Sozialwissenschaft Luxusgut mollig warme Wohnung
Beim Heizen ließe sich jede Menge Energie sparen. Sabrina Glanz weiß, was es so schwierig macht.
Etwa 70 Prozent des Energieverbrauchs privater Haushalte entfallen auf die Heizung. Wenn es ums Energiesparen geht, müsste hier ein Potenzial zu finden sein. Doch die vorhergesagten Einsparungen durch technische Anpassungen wie Heizungsmodernisierung oder energetische Sanierung von Gebäuden werden in der Realität häufig nicht erreicht. Warum ist das so? „Rein technikzentrierte Ansätze lassen den Faktor Mensch außen vor“, sagt Sabrina Glanz. Für ihre Doktorarbeit, die sie an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum bei Prof. Dr. Rolf Heinze schreibt, hat sie Menschen befragt, wie sie heizen.
Rund 1.400 Personen beteiligten sich an ihrer Online-Umfrage, die sie im Jahr 2019 durchführte – wohlgemerkt vor der Energiekrise 2022/23. Deutschlandweite Daten zum Heizverhalten unabhängig vom Heizsystem waren bis dahin selten. Bewusst fragte Sabrina Glanz nicht danach, auf wie viel Grad Celsius die Menschen ihre Wohnungen im Winter heizen. „Aus anderen Studien ist bekannt, dass die Angaben häufig unzuverlässig sind und von den tatsächlich gemessenen Raumtemperaturen stark abweichen“, meint sie. Vielmehr interessierte es sie, wie das Heizen in den Alltag eingebettet ist, was die Leute wissen, was sie beherzigen, warum sie heizen.
63 Prozent der Befragten kannten ihre Heizkosten nicht
So fragte sie neben soziostrukturellen Daten, Wohnsituation im sanierten oder nicht sanierten Haus, Art der Heizung und Zusammensetzung des Haushalts zum Beispiel die Höhe der jährlichen Heizkosten ab. „Aufschlussreich war für mich, dass 63 Prozent der Befragten diese Kosten nicht kannten, aber dennoch über 70 Prozent angaben, energiesparend zu heizen, um Kosten zu sparen“, berichtet sie. Einen Einfluss von soziostrukturellen Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Einkommen auf energiesparendes Heizverhalten konnte sie nicht belegen. Dennoch gaben knapp 10 Prozent der Befragten an, dass das Haushaltseinkommen nicht ausreichend sei, um den Wohnbereich angemessen zu heizen.
Wenig überraschend war, dass 80 Prozent der Teilnehmenden mit fossilen Brennstoffen heizten, überwiegend Gas oder Öl. Dies entspricht in etwa der Verteilung in der Grundgesamtheit. Die Versorgungssicherheit schätzten damals fast alle als unproblematisch ein. Auch wurde im Alltag kaum über das Heizen nachgedacht und kaum Zeit dafür aufgebracht. „Diese Antworten unterstreichen, dass das Heizen in den meisten Fällen etwas vollkommen Routiniertes ist, das im Hintergrund abläuft und das man sich im Alltag gar nicht bewusst macht“, sagt Sabrina Glanz. Das mache es auch so schwierig, hier Energie einzusparen.
Langfristig zeigt die Veränderung der sogenannten Materialitäten Wirkung, das heißt die Änderungen an Geräten und Gebäuden, die auch durch das Heizungsgesetz beschleunigt werden sollen. „Ohne eine Veränderung des Verhaltens der Menschen wird das Einsparpotenzial aber nicht ausgeschöpft werden können.“ Dazu sei es auch wichtig, noch mehr Wissen zu vermitteln und Bewusstsein zu schaffen. „Nur etwa 15 Prozent der Teilnehmenden meiner Umfrage haben angegeben, energiesparendes Heizen als schwierig zu empfinden, und 50 Prozent meinen, auch sparsamer zu heizen als die Menschen in ihrem sozialen Umfeld“, berichtet Sabrina Glanz.
Dennoch werden Sparpotenziale nicht eingelöst, die die Technik ermöglicht. Gewisse Grundwahrheiten hätten die Menschen zwar bereits verinnerlicht, zum Beispiel dass man nicht dauerhaft kipplüften, sondern lieber hin und wieder stoßlüften solle. „Gerade falsches Lüften führt auch in energetisch sanierten Wohnungen zu unnötigem Energieverbrauch, wie andere Studien zeigen. Wenn etwa in gut gedämmten Wohngebäuden zu Zwecken der Abwärme gelüftet wird, weil die Wohnungen überheizt sind, oder wenn in Passivhäusern nicht auf die Fensterlüftung verzichtet werden will“, gibt sie ein Beispiel. „Der Mensch wird aus dem Blickwinkel der Technik als der Störfaktor betrachtet.“
Der Wandel der Wohlfühltemperatur
Der Schlüssel zur Einsparung liegt in unseren Ansprüchen. „Zwischen den 22 Grad, die heute als Wohlfühltemperatur gelten, und einer zu niedrigen Temperatur, die Mensch und Gebäude schadet, ist ein großer Spielraum, auch je nach Tätigkeit oder gesundheitlicher Verfassung“, sagt sie. Das unterstützen auch die Ergebnisse ihrer Befragung. 50 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass eine geringere Raumtemperatur ihre Lebensqualität nicht oder nur teilweise einschränken würde. 13 Prozent meinten sogar, sie bräuchten gar keine warm beheizte Wohnung, um sich wohlzufühlen. Die Diskussionen um die Appelle zur Senkung der Wohnraumtemperatur auf 19 Grad im Winter 2022/23, in dem die Versorgungssicherheit mit Erdgas bedroht war, sagen etwas anderes aus.
„Aber letztlich heizen wir für unseren Komfort – und die Vorstellung von Komfort kann sich auch wandeln“, so Sabrina Glanz. Sie gibt zu bedenken, dass vor der flächendeckenden Verbreitung der Zentralheizung mit Einzelöfen geheizt wurde, die man selbst anfeuern musste. Noch vor 60 Jahren war es keineswegs üblich, dass die Wohnung morgens schon warm und alle Zimmer immer angenehm temperiert waren. „Heizen war deutlich aufwändiger, und man hat sich meist auf einzelne Räume beschränkt“, sagt sie. Die Räume waren zudem häufig kleiner als heute, wo der Trend zu immer offeneren Wohnkonzepten geht und die Wohnfläche pro Person immer größer wird. „Wenn wir Energie einsparen wollen, müssten sich auch solche Trends wandeln“, meint sie.
Was nach der Energiekrise kommt
Aus dem Wärmemonitor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, welcher jährlich den Heizenergieverbrauch in Zwei- und Mehrfamilienhäusern in Deutschland untersucht, lässt sich ablesen, dass im Jahr 2022 insgesamt fünf Prozent Heizenergie eingespart wurde. „Da das für das ganze Kalenderjahr ausgewertet wird, wird die Einsparung im Winter 2022/23 vielleicht etwas höher ausgefallen sein“, schätzt Sabrina Glanz. Diese Einsparungen resultieren wohl vor allem aus der Angst vor den drohenden hohen Kosten. „Wenn die Kosten wieder sinken, wird auch der Verbrauch wieder ansteigen“, prophezeit sie. „Oder wer kann, gewöhnt sich auch an die höheren Preise.“ Als eine Stellschraube der Wärmewende komme es daher zukünftig darauf an, Maßnahmen zu entwickeln, die das Verständnis von Heizen langfristig verändern.