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Zur Auswahl gezwungen
Historikerinnen und Historikern wird selten heroisches Handeln zugeschrieben – mit Ausnahme des Hinweises, sie hätten dieses oder jenes vor dem Vergessen gerettet. So zutreffend das einerseits ist, so spielt das Vergessen für die Geschichtswissenschaft zugleich eine zentrale Rolle: Ihr Produkt sind letztlich Erzählungen, Narrative, die stets zur Auswahl zwingen. Für eine totale Geschichte fehlen nicht nur die Daten, sie ist auch nicht wünschenswert, weil sie ähnlich hilfreich wäre wie eine Weltkarte im Maßstab 1:1.
Der Alltag der Historikerinnen und Historiker besteht also nicht nur im Erinnern, sondern auch darin, manches (zumindest für den Moment) dem Vergessen zu überlassen. Übrigens sichten auch Archive die Materialien zunächst, die ihnen angeboten werden, und prüfen ihre Archivwürdigkeit. Wenn von manchen Beständen nur ein kleiner Teil übernommen und der Rest vernichtet wird, dann baut schon eine wichtige Grundlage der historischen Forschung darauf auf, dass vieles dem Vergessen übergeben wird.