Aus bioökonomischer Sicht ist Mais ein Allrounder. Er kann zum Beispiel als Energiepflanze, aber auch als Rohstoff für die Kunststoffproduktion dienen.
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Bioökonomie Wenn der Mais nicht nur auf dem Teller landet

Mais ist für Mensch und Tier genießbar und taugt auch noch für Biogasanlagen oder die Kunststoffproduktion. Eine Wirtschaft basierend auf nachwachsenden Rohstoffen – ist das die Lösung für alle Probleme?

Der Begriff Bioökonomie klingt auf den ersten Blick positiv, klimafreundlich, nachhaltig. Aber ganz so einfach ist es nicht. „Bioökonomie bedeutet nicht automatisch nachhaltig, und es sind auch nicht nur Vorteile damit verknüpft“, sagt Dr. Jan-Hendrik Kamlage vom Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen, dessen Trägerinnen die drei Ruhrgebietsuniversitäten sind. Im KWI-Forschungsbereich Partizipationskultur interessiert er sich zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen dafür, was die Zivilgesellschaft zu der Debatte um die Bioökonomie beitragen kann. Dem Team geht es darum herauszuarbeiten, welche Technologien bei den Bürgerinnen und Bürgern auf Akzeptanz, Widerstand oder Ablehnung stoßen – und so aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.

„Bislang ist der Bioökonomie-Diskurs sehr von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik dominiert“, erzählt Dr. Julia Reinermann, die ebenfalls im Forschungsbereich Partizipationskultur tätig ist. Im Vordergrund stehe die Entwicklung neuer Technologien. „Aus unserer Perspektive würden wir jedoch sagen, dass das nicht alles sein kann. Immer wenn man in der Vergangenheit versucht hat, alte Probleme mit neuen Technologien zu lösen, sind neue Probleme entstanden“, ergänzt sie.

Chancen und Risiken der Bioökonomie

Das KWI-Team wünscht sich daher einen ganzheitlicheren Ansatz, in den das Wissen und die Wünsche der Bevölkerung einbezogen werden – so wie im Projekt „Biodisko“, kurz für „Bioökonomische Nutzungspfade – Diskurs und Kommunikation“, das unter Federführung des KWI läuft. Es hat zum Ziel, Chancen und Risiken des Anbaus und der Nutzung von Biomasse am Fallbeispiel Nordrhein-Westfalen herauszustellen und Handlungsempfehlungen für die Politik zu erarbeiten.

Julia Reinermann, Sonja Knobbe und Jan-Hendrik Kamlage (von links) forschen am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen im Forschungsbereich Partizipationskultur.
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Zu diesem Zweck führten die Projektpartnerinnen und -partner unter anderem eine repräsentative Verbraucherbefragung, eine Medienanalyse, eine Akzeptanzstudie sowie verschiedene dialogorientierte Beteiligungsformate durch. Für die Akzeptanzstudie zog das KWI-Team als Beispiel für verschiedene bioökonomische Aspekte den Maisanbau im Münsterland heran. „Mais ist ein Allrounder“, sagt Julia Reinermann. „Er kann für die Produktion von Biogas genutzt werden, als Futtermittel, als Nahrungsmittel und als Basis für Biokunststoffe.“ Mithilfe von leitfadengestützten Interviews und einem 1,5-tägigen Dialogformat mit zwölf zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern ermittelte das KWI-Team, welche Ansichten zum Anbau und zur Verarbeitung von Mais im Münsterland existieren.

Monokultur, aber grünere Städte

Nicht alle, aber einige Bürgerinnen und Bürger äußerten Kritik an einem monokulturellen Anbau, der die Landschaftswahrnehmung beeinflusst, zu einem Verlust der Artenvielfalt und einer Minderung der Bodenqualität führt sowie dem Tourismus schadet, wenn kilometerweit nichts als hochgezüchtete Maispflanzen zu sehen sind. Nach Meinung vieler geht es den Landwirtinnen und Landwirten vor allem um Profit, was zu einem gewissen Misstrauen gegenüber dem Gewerbe führe. Negativ angeführt wurde auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, gerade der Unkrautvernichter Glyphosat ist sehr präsent in den Köpfen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschrieben auch den steigenden Flächenbedarf der bisherigen bioökonomischen Produktion.

Tank oder Teller? Es gibt durchaus Diskussion darüber, ob Pflanzen als Energielieferanten genutzt werden sollten oder ob es nicht eine bessere Verwendung für sie gäbe.
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Aber natürlich traten nicht nur die wahrgenommenen Risiken zutage. Die Bürgerinnen und Bürger sahen auch große Chancen in den bioökonomischen Nutzungen. So könnten Flächen, die keine guten Erträge für Nahrungspflanzen erzielen, für den Anbau von Energiepflanzen als Biomasse-Lieferantinnen genutzt werden. Die Chance, Energie mithilfe von Biomasse zu produzieren und so vermehrt auf fossile Energieträger zu verzichten, war ein großes Thema. Genauso wie die Möglichkeit, dass die Bioökonomie zu einem grüneren Erscheinungsbild urbaner Gebiete führen könnte.

Wenig Wissen über die Landwirtschaft

Generell fiel den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf, dass viele ihrer Interviewpartnerinnen und -partner eine nostalgische Vorstellung der Landwirtschaft hatten, die wenig mit den modernen Technologien zu tun hat, die tatsächlich im Einsatz sind. „Wissen darüber, was in der Region angebaut wird, welche Erntepraktiken es gibt, wann was geerntet wird und was die Tiere essen, war kaum vorhanden“, beschreibt Julia Reinermann.

Wenige Leute fragen sich, wie ein Leben mit weniger Dingen aussehen kann.


Julia Reinermann

Außerdem, so schildern die KWI-Forscherinnen und -Forscher, gehe es in den Debatten häufig um Effizienz, aber nicht um Verzicht. „Wenige Leute fragen sich, wie ein Leben mit weniger Dingen aussehen kann“, so Reinermann. „Es geht eher darum, wie wir Technologien so entwickeln können, dass wir unseren Lebensstandard behalten können.“ Das sei aber schwer. „Wir können nicht so viel Biomasse züchten, dass wir uns davon ernähren und alles Mögliche daraus produzieren können – dafür haben wir gar nicht die Fläche“, ergänzt sie.

Eigenes Konsumverhalten nicht im Fokus

Auch das eigene Konsumverhalten würde teils wenig reflektiert. „Die Menschen sagen zum Beispiel, dass sie weniger Fleisch essen sollten, aber das in der Praxis umzusetzen, fällt ihnen schwer“, sagt Julia Reinermann. Hier wünschen sich Bürgerinnen und Bürger Unterstützung durch mehr Verbraucherinformationen und Anreize für eine fleischarme Ernährung oder den Kauf von nachhaltig produzierten Erzeugnissen.

Konkrete Handlungsvorschläge für die Politik erarbeitete das Biodisko-Team in einem Zukunftsrat mit 19 Bürgerinnen und Bürgern sowie einigen Expertinnen und Experten. Ende 2020 sollen die Empfehlungen an die Verantwortlichen im Landtag NRW übergeben werden. Ein zentrales Thema im Zukunftsrat waren Labels, die zwar grundsätzlich positiv bewertet wurden, aber in ihrer Vielzahl als problematisch angesehen wurden, weil Verbraucherinnen und Verbraucher kaum den Überblick behalten können. Nach Meinung der Bürgerinnen und Bürger sollte außerdem eine Kennzeichnungspflicht für die Ökobilanz von Produkten eingeführt werden. Sie wünschten sich zudem eine höhere Besteuerung von umweltschädlichen Produkten beziehungsweise mehr finanzielle Anreize für eine nachhaltige Produktion.

In Kita und Schule sollten Bioökonomie, Nachhaltigkeit und Ernährung vermehrt adressiert und wünschenswerte Verhaltensweisen im Alltag vorgelebt werden. Auch mehr Vorbilder in der Politik fänden Bürgerinnen und Bürger gut. Zuletzt forderten sie, die Zivilgesellschaft mehr in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Zweites Projekt begleitet Strukturwandel im Rheinischen Revier

„Bei solchen Beteiligungsformaten darf man keine Ergebnisse von Expertinnen und Experten erwarten, aber man bekommt Einsichten aus einer Alltagsperspektive, die eine hohe Qualität haben“, resümiert Jan-Hendrik Kamlage. Am KWI wird seit nunmehr zehn Jahren mit und zu solchen Beteiligungsformaten geforscht. Die Gruppe aus dem Forschungsbereich Partizipationskultur ist auch schon wieder in ein neues Projekt involviert, in dem es um Bioökonomie und gesellschaftliche Beteiligung geht. Das Projekt „Bioökonomierevier“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für zwei Jahre gefördert und begleitet die Entwicklung des Rheinischen Reviers zu einer Modellregion für die Bioökonomie. Das Forschungszentrum Jülich koordiniert das Vorhaben.

Der Strukturwandel lässt sich auch als Chance begreifen.


Sonja Knobbe

Das Kohleausstiegsgesetz läutet einen Umbruch in dem von der Braunkohleförderung geprägten Rheinischen Revier ein. „Die Braunkohleförderung und die damit verbundene wirtschaftliche Struktur der Region, aber auch die durch den Tagebau bedingten Umsiedlungen vieler Dörfer und Umweltschäden haben großen Einfluss auf die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger sowie das gesellschaftliche Zusammenleben“, erzählt Sonja Knobbe, Mitarbeiterin im KWI-Forschungsbereich Partizipationskultur und im Projekt Bioökonomierevier. Der Region steht ein umfassender Strukturwandel bevor. „Aber dieser lässt sich auch als Chance begreifen“, so Knobbe weiter. „Derzeit fließen große Summen an Fördergeldern in die Region, mit denen sich eine solche Transformation gestalten lässt.“

Die Braunkohleförderung greift radikal in die Landschaft ein.
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Wie sich die Zivilgesellschaft den Übergang vom Tagebau zur nachhaltigen Bioökonomie vorstellen kann, will das KWI-Team untersuchen, unter anderem mit verschiedenen Beteiligungsformaten und einer Onlineplattform, über die interessierte Bürgerinnen und Bürger Ideen beisteuern können.

Wenn man viel mit Konflikten der Vergangenheit beschäftigt ist, fehlt die Energie, sich gemeinsam der Gestaltung der Zukunft zu widmen.


Jan-Hendrik Kamlage

Anders als im Münsterland ist die Situation im Rheinischen Revier momentan hochpolitisch und komplex, es geht um viel Geld, es gibt Interessenskonflikte und manch einen tiefen Graben. Das macht die Arbeit für das Projektteam besonders anspruchsvoll. „Wenn man viel mit Konflikten der Vergangenheit beschäftigt ist, fehlt die Energie, sich gemeinsam der Gestaltung der Zukunft zu widmen“, sagt Jan-Hendrik Kamlage. „Wir müssen in einen Austausch kommen.“

Die Coronasituation erschwert die Arbeiten zusätzlich. Im Oktober 2020 war eine Veranstaltung mit Bürgerinnen und Bürgern geplant, die aufgrund der steigenden Covid-19-Fallzahlen wieder abgesagt werden musste. „Für unsere Formate ist eine vertrauensvolle Atmosphäre sehr wichtig“, erklärt Sonja Knobbe. „Da ist es nicht hilfreich, wenn die Teilnehmenden zum Beispiel Masken tragen müssen und wir ihre Mimik nicht mehr sehen können. Online-Formate erschweren einen vertrauensvollen Dialog zusätzlich. Wir lernen nun jeden Tag sehr viel dazu, wie wir Beteiligungsformate unter den aktuellen Bedingungen bestmöglich umsetzen können.“

Projekte „Biodisko“ und „Bioökonomierevier“

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt „Bioökonomische Nutzungspfade – Diskurs und Kommunikation“, kurz Biodisko, von Januar 2018 bis Dezember 2020. Dr. Jan-Hendrik-Kamlage vom KWI koordiniert das Forschungsvorhaben. Beteiligt sind außerdem das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen, das Forschungszentrum Jülich und das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin.
Auch das Projekt „Bioökonomierevier: Aufbau und Erprobung einer partizipativen Governance zur Entwicklung der Modellregion Bioökonomierevier Rheinland“ wird vom BMBF gefördert. Das Forschungszentrum Jülich koordiniert das Vorhaben, das von September 2019 bis Juli 2021 läuft.

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Veröffentlicht

Montag
28. September 2020
09:32 Uhr

Dieser Artikel ist am 2. November 2020 in Rubin 2/2020 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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