Mathematik Caroline-Herschel Gastprofessorin an der RUB
Elisabeth Werner untersucht das Konzept des Schwimmkörpers in beliebig dimensionalen Räumen. Im Interview erklärt sie die Hintergründe und was sie an die RUB führt.
Im Sommersemester 2022 forscht und lehrt die Mathematikerin Prof. Dr. Elisabeth Werner als Caroline-Herschel-Gastprofessorin an der RUB. Bereits zu Beginn ihrer Karriere hat die Lehrstuhlinhaberin der Case Western Reserve University Cleveland, Ohio, USA, das Konzept des Schwimmkörpers auf den mehrdimensionalen Raum ausgedehnt. Diese Methode ermöglicht es, zahlreiche geometrische und wahrscheinlichkeitstheoretische Größen gut zu approximieren, die exakten Berechnungen in der Regel nicht zugänglich sind. Diese Herangehensweise wird bereits in vielen Bereichen der Mathematik angewendet.
„Frau Werner ist schon mehrmals von internationalen mathematischen Fachgesellschaften eingeladen worden, über ihr Forschungsgebiet auch in einem größeren Rahmen vorzutragen. So zum Beispiel bei einem Meeting der American Mathematical Society und kürzlich hat sie beim Summer Meeting der Canadian Mathematical Society die Public Lecture gehalten. Das ist eine große Auszeichnung“, sagt ihr Gastgeber, Prof. Dr. Christoph Thäle.
Frau Werner, Sie haben schon viele Forschungs-Gastaufenthalte absolviert, darunter zum Beispiel in Berkeley, Frankfurt, Jerusalem, Paris, Prag, Tel Aviv und Wien. Was führt Sie nach Bochum?
Eigentlich sollte ich schon vor zwei Jahren die Caronline-Herschel-Gastprofessur in Bochum antreten. Wegen Corona hat sich mein Aufenthalt aber um zwei Jahre verschoben. Die Ruhr-Universität ist eine natürliche Wahl für mich, da es hier um Professor Christoph Thäle eine Gruppe gibt, die genau auf meinem Gebiet arbeitet. Christoph Thäle und ich haben schon an mehreren Forschungsprojekten zusammengearbeitet. Wir haben auch, gemeinsam mit anderen Fachkollegen, mehrere Tagungen organisiert. Zum Beispiel, von Januar bis April 2021, ein Trimester am Hausdorff Research Institute for Mathematics in Bonn mit dem Thema “The interplay between high dimensional geometry and probability”.
Trotz Covid-bedingter Probleme war dieses Trimester ein großer Erfolg. Wir sind daher sehr froh, dass wir für das Jahr 2024 eingeladen wurden, ein weiters Trimester auf unserem Forschungsgebiet am Hausdorff Institute zu organisieren.
Es gab also bereits viele Verbindungen zu der Bochumer Arbeitsgruppe. Ein Doktorand von Christoph Thäle hat zudem auch schon mehrere Monate mit mir an meinem Institut in Cleveland geforscht. Unsere Arbeitsgruppen sind aber nicht nur untereinander vernetzt, sondern die Bochumer Gruppe und meine Cleveland-Gruppe arbeiten auch eng zusammen mit Universitäten in Paris, Wien, Osnabrück, Münster, Passau und Frankfurt.
Was machen Sie in Ihrer Zeit in Bochum?
Ganz am Anfang haben wir gemeinsam mit Juniorprofessorin Anna Gusakova von der Universität Münster einen Workshop hier im Beckmannshof organisiert: „Stochastic Aspects in Convexity“.
Alle haben sich gefreut, sich endlich wieder persönlich zu treffen und nicht nur virtuell über Zoom. Es war ein sehr produktiver Workshop. Wir hatten Vortragende von verschiedenen Universitäten aus Deutschland, aus Kanada, Frankreich, Italien und Österreich.
Außerdem freue ich mich sehr, hier in Bochum eine zweistündige Vorlesung über Schwimmkörper und ihre Anwendungen zu halten. Das ist genau mein Forschungsgebiet, und da kann ich Doktorandinnen, Doktoranden und Postdocs zu einem Einstieg in dieses Gebiet verhelfen. Während meiner Zeit hier habe ich außerdem mehrere Besucher eingeladen, die ein bis drei Wochen hier sind, um gemeinsame Projekte zu bearbeiten.
Die meisten dieser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten Vorträge in einem von uns organisierten Seminar, das regelmäßig stattfindet. An dem Seminar nehmen Studierende, Promovierende und andere Interessierte aus dem Fachbereich teil. So kommt es zu einem wissenschaftlichen Austausch, nicht nur mit mir, sondern auch mit anderen Kolleginnen und Kollegen hier in Bochum.
Könnten Sie kurz erklären, was Schwimmkörper sind?
Es ist eine alte Frage – und offensichtlich, weshalb sie wichtig ist – wie ein Körper stabil in einer Flüssigkeit, beispielsweise Wasser, schwimmt. Schon Archimedes hat verstanden, dass der Teil eines schwimmenden Körpers, der sich unter der Wasseroberfläche befindet, also sozusagen der nasse Teil des Körpers, immer dasselbe Volumen hat, egal wie man den Körper im Wasser rotiert. Das kann man nun abstrahieren und dem ursprünglichen Körper einen neuen Körper zuordnen, bestehend aus dem nassen Teil. Diesen nennen wir den Schwimmkörper.
Was haben Sie herausgefunden, was Archimedes noch nicht wusste?
Archimedes war nur an dreidimensionalen Objekten interessiert. Das greift im Zeitalter von Big Data zu kurz. Alle Objekte, die wir betrachten, befinden sich in Räumen beliebiger Dimension, egal ob Dimension 4, 9 oder 638. Außerdem ist es so, dass das Konzept des Schwimmkörpers Rückschlüsse auf die Geometrie des ursprünglichen Körpers zulässt. Das kann man in Anwendungen dann gewinnbringend ausnutzen.
Wofür kann man dieses Konzept verwenden?
In höheren Dimensionen beobachten wir Konzentrationsphänomene, die im dreidimensionalen noch nicht sichtbar sind, zum Beispiel Konzentrationsphänomene des Volumens. Wenn man eine große Anzahl von Daten hat, möchte man wissen, welche dieser Daten die entscheidenden sind und welche die Ausreißer. Wir haben herausgefunden, dass der entscheidende Teil der Daten sich um einen geeignet gewählten Schwimmkörper konzentriert.
Darüber hinaus spielen Schwimmkörper eine wichtige Rolle beim Verständnis des Zusammenhangs zwischen zufälliger und bester Approximation eines Körpers durch Polytope. Polytope sind strukturell einfacher als allgemeine Körper und damit numerisch besser zu handhaben. Das ist wichtig für Anwendungen. Wir haben herausgefunden, dass – erstaunlicherweise – eine Approximation mit zufälligen Polytopen (fast) genauso gut ist wie die der Polytope, die am besten approximieren. Diese zufälligen Polytope wiederum sind eng mit einem Schwimmkörper verwandt.
Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Ich fand es schon immer spannend, verschiedene mathematische Richtungen zu verbinden. Einsichten und Methoden eines Gebietes können ein neues Licht werfen auf ein anderes Gebiet, und umgekehrt. In einem Seminar in Tübingen hat mir einer meiner damaligen Professoren eine Veröffentlichung eines Professors aus Paris gegeben, über die ich einen Vortrag halten sollte. Die Arbeit des Pariser Professors hat mich sofort angesprochen, weil dort geometrische, analytische und wahrscheinlichkeitstheoretische Methoden verwendet wurden, die zu etwas Neuem geführt haben. Das hat zu einer Korrespondenz mit Gilles Godefroy, dem Professor aus Paris geführt. Er hat mich dann eingeladen, ihn auf einer Tagung in der Nähe von Tübingen zu treffen. Nachdem wir uns dort unterhalten hatten, fragte er mich, ob ich bei ihm in Paris promovieren möchte. Das habe ich natürlich gerne angenommen.
Wie gefällt es ihnen an der RUB?
Ich bin wirklich begeistert von den Kollegen hier. Sie sind alle sehr offen für neue Ideen. Das hat schon zu vielversprechenden neuen Projekten geführt, und ich bin überzeugt, dass der Kontakt mit der RUB erfolgreich weitergehen wird.
Dafür bin ich Christoph Thäle, und den anderen Kolleginnen und Kollegen und Doktorandinnen und Doktoranden sehr dankbar. Besonders danken möchte ich auch der Teamassistentin Tanja Schiffmann, die alles hervorragend organisiert. Ich freue mich sehr, hier zu sein.
Es ist gut, dass es die Caroline-Herschel-Gastprofessur gibt, weil sie dazu beiträgt, den Frauenanteil in der Mathematik und den Naturwissenschaften zu erhöhen. Als ich anfing, Mathematik zu studieren, konnte man die Frauen im Hörsaal an einer Hand abzählen. Inzwischen ist der Frauenanteil in der Mathematik höher und es gibt auch zwei Frauen, die die Fields-Medaille erhalten haben.