Ukraine-Krieg Zusammenstehen in Krisenzeiten
Die wissenschaftliche Gemeinschaft hält nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine zusammen. Viele Einrichtungen der RUB bieten gefährdeten Forschenden Aufenthalte an.
„Es ist das Wenigste, was wir in dieser Situation tun können – neben protestieren“, sagt Privatdozent Dr. Nikolaj Plotnikov. Das Wenigste – damit meint er eine Unterstützungsaktion für Betroffene des Ukraine-Kriegs, die er auf die Beine gestellt hat. Wie Plotnikov haben viele andere Personen und Einrichtungen an der RUB unmittelbar in den Tagen nach Kriegsausbruch Stipendien oder Finanzierungen für Forschungsaufenthalte aus der Taufe gehoben, um Menschen schnell und unbürokratisch aufnehmen zu können.
„Dieses Engagement ist wichtig, um eine Art Brückenhilfe zu ermöglichen“, erklärt Plotnikov. Die großen deutschen Forschungsförderungsorganisationen wie die Alexander-von-Humboldt-Stiftung oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben zwar Programme für die Unterstützung von gefährdeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. „Aber in der Regel muss man dafür erst einen Antrag schreiben“, so Plotnikov. Und bis dieser bewilligt ist, können auch noch Monate vergehen. In einer Notsituation dauert das zu lang.
Der Slavistik-Forscher hat daher gemeinsam mit dem International Office der RUB ein neues Förderprogramm, das Feodor-Stepun-Programm, initiiert. Unterstützt und finanziert wird es von der Zimin-Stiftung in Partnerschaft mit der Boris-Nemzow-Stiftung für die Freiheit.
Boris Nemzow, Dmitry Zimin, Feodor Stepun
Über dieses Programm können an der RUB fächerübergreifend Stipendien für Postdocs und Promovierende für eine Zeit von drei bis vier Monaten finanziert werden. Diese Stipendien schaffen Zeit, um eine Anschlussfinanzierung zu beantragen. Nikolaj Plotnikov weiß, dass der Bedarf groß ist – in der Ukraine, aber auch in Russland und Belarus.
Gerade unter den Akademikerinnen und Akademikern gibt es auch in Russland und Belarus viele, die sich gegen Putins Krieg stellen.
Nikolaj Plotnikov
„Es ist kein Krieg der Völker, sondern ein Krieg des russischen Regimes. Gerade unter den Akademikerinnen und Akademikern gibt es auch in Russland und Belarus viele, die sich gegen Putins Krieg stellen“, sagt der Forscher, der enge Beziehungen nach Osteuropa unterhält.
In welchem Ausmaß der russische Angriff seine historische und kulturwissenschaftliche Arbeit beeinflussen wird, ist noch nicht abzusehen. Aber Plotnikov weiß schon jetzt: „Die Auswirkungen sind erheblich.“ Allein aus praktischen Gründen, weil beispielsweise der Zugang zu manchen Archiven nicht mehr möglich ist. Dennoch konzentriert er sich zunächst auf die akuten Probleme und sucht unermüdlich nach Finanzierungsmöglichkeiten, um gefährdete Forscherinnen und Forscher unterstützen zu können.
Erste ukrainische Gäste an der RUB eingetroffen
Wie Plotnikov haben sich auch viele andere an der RUB engagiert, konnten teilweise ganz direkte Hilfe leisten. Etwa Prof. Dr. Dr. Christian Tapp aus der Katholisch-Theologischen Fakultät, der mittlerweile einem ukrainischen Studienfreund zusammen mit seiner Familie einen Aufenthalt in Deutschland ermöglichen konnte. „Wir hatten in der Fakultät die einmalige Gelegenheit, dass Mittel aus einem Berufungsverfahren frei geworden sind“, erzählt er.
Da hat man den besonderen RUB-Spirit gemerkt.
Christian Tapp
Der Dekan und alle Professorinnen und Professoren befürworteten die Idee, mit den Mitteln dem Ehepaar aus der Ukraine einen Forschungsaufenthalt zu finanzieren. Ein gemeinsames Projekt war längerfristig ohnehin geplant gewesen, so klappte nun alles schnell und unbürokratisch. Für Christian Tapp eine durchweg positive Erfahrung: „Ich habe gute Tipps von Kollegen bekommen, wie wir den Aufenthalt möglichst einfach umsetzen können, die Fakultät hat an einem Strang gezogen und der kurze Draht zur Verwaltung war sehr hilfreich – da hat man den besonderen RUB-Spirit gemerkt“, erzählt er.
Mittlerweile ist sein neuer Forschungskollege Prof. Dr. Oleh Shepetiak auf dem RUB-Campus in Empfang genommen worden. „Mir und meiner Familie geht es gut hier, wir sind sehr dankbar für die Gastfreundschaft“, sagt Shepetiak zwei Wochen nach seiner Ankunft in Deutschland. „Natürlich überschattet der Krieg im Moment alles. Aber wir müssen die Chance nutzen, neue wissenschaftliche Brücken zwischen Deutschland und der Ukraine zu bauen.“
Wenn man mit verschiedenen Universitätstraditionen in Berührung kommt, kann man nur gewinnen.
Oleh Shepetiak
Viele Forscherinnen und Forscher aus der Ukraine hätten sich bislang in östliche Richtung orientiert, nun solle frischer Wind vom Westen in das System kommen. „Wenn man mit verschiedenen Universitätstraditionen in Berührung kommt, kann man nur gewinnen“, unterstreicht Shepetiak. „Aber es ist nicht leicht, die westlichen Systeme für Studium und Forschung kennenzulernen, da hilft ein Aufenthalt im Ausland sehr.“ Vor allem in seinem Fachbereich, der Philosophie, sei die deutsche Forschungstradition besonders wichtig. „Daher hoffe ich, durch meinen Aufenthalt hier neue Kontakte einstielen zu können.“ Auch in kultureller Hinsicht verspricht sich der Forscher eine Bereicherung. „Der Aufenthalt ist auch für meine Kinder eine Chance, viel Neues zu lernen und den Horizont zu erweitern“, sagt er.
Solidarität als Selbstverständlichkeit
Natürlich ist ein solcher Austausch keine Einbahnstraße, sonder immer für beide Seiten bereichernd. „Wissenschaft ist intrinsisch grenzübergreifend“, sagt Prof. Dr. Martina Havenith, Sprecherin des Exzellenzclusters RESOLV, das bereits zwei ukrainische Wissenschaftlerinnen aufgenommen hat. „Der barbarische Krieg bedarf einer klaren Positionierung der Forschenden, und es ist selbstverständlich für uns, unsere Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Wir möchten die Zusammenarbeit mit der Ukraine gezielt ausbauen und sind daran interessiert – jenseits individueller Hilfen – langfristige Kontakte zu den Universtäten des Landes zu etablieren.“