Medizin Wenn Killerzellen auf Abwege geraten
Immunzellen erkennen infizierte Zellen und räumen sie normalerweise aus dem Weg. Doch einige von ihnen stehen in Verdacht, chronische Atemwegserkrankungen zu begünstigen.
Schnupfen- und Grippeviren, Bakterien, Hefepilze, Parasiten: Unentwegt versuchen sie, in unsere Körper einzudringen. In den meisten Fällen scheitern sie am körpereigenen Verteidigungssystem, dem Immunsystem. Die angeborenen Abwehrzellen, die zum Beispiel in der Haut und in den Schleimhäuten der Oberflächen-Organe Lunge oder Darm sitzen, halten die Eindringlinge auf. Gelingt es den Erregern doch, die erste Barriere zu überwinden, greift das erworbene Abwehrsystem, das immunologische Gedächtnis. Zu den Gedächtniszellen zählen auch die T-Lymphozyten, die sich etwa im Gewebe der Lunge ansiedeln. Eine Unterform, die T-Killerzellen, spüren infizierte Zellen auf und vernichten sie mit ihren Zellgiften. Aber nicht immer. So stehen sie auch in Verdacht, chronische Erkrankungen, wie etwa Asthma, zu verschlimmern. Wann das der Fall ist? Das untersuchen die Immunologen Prof. Dr. Ingo Schmitz und Privatdozent Dr. Marcus Peters im Verbundprojekt „Das Immunologische Gedächtnis der Asthmatischen Lunge“ gemeinsam mit ihrer Bochumer Kollegin, Prof. Dr. Barbara Sitek, sowie mit Forschenden des Universitätsklinikums Essen, der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und der Ruhrlandklinik, die das Projekt federführend leiten.
Spezialisierte Gedächtniszellen
„Unser Immunsystem ist auf den ganzen Körper verteilt. Die Immunzellen kommen zum Beispiel in den Lymphknoten, der Milz oder den Knochen vor“, erklärt Ingo Schmitz. Auch in der Lunge befinden sich T-Lymphozyten im Gewebe. Sie entstehen als spezialisierte Gedächtniszellen durch Infektionen. „Trifft also ein bekanntes Virus unsere Lunge, erkennen die dort ansässigen T-Killerzellen den Erreger und beseitigen ihn schnell und effizient“, so Schmitz. Wie genau? „Jede dieser Zellen trägt einen einzigartigen Rezeptor auf der Oberfläche, der bestimmte Antigene, also Bruchstücke eines Erregers, erkennen kann. Wenn eine T-Zelle ein Pathogen identifiziert hat, bindet sie an spezifische Rezeptoren der Zielzelle und setzt dadurch eine spezifische Abwehrkette in Gang“, erklärt Peters. Die T-Killerzellen arbeiteten sehr selektiv und zerstörten nur die infizierten Zellen.
Prof. Dr. Ingo Schmitz und Privatdozent Dr. Marcus Peters (links) erforschen im Zentrum für klinische Forschung der Ruhr-Universität das immunologische Gedächtnis der asthmatischen Lunge.
Schmitz und Peters interessieren sich vor allem für die T-Killerzellen in der Lunge und ihre Rolle bei der Entstehung von Asthma, einer der häufigsten chronischen Lungenerkrankungen. Denn manchmal irrt sich das Immunsystem und greift körpereigene Zellen an. „Asthma entsteht, wenn sich unsere Immunzellen gegen eigentlich harmlose Umweltproteine, die als Allergene bezeichnet werden, wehren“, erklärt Schmitz. „Eine sogenannte Überempfindlichkeitsreaktion kann bei wiederholtem Allergenkontakt eine chronische Entzündung hervorrufen, die unbehandelt zu einer Einschränkung der Lungenfunktion führen kann“, so Peters.
Die in der Lunge ansässigen T-Gedächtniszellen stehen dabei in Verdacht, Asthma-Erkrankungen zu fördern, gar Asthma-Anfälle auszulösen. Die Immunologen möchten wissen: Wie fällt die Immunantwort der T-Zellen bei chronischen Atemwegserkrankungen aus? Wie wirken sich Tabakkonsum, Sauerstoffmangel oder zusätzliche Virus-Infektionen auf ihre Reaktion aus?
Dazu führen die beiden RUB-Forscher Experimente mit Mäusen durch. Sie beobachten, wie diese auf Zigarettenrauch und ein spezifisches Virus, das Respiratorische Synzytial Virus (RS-Virus), reagieren. „Das weit verbreitete RS-Virus steht ebenfalls in Verdacht, die Entstehung von Asthma zu befördern“, erklärt Peters. Damit die Forscher genau nachvollziehen können, was die T-Killerzellen in der Lunge treiben, schauen sie sich an, welche Proteine sie bauen, wenn sie mit dem RS-Virus und Tabakqualm in Kontakt kommen. Unterstützung erhalten die Immunologen dabei von ihrer Kollegin aus dem Medical Proteom Center, Barbara Sitek, die das Proteom, also die Gesamtheit aller Proteine der T-Gedächtniszelle mithilfe der Massenspektrometrie aufschlüsselt. „Mit dieser Technik ist es möglich, konkrete Rückschlüsse auf die Aktivität der Zellen zu ziehen“, erläutert Peters.
Die Rolle der Schutzpolizei
Um die Aktivitäten der T-Zellen zu untersuchen, wurden die Mäuse nach durchgemachter Erstinfektion wiederholt mit dem RS-Virus infiziert. „Im optimalen Fall spielen die Zellen ihre Rolle als Schutzpolizei: Sie sind selbst in der Lage, Virus-infizierte Zellen zu eliminieren, stoßen aber auch die Abwehrreaktion des Körpers an, indem sie den Botenstoff Interferon-gamma ausschütten. Der ruft wiederum Zellen des angeborenen Immunsystems, wie natürliche Killerzellen und Makrophagen auf den Plan, die dann ebenfalls Virus-infizierte Zellen beseitigen“, erklärt Schmitz. Bei der ersten Aufschlüsselung des Proteoms haben die Forschenden allerdings auch Proteine gefunden, die mit Asthma in Verbindung stehen. So wird von den gewebeansässigen T-Zellen auch Interleukin-13 produziert. Dieser Botenstoff kann allergische Reaktionen und auch Asthmaanfälle auslösen. „Wir wollen herausfinden, wann Interferon-gamma und wann Interleukin-13 ausgeschüttet wird. Unter welchen Bedingungen kommt es zu dem Switch?“, so Peters. Der Zigarettenrauch könne möglicherweise der Faktor sein, der den normalen Prozess, die Aktivierung von Interferon-gamma, unterdrücke. „Wir gehen davon aus, dass Rauchen und Infektionen die Überreaktion verstärken“, so Schmitz. Mit ersten Ergebnissen rechnen die Bochumer Forscher Ende 2025.
Die Studie soll vor allem dazu beitragen, neue Therapien für Asthmatiker*innen zu entwickeln. Die Ergebnisse sind aber auch, so betonen die Immunologen, für die Weiterentwicklung von Impfstoffen höchstrelevant. Denn auch bei Impfungen bilden sich neue Gedächtniszellen. Wenn sich ein Mensch beispielsweise nach einer Impfung gegen Covid mit dem Virus infiziert, wissen die T-Zellen, wie sie den Erreger vernichten können. Die aktuelle Impfung gegen Sars-CoV-2 erfolgt intramuskulär und aktiviert die zentralen Gedächtniszellen, die vor allem in den Lymphknoten zu finden sind. Die Bochumer Immunologen sind davon überzeugt, dass ein Impfstoff, der etwa in Form eines Inhalationssprays oder in Form von Nasentropfen verabreicht würde, eine sehr wirkungsvolle Ergänzung sein könnte. „Auf diese Weise würden die lokalen Gedächtniszellen, die in den Atemwegen und damit direkt an der Eintrittspforte des Virus sitzen, stimuliert“, erklärt Peters. Das Projekt IGAL soll den Anstoß für Forschungsprojekte in diese und andere Richtungen geben.
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