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Christian Gaum fragt, wie durch Sport Werte vermittelt werden können
Prof. Dr. Christian Gaum hat seit 1. Oktober 2022 die Professur für Sportpädagogik an der Fakultät für Sportwissenschaft inne. Ihn interessiert unter anderem, wie es gelingen kann, dass Sport positiv konnotierte Werte vermittelt – vor allem an Heranwachsende. „Sportvereine und Bildungsinstitutionen, aber auch die Politik argumentieren oftmals, dass Sport gesellschaftlich wichtige Werte des Zusammenlebens vermittele“, erklärt Gaum. Dazu gehören etwa Fairness, Respekt und Toleranz. Doch es gibt wenig empirische Befunde, die diese Annahme bestätigen. „Zudem hat Sport zwar sicherlich das Potenzial, diese positiven Werte zu vermitteln, aber es besteht auch die Möglichkeit, dass weniger Wünschenswertes in den Vordergrund rückt“, so Christian Gaum. So sei ein Leistungsstreben durchaus positiv zu bewerten, berge aber schon eine gewisse Ambivalenz: Es kann auch in einen Egozentrismus, geprägt von Rücksichtslosigkeit und Unfairness, kippen. „Sport kann nicht nur integrieren, sondern auch ausschließen“, so Gaum. „Ich will wissen, unter welchen pädagogischen Bedingungen die gewünschte Wertevermittlung gelingen kann.“
Querschnittsthema Demokratiebildung
Ausgehend von dieser Frage widmet sich Gaum in der Forschung und Lehre auch Querschnittsthemen, die große gesellschaftliche Herausforderungen betreffen, wie die Demokratiebildung. „Da Konflikte in demokratischen Aushandlungsprozessen der Normalfall sind, resultiert folgende pädagogische Schlussfolgerung: Heranwachsenden sind Wege zu eröffnen, die zu einem konstruktiven Umgang mit Widersprüchen und Konflikten führen“, erläutert er. Widersprüche und Konflikte seien dann aber nicht einfach glattzubügeln, sondern relevanter Ausgangs- und Erfahrungspunkt für Bildungsprozesse. „An dieser Stelle hat Sport sein pädagogisches Potenzial, denn in spielerischen und konsequenzfreien Inszenierungsformen kann Widerständiges als qualitativ wertvoll erfahren werden. Im Wettkampf braucht man jemanden, der Widerstand leistet, sonst macht es keinen Spaß“, verdeutlicht er.
Bei der Ausbildung angehender Sportlehrerinnen und -lehrer setzt Gaum auf Formate des forschenden Lernens. Hier geht es unter anderem darum, die Studierenden dafür zu sensibilisieren, wie Schülerinnen und Schüler den Sportunterricht erleben. „Wer Sport studiert, ist meistens selbst sportlich und hat den Unterricht in guter Erinnerung. Sportunterricht kann toll sein – aber auch traumatisch“, weiß Christian Gaum. Sportunterricht ist für viele Schülerinnen und Schüler geprägt von Unsicherheiten. Schließlich stellen sich sie körperlich bloß und müssen sogar ihre körperliche Unversehrtheit zeitweise aufgeben. Als Mitglied der sportlichen Community kann man sich unter Umständen gar nicht vorstellen, dass das auch unangenehm sein kann. Dafür zu sensibilisieren, sieht Christian Gaum als seine Aufgabe. „Die Lehrkräfte müssen sich in Schülerinnen und Schüler hineinversetzen können, um den Unterricht so zu gestalten, dass Kinder und Jugendliche solche Unsicherheiten bewältigen können.“ Das sei gar nicht so einfach, denn es gibt in unserer komplexen Welt weder eine Gewissheit für das Gelingen noch für die Angemessenheit pädagogischer Praxis. „Das einfache Richtig oder Falsch ist aufgrund von Mehrdeutigkeit nicht mehr festgelegt.“ Ein Gedanke, der für Sportstudierende durchaus unbequem ist. „Aber Lehre muss herausfordernd sein – nur so erweitert sie den Horizont und ermöglicht Bildung.“
Christian Gaum studierte Sportwissenschaft und Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo er im Anschluss an seinen Magisterabschluss seine Dissertation anfertigte. Nach seiner Promotion im Jahr 2014 arbeitete er zunächst weiter in Frankfurt und wechselte 2017 für drei Jahre als Vertretungsprofessor an die Christian-Albrechts-Universität Kiel. Ab Herbst 2020 vertrat er dann die Professur für Sport- und Bewegungspädagogik an der Philipps-Universität Marburg. Im August 2021 schloss er seine Habilitation an der Goethe-Universität Frankfurt ab.
7. Oktober 2022
10.16 Uhr