobachtung
„Damals lebte ich schon auf den Banda-Inseln und bekam rein zufällig mit, dass die Korallen hier ablaichten. Gleichzeitig wurde in den Nachrichten erwähnt, dass im etwa 1.000 Kilometer entfernten, australischen Great Barrier Reef ein massenhaftes Ablaichen beobachtet wurde“, so die Biologin. Sie nahm ihre zufälligen Beobachtungen zum Anlass für ein ausgedehntes Monitoring. Ist es möglich, dass die Korallen sich auf irgendeine Weise verständigen, wann der Zeitpunkt des Ablaichens gekommen ist?
Mareike Huhn und die anderen, meist einheimischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, mit denen sie zusammenarbeitet, überlegten sich eine Vorgehensweise, wie sie die Eier-Spermien-Bündel der Korallen einfangen und untersuchen können. Dazu bauen sie Eierfallen. Diese bestehen aus einer auf dem Kopf stehenden PET-Flasche, in deren Öffnung ein umgedrehter großer Küchentrichter ragt. Die Flasche wird mit etwas Luft gefüllt, so dass sie Auftrieb hat. Diese Konstruktion befestigen die Forschenden knapp über einer Koralle. Laicht diese ab, schwimmen die Bündel direkt in die Eierfalle, denn der Laich ist so tariert, dass er immer nach oben zur Wasseroberfläche strebt.
Befruchtung im Aquarium
Die so eingesammelten Eier-Spermienbündel verschiedener Kolonien werden in einem Gefäß mit steril filtriertem Meerwasser vorsichtig vermischt. Dadurch brechen die Bündel auf. Die Zellen werden untersucht und ihre DNA extrahiert, um genau bestimmen zu können, um welche Korallenart es sich handelt. Die Eizellen einer Kolonie können sich nun mit den Spermien anderer Kolonien mischen. Die Befruchtung muss innerhalb von zwei Stunden erfolgen. Innerhalb von 24 Stunden entwickeln sich dann Larven.
Um mehr über die Synchronisation der Korallen zu erfahren, gleichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Zeitpunkt des Ablaichens mit verschiedenen Umweltfaktoren ab. So wollen sie mehr darüber erfahren, welche Signale das Ablaichen auslösen. Wie ist die Tide am besagten Tag? Wie sind die mittleren Wassertemperaturen und die Tageslänge? Wann geht an diesem Tag der Mond auf und unter? Ist Voll- oder Neumond?
Es muss mehrere Ausschlaggeber geben.
„Es muss mehrere Ausschlaggeber geben“, fasst Mareike Huhn ihre Beobachtungen zusammen. „Die Eizellen müssen erst über mehrere Wochen hinweg in der Koralle reifen, bevor sie laichen kann. Auch das Einsetzten dieses Reifeprozesses muss durch irgendetwas ausgelöst werden – und zwar für alle Korallen einer Art gleichzeitig. Und dann muss der Zeitpunkt des eigentlichen Ablaichens synchron ausgelöst werden“, so Huhn.
Ihre Aufzeichnungen gaben Antworten auf diese Rätsel: Umweltfaktor Nummer eins, der die Eizellreifung auslöst, ist demnach die Wassertemperatur. Diese stieg immer genau einen Monat vor dem Ablaichen an. Dabei spielt sowohl der relative Temperaturanstieg der Oberflächentemperatur des Wassers eine Rolle – diese muss innerhalb von vier Wochen um 0,5 bis ein Grad Celsius steigen – als auch die totale Temperatur, welche zwischen 28 und 30 Grad liegen muss.
Die Rolle des Mondes
Doch wie synchronisieren sich die teils mehrere hundert Meter auseinanderstehenden Korallen, was die genaue Nacht des Ablaichens angeht? „Dafür spielt der Mond eine große Rolle, dessen Licht die Tiere über Lichtrezeptoren auf ihrer Körperoberfläche wahrnehmen“, erklärt Mareike Huhn. „Immer fünf, sechs oder sieben Tage nach Vollmond laichen die Korallen ab. Die genaue Anzahl der Tage hängt von der Art der Korallen ab.“
Die bisherigen Erkenntnisse helfen den Forschenden dabei, ein besseres Verständnis vom Leben der Korallen zu bekommen. Außerdem können sie so gezielt in den Nächten, in denen das Ablaichen erwartet wird, ihre Tauchgänge starten und weitere Beobachtungen anstellen sowie Eier einsammeln, um sie zu untersuchen.
„Mit unserer Forschung sind wir noch längst nicht am Ende, es gibt noch unzählige offene Fragen“, verdeutlicht Mareike Huhn. Sie wird wohl auch die kommenden Jahre viel Zeit in ihrer zweiten Heimat Indonesien verbringen.
Korallen können sich asexuell und sexuell vermehren. Bei der asexuellen Vermehrung teilen sie sich, wobei genetische Kopien entstehen. Die sexuelle Vermehrung ist wichtig für die genetische Vielfalt. Damit sich die Ei- und Spermazellen verschiedener Kolonien befruchten können, müssen diese synchron ablaichen. Die sich aus befruchteten Eiern entwickelnden Larven treiben mit der Strömung im Meer, bis sie an einen geeigneten Platz kommen, wo sie sich niederlassen und eine neue Kolonie gründen.
1. Juni 2023
09.32 Uhr