Volle Konzentration: Daniela Pietsch und ihre Mitstudierenden üben verschiedene Nähtechniken.
© Michael Schwettmann

Medizin Mit Mikrofaden und Mikronadel nähen

Wie Smartphones helfen, Medizinstudierende auf das praktische Jahr vorzubereiten.

„Oh nein, der Faden ist gerissen!“ Dieses Zitat könnte so aus dem Treffen einer Näh-Hobbygruppe stammen. Es ist aber in Wirklichkeit aus einem Kurs, in dem Studierende Anfang Juli 2019 im Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum Nähen gelernt haben. Und zwar mit Nadel und Faden, wie sie im Operationssaal benutzt werden.

Ganz vorne im Seminarraum sitzt Privatdozent Dr. Mortimer Gierthmühlen. Er leitet den zweitägigen Praxiskurs. Auf ihn gerichtet sind 15 studentische Augenpaare. Es wird still. Denn der Mediziner zeigt den Studierenden, was eine Rückstichnaht ist. Wie er die Nadel mit Faden langsam durch einen Schnitt in einem Schwammtuch führt, wird mithilfe von Tablet und einem riesigen Monitor hochauflösend präsentiert.

Mit Schwammtuch und Skalpell lernen

Die Studierenden folgen seinen Anweisungen und probieren die neue Nähtechnik direkt aus. Alle haben Schwammtuchquadrate vor sich, die in kleine Stative eingeklemmt sind. Sie hantieren mit Nadelbesteck, Schere und Skalpell und beratschlagen untereinander zur richtigen Technik. Gierthmühlen und Privatdozent Dr. Christopher Brenke sowie Dr. Anne Carolus, zwei weitere Oberärzte der Neurochirurgischen Klinik, gehen von Tisch zu Tisch und helfen den Studierenden.

Studentin Daniela Pietsch macht stolz ein Handyfoto von ihren ersten Nähten. „Ich habe schon einmal in einem studentischen Kurs genäht. Aber hier können mir Oberärzte aus ihren eigenen Erfahrungen erzählen, was man denn macht, wenn der Faden im OP mal reißt. Das ist Luxus“, sagt sie. Sie ist im achten Semester ihres Medizinstudiums an der RUB.

„Nächste Eskalationsstufe: Jetzt ist der Neun-Nuller-Faden dran“, ruft Gierthmühlen und verteilt neues Nähbesteck. Nervöse Blicke fliegen durch den Raum. Die Studierenden platzieren noch nahtfreie Schwammtuchquadrate in den Stativen und positionieren mithilfe einer Halterung Smartphones über die Stelle, die sie als Nächstes vernähen möchten. Mit den Neun-Nuller-Fäden probieren sie mikrochirurgisches Nähen aus. Der Faden ist nicht mehr als 0,039 Millimeter dick. „Für so was kommen im OP eigentlich Mikroskope zum Einsatz. Wir benutzen dafür heute im Kurs Smartphones“, erklärt Gierthmühlen.

Die Geräte, Stative und Materialien sind mithilfe des Lerninfrastukturprogrogrammes der RUB neu angeschafft worden und können auch in den nächsten Semestern von Studierenden genutzt werden. Insgesamt erhielt Gierthmühlen 18.000 Euro Förderung für die komplette Kursausstattung. „Das ist ein ganz neuartiges Trainingssystem, das das Operationsmikroskop simuliert“, sagt der Neurochirurg.

Es ist auf jeden Fall auch ein Highlight, hier das Nähen durch das Mikroskop auszuprobieren.


Daniela Pietsch

Daniela Pietsch und die anderen Studierenden im Raum kämpfen derweil mit dem Mikrofaden, der Mikronadel, der Mikroschere und der Perspektive durch die Handykamera. Was mit dem gröberen Besteck gerade noch so gut klappte, ist nun viel schwieriger. „Das ist was komplett Neues. Aber es ist auf jeden Fall auch ein Highlight, hier das Nähen durch das Mikroskop auszuprobieren“, sagt sie.

Vor allem in der Neurochirurgie, der Herzchirurgie oder auch Orthopädie kommt es zum mikrochirurgischem Nähen, zum Beispiel, wenn Nerven zusammengenäht werden müssen.

„Es ist üblich, dass Studierende in ihrem praktischen Jahr auch im Operationssaal bei mikrochirurgischen Eingriffen assistieren – natürlich auch beim Nähen. Heute können sie schon erste Erfahrungen dafür sammeln“, ergänzt Gierthmühlen und verteilt ein neues Fadenset. Da ist wohl wieder ein Faden gerissen.

Veröffentlicht

Dienstag
09. Juli 2019
08:51 Uhr

Von

Katharina Gregor

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