Hochwasserschutz Die Stadt als Schwamm
Naturbasierte Lösungen für Hochwasserschutz brauchen Platz, Geduld und Mut. Aber es lohnt sich.
Über Jahrzehnte hinweg haben Menschen Flüsse als Wasserstraßen genutzt und sie dafür verändert, begradigt, eingezwängt. Gleichzeitig wurde immer mehr Land bebaut und versiegelt, sodass Regenwasser nicht mehr vor Ort versickern kann. Es läuft schnell ab und landet in den Flüssen – die Hochwasser- und Überflutungsgefahr steigt. Besonders die durch den Klimawandel häufigeren Starkregenereignisse machen Städten in Flussnähe, aber auch weiter entfernten Regionen zu schaffen.
Mit der Natur arbeiten
„Der erste Reflex ist dann oft: Wir erhöhen den Deich“, sagt Prof. Dr. Christian Albert, Inhaber des Lehrstuhls für Umweltanalyse und -planung in metropolitanen Räumen, Leiter der interdisziplinären Arbeitsgruppe Planning Metropolitan Landscapes (PLACES) und, gemeinsam mit Dr. Barbara Schröter vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung ZALF, Leiter der Forschungsgruppe PlanSmart. Solche technischen Maßnahmen zum Hochwasserschutz sind lange erprobt und bewährt. Sie führen das viele Wasser schnell ab, verlagern das Problem aber nur flussabwärts. Angesichts der zunehmenden Zahl von Starkregenereignissen reichen sie künftig nicht mehr aus. „Es ist ein Arbeiten gegen die Natur“, bringt Albert es auf den Punkt und fordert ein Umdenken: „Wir müssen zum beidseitigen Vorteil mit der Natur arbeiten. Nur dann funktionieren Lösungen auch langfristig.“
Sein Spezialgebiet sind sogenannte naturbasierte Lösungen für den Hochwasserschutz. Dazu genügt es nicht, den Fluss und seine unmittelbare Umgebung in die Planung einzubeziehen. Der Fokus weitet sich auf Städte und Regionen aus. Mögliche Maßnahmen gibt es viele: Man kann Altarme durch eine Absenkung von Flussufern wieder anbinden und so wieder Flussauen schaffen, die bei Hochwasser überflutet werden dürfen. Man kann dafür sorgen, dass an den Seiten landwirtschaftlich genutzter Flächen breitere Randstreifen angelegt werden, die durch mehr Rauigkeit die Bodenerosion verringern und es einfacher machen, dass Wasser versickert. Überhaupt geht es darum, dem Niederschlag zu ermöglichen, dort zu versickern, wo er am Boden auftrifft.
Grüne Infrastruktur heißt das Konzept, das sich aus zahlreichen Einzelmaßnahmen zusammensetzen kann. „Das fängt schon beim begrünten Garagendach an“, so Christian Albert. Auch Gärten, Kleingartenanlagen, Äcker und Parks spielen eine Rolle. „In Kopenhagen hat man zum Beispiel den Lindevang-Park so gestaltet, dass er bei Starkregenereignissen überschüssiges Regenwasser aufnehmen kann. Der Park ist somit nicht nur eine hochattraktive Spiel- und Liegewiese – er dient zudem als Regenauffangbecken.“ Ein anderes Beispiel ist der Phönixsee in Dortmund. Sollte es einmal sehr starkes Hochwasser der Emscher geben, kann der See es vorübergehend aufnehmen.
Viele Vorteile – große Hürden
Nebenbei haben die so entstehenden Landschaften viele positive Effekte: Sie fördern die Artenvielfalt, indem sie Lebensräume bieten. Sie mildern Hitzewellen im Sommer. Sie bringen der Stadtbevölkerung Grünflächen, die für Freizeitaktivitäten und Erholung genutzt werden können.
Und trotzdem haben sie es nicht leicht, sich durchzusetzen. Eine Analyse der Hochwasserrisikomanagementpläne 2012 bis 2015 der Bundesländer Hessen, Niedersachsen und Sachsen, die Alberts Team durchgeführt hat, hat gezeigt, dass naturbasierte Lösungen nur neun Prozent der darin vorgeschlagenen Maßnahmen ausmachen. „Darüber hinaus haben wir untersucht, welche Kriterien es begünstigen, dass naturbasierte Lösungen vorgeschlagen werden“, erklärt Christian Albert. In den analysierten Plänen wurden solche Maßnahmen dann stärker berücksichtigt, wenn es sich um kleinere Nebenflüsse und Situationen mit geringer Hochwassergefahr handelte. Auch hing die Berücksichtigung davon ab, wie die Verantwortlichen ihre Wirksamkeit und die zu erwartenden Kosten und Nutzen einschätzten. „Sie gingen häufiger davon aus, dass naturbasierte Lösungen mehr Planungs- und Verwaltungskosten verursachen und weniger wirksam sind als andere Schutzmaßnahmen.“
Ziele für nachhaltige Entwicklung
Tatsächlich gibt es Hürden, weiß Christian Albert. Naturbasierte Lösungen brauchen mehr Platz als technische. Sie brauchen auch mehr Zeit für die Umsetzung. Sie entsprechen nicht den Gewohnheiten derer, die mit Hochwasserschutz zu tun haben und für die bisher die Schiffbarkeit von Flüssen entsprechend der gesetzlichen Vorgaben oberste Priorität hatte. Sie zwingen mitunter Einzelne, ihre gewohnten Aktivitäten einzuschränken. „Wenn ein Landwirt bisher fünf Meter Blühstreifen am Rand seiner Anbaufläche hatte, und jetzt 50 Meter zur Verfügung stellen soll, wird er Einbußen haben“, verdeutlicht Christian Albert. Diese würden allerdings kompensiert. An der Lahn gibt es Menschen, die kleine Mühlen zur Stromerzeugung betreiben. Reduziert man die künstliche Wasserstauung, ist das nicht mehr möglich. „Mit all diesen Leuten muss man reden und gemeinsam Lösungen finden“, so Albert, „und das ist aufwändig.“
Wenn eine solche Maßnahme einmal umgesetzt ist, sind die Leute oft überrascht, wie schön es plötzlich ist.
Christian Albert
Aber es lohnt sich, davon ist der Forscher überzeugt. „Wenn eine solche Maßnahme einmal umgesetzt ist, sind die Leute oft überrascht, wie schön es plötzlich ist“, berichtet er. „Die Vorstellungskraft ist im Vorfeld oft begrenzt.“ Noch eine Hürde. Doch die Forschenden stellen einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung fest. Auch politische Unterstützung finden naturbasierte Lösungen zunehmend. So fördert die Europäische Union solche Projekte verstärkt im Rahmen des European Green Deal.
Mit seinem Team bietet der Umweltplaner im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit auch Beratung für die Praxis an. Mit Computerunterstützung kann das Team zum Beispiel Flächen identifizieren, die sich für den naturbasierten Hochwasserschutz anbieten. „Wir wollen verstehen, wie urbane Ökosysteme funktionieren. So können wir Defizite aufzeigen, Herausforderungen finden, die sich angesichts des Klimawandels ergeben werden, und Strategien für lebenswerte Städte für Mensch und Natur entwickeln“, so Albert.