Christoph M. Schmidt, hier bei seinem Festvortrag auf der 17. Akademischen Jahresfeier der RUB, leitet den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und angewandte Ökonometrie. Bis Februar 2020 war er außerdem Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. © RUB, Marquard

Wirtschaftswissenschaft So lassen sich die Corona-Folgen auf die Wirtschaft begrenzen

Der ehemalige Wirtschaftsweise und RUB-Ökonom Christoph M. Schmidt rät der Regierung, rasch einen neuen Kurs einzuschlagen. Statt auf die Gesamtbevölkerung solle man sich auf Infizierte und Verdachtsfälle konzentrieren.

Um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und so das Gesundheitssystem vor einem Kollaps zu schützen, haben Bundes- und Landesregierung Maßnahmen ergriffen, die stark in das Leben der Bevölkerung und in die deutsche Wirtschaft eingreifen. Dazu zählt die Schließung vieler Betriebe. Die Folge davon könnten Insolvenzen und Massenarbeitslosigkeit sein, denen die Regierung mit einem milliardenschweren Rettungspaket entgegenwirken will.

Zusammen mit einem Kollegen hat sich nun der frühere Chef der Wirtschaftsweisen, Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Inhaber des RUB-Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und angewandte Ökonometrie und Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, zu der aktuellen Lage geäußert.

Statt alle Menschen in Deutschland, also Infizierte und Nicht-Infizierte, unter eine Quasi-Quarantäne zu stellen, sollten sich die Maßnahmen so rasch wie möglich lediglich auf die Infizierten und auf die Verdachtsfälle konzentrieren.


Christoph M. Schmidt

Um die Folgen für die Wirtschaft möglichst gering zu halten, empfehlen die Experten eine Anpassung der bisher eingeschlagenen Strategie. „Statt alle Menschen in Deutschland, also Infizierte und Nicht-Infizierte, unter eine Quasi-Quarantäne zu stellen, sollten sich die Maßnahmen so rasch wie möglich lediglich auf die Infizierten und auf die Verdachtsfälle konzentrieren“, erklärt Schmidt.

Experte fordert massiven Ausbau von Kapazitäten

Dafür notwendig sei der massive Einsatz von Testverfahren, das Auswerten von Informationen über Kontakte und Aufenthaltsorte der Betroffenen sowie die konsequente Isolierung von Infizierten. „Würde uns dies gelingen, ließe sich der massive Anstieg von Neuinfektionen verhindern und zugleich Wirtschaft und Gesellschaft wieder in Richtung Normalbetrieb bewegen“, so Schmidt. Dass dies im Prinzip gelingen könne, zeigten die Erfahrungen asiatischer Staaten wie Südkorea oder Singapur.

Vorgeschlagene Strategie setzt ein Umdenken bei der Freigabe von Mobilitätsdaten voraus

Der RUB-Wissenschaftler betont allerdings, dass für diese Strategie allerdings drei Voraussetzungen gegeben beziehungsweise geschaffen werden müssten:

  1. Technologische Voraussetzungen: Die Tests müssten sehr großflächig ausgeweitet werden. Dazu müsse kurzfristig sehr viel mehr Testmaterial produziert werden. Auch bedürfe es vermehrt sogenannter Drive-Through-Teststationen, in denen sich jeder unkompliziert und schnell testen lassen kann. Außerdem notwendig: Kurzfristig geschultes Personal, das die Testprotokolle durchführt und entsprechende Laborkapazitäten. Unabdingbar sei außerdem eine App für jeden Bürger, die sofort mitteilt, ob sich an einem Ort, an dem man selbst war, eine inzwischen als infiziert registrierte Person aufgehalten hat und man in diesem Fall einen Test für sich durchführen sollte.
  2. Prozedurale Voraussetzungen: Ein Krisenstab der Bundesregierung müsse umgehend standardisierte Verfahren der digitalen Informationssammlung, der Durchführung und der Koordination schaffen und entsprechende Gesetze und Verordnungen auf den Weg bringen.
  3. Verbindliche Mitwirkung: Die Bürgerinnen und Bürger sollten bereit sein, vorübergehend – für die Dauer der Krise – auf den Datenschutz in Bezug auf ihre Mobilität zu verzichten. Eine Hilfe für Einzelne sei in anonymer Form kaum effektiv machbar. Das Gesundheitswesen müsse ohne Verzögerungen wissen, wo positiv Getestete sich aufgehalten haben und welche anderen Personen nun ebenfalls getestet werden müssen, weil sie sich am selben Ort aufgehalten haben.

Veröffentlicht

Freitag
27. März 2020
11:29 Uhr

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