Archäologie Auf Augenhöhe mit den Göttern

Weiß und erhaben sehen altgriechische Statuen nur für die Nachwelt aus. Zu ihrer Zeit waren sie farbig, trugen zum Teil sogar Schmuck und Kleider und waren den Menschen somit viel ähnlicher.

Erhaben, weiß und still: So sehen hellenistische Marmorstatuen aus, wenn wir ihnen im Museum begegnen, und so wurden sie auch im Klassizismus nachgeahmt. Doch zur Zeit ihrer Entstehung sahen sie ganz anders aus. „Ihre Steinoberflächen waren mit unterschiedlichen Strukturen versehen, farbig bemalt, trugen teils echte Kleidung, Schmuck oder Waffen aus Metall sowie vermutlich auch aus Holz und anderen Materialien“, weiß Dr. Clarissa Blume-Jung vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Ruhr-Universität Bochum. Diese Verzierungen haben sich teilweise erhalten, aber nicht sehr gut. Die Archäologin schaut daher ganz genau hin, um winzige Reste zu finden. „Das ist wie ein Puzzlespiel“, beschreibt sie ihre detektivische Spurensuche.

Diese auf der Insel Delos gefundene Statue einer Frau zeigt eine häufig dargestellte Pose. In der linken Hand hat die Figur vermutlich einen Fächer gehalten. © C. Blume-Jung, Archäologisches Nationalmuseum Athen, aus C. Blume, Polychromie hellenistischer Skulptur. Ausführung, Instandhaltung und Botschaften (Petersberg 2015).

Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen Objekte aus der Zeit zwischen ungefähr 323 bis 31 vor Christus. Vor dieser etwa 300 Jahre dauernden sogenannten hellenistischen Epoche hatte Alexander der Große sein Weltreich bis nach Indien, Afghanistan, Pakistan und Nordafrika ausgeweitet. Es bildete sich ein neuer Geschmack heraus. Die von Blume-Jung untersuchten Statuen zeigen zum Beispiel junge Frauen in reichen Gewändern, Athleten, Kinder, Herrscher oder Gottheiten und standen, je nach Funktion, in Heiligtümern, auf öffentlichen Plätzen oder auch in Häusern oder Gärten wohlhabender Familien. „Die meisten steinernen Statuen wurden aus Marmor gearbeitet. Am beliebtesten war parischer Marmor, der sehr feinkristallin und einheitlich weiß ist und sich zudem gut verarbeiten lässt“, so Clarissa Blume-Jung. Beispiele finden sich unter anderem auf der griechischen Insel Delos in der Ägäis, die früher bewohnt, nach mehreren Erdbeben aber so stark zerstört war, dass sie verlassen wurde. Heute gehört sie zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Im Auge sind noch Reste einer Bemalung der Pupille zu erkennen, zudem Wimpern und Augenbraue. © C. Blume-Jung, Archäologisches Nationalmuseum Athen, aus C. Blume, Polychromie hellenistischer Skulptur. Ausführung, Instandhaltung und Botschaften (Petersberg 2015).

Hier wurde die Statue einer Frau gefunden, die in einem privaten Haus in einem Raum stand, der sich zu einem überdachten Säulengang um einen Garten hin öffnete, und sich heute im Nationalmuseum von Athen befindet. Auf den ersten Blick wirkt sie einfarbig. Schaut man aber genauer hin, sieht man, dass das Haar dunkler wirkt als das Gesicht. „Das Haar ist in seiner Struktur grob und nicht wie das Gesicht geglättet“, zeigt Clarissa Blume-Jung. „Man kann deutlich erkennen, dass die Strähnen des Haars mit mindestens drei verschiedenen Braun- und Ockergelbtönen bemalt sind – an manchen Stellen sind einzelne Pinselstriche sichtbar. Das gesamte Haar wurde in der Zusammenarbeit von Bildhauer und Maler durchschattiert, sodass es eine lebendige Optik gehabt haben muss.“

Polychromie

Drei Faktoren machen die Polychromie hellenistischer Statuen aus:

  • Die Bemalung
  • Die Gestaltung der Oberfläche des Marmors (rau, strukturiert, geglättet)
  • Ergänzungen mit anderen Materialien wie Holz oder Metall

Ohrlöcher als Indiz

Die dunkle Iris der Augen ist noch gut zu sehen, man kann auch den Ansatz von Wimpern erkennen. „Es ist einfacher, wenn man weiß, wonach man sucht“, sagt Clarissa Blume-Jung, die die Statue mit vielen anderen vergleicht und auch Beispiele aus der Malerei, von kleinformatigen Terrakottafiguren oder anderen Gattungen heranzieht. So konnte sie rekonstruieren, dass das, was die dargestellte Frau in ihrer linken Hand hält, der Griff eines Fächers gewesen sein könnte. „Ergänzungen aus Holz oder anderen vergänglichen Materialien haben sich leider nicht über die vielen Jahrhunderte erhalten“, sagt sie. „Und Metallverzierungen sind auch meistens nicht mehr da – vermutlich, weil man das Material für andere Zwecke brauchen konnte und eingeschmolzen hat.“ Dennoch ist Blume-Jung überzeugt davon, dass es sie gab: „Wenn eine Statue durchgehende Ohrlöcher hat, kann man davon ausgehen, dass sie auch Ohrringe getragen hat“, so die Forscherin.

Das Gewand der Statue aus Delos, die ein Unterkleid trägt, über das sie ein rechteckiges Tuch schamhaft über ihre Schulter zieht – eine häufig dargestellte Pose – hält weitere Hinweise auf Farben bereit. „Man erkennt an einigen Stellen schwärzliche, zackige Spuren des einstigen Ornamentes des Mantels, bei denen es sich vermutlich um Farbreste, möglicherweise aber auch um eine Grundierung für einen Goldauftrag handeln könnte“, erklärt Clarissa Blume-Jung. An der Kante seiner Schmalseite weist der Mantel jedenfalls Goldspuren auf, die sich mit heute lilafarbenen Verwitterungsspuren abwechseln. Die Sohlen der Sandalen waren in drei Farbabschnitten gestaltet, die eine dreischichtige Sohle darstellen.

Hellblau und rosa waren in

„Die Farben waren meistens Naturpigmente“, so Clarissa Blume-Jung. „Ocker gibt es zum Beispiel in rot und gelb, aber auch in weiteren Farben. Grün war meist Malachit, und Rosa wurde in der Regel aus der Krappwurzel gewonnen.“ Diese und weitere Farben aus der Natur wurden für eine breitere Farbpalette zudem gemischt. „Besonders gern verwendete Farben waren in der hellenistischen Zeit Hellblau und Rosa, egal ob für Männer oder Frauen“, weiß Clarissa Blume-Jung. Unter UV-Licht kann sie den rosa Krapplack gut sichtbar machen. Für Blau verwendete man mitunter Azurit. Üblich war jedoch der Einsatz der künstlich hergestellten Farbe Ägyptisch Blau. Mithilfe von Infrarotfotografien (in der sogenannten VIL-Technik) kann man sogar Spuren der Farbe sichtbar machen, die das menschliche Auge ansonsten nicht mehr wahrnimmt. Neben der genauen Betrachtung mit dem bloßen Auge nutzt Clarissa Blume-Jung ein Auflichtmikroskop, verschiedene Fototechniken sowie das Streiflicht. Dabei zeigen sich bei der Beleuchtung von der Seite winzige Höhenunterschiede im Stein. Sie rühren daher, dass eine Farbe sich länger erhalten hat als die andere, und somit den Stein längere Zeit vor der Verwitterung geschützt hat. So erhält sich beispielsweise in den Augen eine Linie um die Iris. Oder die Pupille bleibt ein klein wenig erhaben. Nur in einzelnen, gut abgewogenen Fällen werden Analysen von Farben in Auftrag gegeben.

Auf dem Gewand, das der Bildhauer mit verschiedener Oberflächenbearbeitung des Marmors strukturiert hat, sind Reste einer Bemalung und Goldreste zu erkennen. © C. Blume-Jung, Archäologisches Nationalmuseum Athen, aus C. Blume, Polychromie hellenistischer Skulptur. Ausführung, Instandhaltung und Botschaften (Petersberg 2015).

Wem das alles noch nicht genügt, der findet auch handfeste andere Beweise dafür, dass die Statuen bunt und geschmückt waren: „An Heiligtümern hat man Inschriften gefunden, in denen die Ausgaben genau aufgelistet waren, wahrscheinlich damit die Spender wussten, was mit ihrem Geld geschieht“, erzählt Clarissa Blume-Jung. „Da gibt es zum Beispiel Einträge wie ‚Bemalen‘ oder ‚Farben‘ für die ‚Fertigstellung‘ oder ‚Reparatur dieser oder jener Statue‘“.

Goldene Haut der Götter

Einen Unterschied gab es möglicherweise zwischen der Darstellung von Göttern und Menschen: die Haut. Clarissa Blume-Jung hat sowohl Statuen gefunden, auf deren Haut sich Farbreste finden, als auch solche, deren Haar und Kleidung zwar Farbreste aufweisen, die unbedeckte Haut aber nicht. „Vielleicht hat man bei einzelnen Statuen auch mal den weißen Marmor unbemalt gelassen oder nur mit Wachs überzogen“, stellt sie zur Diskussion. „Sicher ist, dass es bei Götterdarstellungen manchmal vergoldete Haut gab – bei der Darstellung von Menschen normalerweise nicht.“

Clarissa Blume-Jung untersucht die Polychromie von Statuen und Terrakotten der hellenistischen Zeit. © RUB, Marquard

Die Forscherin ist überzeugt, dass der Eindruck der Statuen ursprünglich ein ganz anderer war als heute. „Wenn man sich vorstellt, in einen Tempel zu gehen, und die Götterstatuen sind vielleicht groß, sehen aber ansonsten wie Menschen aus, dann ist das ganz anders, als wenn sie weiß und erhaben dastehen, so wie wir sie heute kennen. Die Menschenähnlichkeit sorgt für mehr Nähe. Und das deckt sich auch mit der literarischen Beschreibung der Götter in der griechischen Antike.“

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Veröffentlicht

Mittwoch
27. November 2024
14:02 Uhr

Dieser Artikel ist am 2. Dezember 2024 in Rubin 2/2024 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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