Neurowissenschaft Veränderte Kalziumsignale beeinflussen Entwicklung von Nervenzellen
In der Forschung werden Kalziumströme häufig mit Indikatorproteinen gemessen. Doch dabei können sie die Kalziumsignale selbst so stark verändern, dass es den Entwicklungsprozess der Zellen stört.
Welche Rolle Kalziumsignale für das Wachstum junger Nervenzellen in der Großhirnrinde spielen, haben Forscherinnen und Forscher der Arbeitsgruppe Entwicklungsneurobiologie mit Kooperationspartnern untersucht. Sie zeigten, dass Werkzeuge, die häufig zur Messung von Kalziumströmen in Zellen genutzt werden, die Entwicklung der Neuronen stören können. Beim Einsatz solcher Werkzeuge sei daher Vorsicht geboten, so das Forschungsteam. In einer zweiten Studie konnte gezeigt werden, dass die Hemmung einer spezifischen NMDA-Rezeptoruntereinheit, die für einen Kalziumeinstrom in die Zellen verantwortlich ist, ebenfalls die Entwicklung von jungen Neuronen stört. Die Ergebnisse sind in den Zeitschriften „Frontiers in Cellular Neuroscience“ vom 20. Oktober 2020 und „Frontiers in Neuroanatomy“ vom 13. November 2020 beschrieben.
Veränderte Kalziumsignale beeinflussen Wachstum junger Neurone
Das Team arbeitete mit sogenannten genetisch kodierten Kalziumindikatoren. Dabei handelt es sich um fluoreszierende Proteine mit einer Bindestelle für Kalzium, die Forscher in Nervenzellen einbringen, um Kalziumströme sichtbar zu machen. Strömt Kalzium in die Neurone ein, bindet es an das Indikatorprotein, sodass sich sprunghaft dessen Fluoreszenz erhöht.
Das RUB-Team zeigte, dass manche der als Indikatoren verwendeten Proteine in einem solchen Maße Kalzium binden, dass sie die natürliche Signalgebung in Neuronen stören. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Petra Wahle brachten die Indikatoren früh in unreife Neurone der Großhirnrinde von Ratten ein. Die Zellen entwickelten daraufhin kürzere und geringer verzweigte Fortsätze, Dendriten genannt, als üblich. Dieser Effekt zeigte sich vor allem bei einem bestimmten Neuronentyp, den Pyramidalneuronen. In ausgereiften Neuronen war dieser Effekt hingegen nicht festzustellen.
Entwicklungsrelevante Rezeptoruntereinheit
Die zweite Arbeit lief in Kooperation mit der Nachwuchsgruppe Zelluläre Neurobiologie um Prof. Dr. Andreas Reiner und der Arbeitsgruppe Biochemie I Rezeptorbiochemie von Prof. Dr. Michael Hollmann. Gegenstand der Forschung war ein Rezeptor für den Botenstoff Glutamat, der NMDA-Rezeptor, in Pyramidalneuronen. Seine Zusammensetzung ändert sich im Lauf des Lebens: Die stark kalziumdurchlässige Untereinheit GluN2B wird gegen die Untereinheit GluN2A ausgetauscht, die weniger Ionen in die Neuronen einströmen lässt.
GluN2B ist für die Plastizität des jungen Gehirns und damit für Lern- und Gedächtnisprozesse wichtig und – wie die aktuelle Studie ergab – auch für die Reifung junger Neurone. Die Forscherinnen und Forscher blockierten die GluN2B-Untereinheit. In der Folge waren das Längenwachstum und die Bildung von Verzweigungen besonders der sogenannten Basaldendriten massiv gestört. So zeigten sie, dass die Aktivierung verschiedener Glutamatrezeptortypen und der damit verbundene Kalziumeinstrom für die Entwicklung bestimmter dendritischer Domänen der untersuchten Pyramidalneurone von Bedeutung ist.