Serie Über das Vergessen
Prof. Dr. Klaus Oschema lehrt die Geschichte des späten Mittelalters.
© Damian Gorczany

Geschichte Zur Auswahl gezwungen

Die Geschichte wäre so unübersichtlich wie eine Weltkarte in Originalgröße, würden Historiker nicht das ein oder andere quasi absichtlich vergessen.

Historikerinnen und Historikern wird selten heroisches Handeln zugeschrieben – mit Ausnahme des Hinweises, sie hätten dieses oder jenes vor dem Vergessen gerettet. So zutreffend das einerseits ist, so spielt das Vergessen für die Geschichtswissenschaft zugleich eine zentrale Rolle: Ihr Produkt sind letztlich Erzählungen, Narrative, die stets zur Auswahl zwingen. Für eine totale Geschichte fehlen nicht nur die Daten, sie ist auch nicht wünschenswert, weil sie ähnlich hilfreich wäre wie eine Weltkarte im Maßstab 1:1.

Der Alltag der Historikerinnen und Historiker besteht also nicht nur im Erinnern, sondern auch darin, manches (zumindest für den Moment) dem Vergessen zu überlassen. Übrigens sichten auch Archive die Materialien zunächst, die ihnen angeboten werden, und prüfen ihre Archivwürdigkeit. Wenn von manchen Beständen nur ein kleiner Teil übernommen und der Rest vernichtet wird, dann baut schon eine wichtige Grundlage der historischen Forschung darauf auf, dass vieles dem Vergessen übergeben wird.

Veröffentlicht

Mittwoch
27. März 2019
08:49 Uhr

Von

Klaus Oschema

Dieser Artikel ist am 3. Mai 2019 in Rubin 1/2019 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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