Diskriminierung im Fußball Deutlich mehr als Einzelfälle
Die Meldestelle für Diskriminierung im Fußball zieht nach ihrem ersten Jahr Bilanz in Nordrhein-Westfalen und legt ihren Bericht für 2022 vor.
Dass bei Diskriminierung im Fußball nicht von Einzelfällen gesprochen werden kann, ist für das Fußball-Land Nordrhein-Westfalen nun erstmals wissenschaftlich belegt. Die seit Januar 2022 agierende Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in Nordrhein-Westfalen (MeDiF-NRW) hat ihren Jahresbericht 2022 vorgelegt. 534 Meldungen zu 201 Vorfällen hat es demnach im Untersuchungszeitraum von Anfang Juli bis Ende November 2022 gegeben. Ein Drittel aller Meldungen bezog sich auf sexistische Vorfälle. Insgesamt sind bis dato, Stand Juli 2023, mehr als 900 Meldungen über diskriminierende Vorfälle im Fußball bei MeDiF-NRW eingegangen.
Bei der Meldestelle handelt es sich um ein Kooperationsprojekt zwischen der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte NRW (LAG) und dem Lehrstuhl für Ethnologie an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Das Projekt leitet der Bochumer Kulturwissenschaftler Dr. David Johannes Berchem gemeinsam mit Elena Müller. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen fördert das Vorhaben.
Breite Spanne der Diskriminierungsformen
Die Spanne der Diskriminierungsformen im Fußball reicht von Sexismus und Rassismus über Queerfeindlichkeit, Antisemitismus, Ableismus, Klassismus, Abwertung von Asylsuchenden bis hin zu Antiziganismus und Islamfeindlichkeit. In ihrem umfangreichen Bericht geht die Meldestelle auf all diese Formen einzeln ein, veranschaulicht deren Ausprägungen und gibt schließlich konkrete Handlungsempfehlungen.
Der Bericht steht auf dieser Webseite zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Gründe für Diskriminierung
Warum es überhaupt eine Meldestelle braucht und wie es zu Diskriminierungen im Fußball kommt, erläutert David Johannes Berchem im vorliegenden Jahresbericht in einem Interview: „Der Fußballsport ist ein populärkultureller Player, den diverse Akteur*innen stets mit der Metapher ‚Brennglas der Gesellschaft‘ versehen. Damit ist gemeint, dass sich im Stadion, auf den Fußballplätzen von Amateur*innenvereinen, in der Eckkneipe, beim Public Viewing und auf Social Media soziale Prozesse und Phänomene in intensivierter Form beobachten lassen, die auch in der Gesamtgesellschaft existieren“, so der Experte.
Oft ist zu hören: Das wird man ja wohl beim Fußball noch sagen dürfen!
David Johannes Berchem
„Zudem bietet der Fußball eine spezifische Gelegenheitsstruktur, die eine Diskriminierung von ‚fremd‘ oder ‚anders‘ gelabelten Personen befördert. Emotionen, Rauschzustände, Rivalitäten, stereotype Eigen- und Fremdbilder und das Denken in Kategorien ‚Wir‘ versus ‚die Anderen‘ sind der Nährboden für Anfeindungen und Ausgrenzungen. Diese aufgeladene, hitzige und enthemmte Atmosphäre wird dann schnell als eine Art Rechtfertigung verstanden, um diskriminierende Äußerungen und Handlungen zu legitimieren, kleinzureden oder zu bagatellisieren. Oft ist zu hören: Das wird man ja wohl beim Fußball noch sagen dürfen!“
Aufgabe der Meldestelle ist es daher unter anderem, sowohl belastbare quantifizierbare Daten zu diesem Thema zu sammeln als auch qualitative Analysen vorzulegen. Damit soll MeDiF-NRW einen gewichtigen Beitrag zu einer Fußballkultur leisten, in der Diskriminierung keinen Platz mehr hat.