Standpunkt Zusammenhalt geht nicht ohne Frauen
Gunda Werner ist seit 2019 Vorsitzende von AGENDA, dem Forum katholischer Theologinnen. In dieser Funktion kämpft sie beharrlich für Gleichberechtigung. Ein Kommentar.
Viele Theologinnen und Theologen vor mir haben zum Thema Frauenrechte und Gendergerechtigkeit bereits meterweise Regale mit wissenschaftlichen Publikationen vollgeschrieben. In Veröffentlichungen aus Rom scheint all das aber nicht konstruktiv aufgenommen zu werden. Es gibt keine lehramtlichen Dokumente, in denen der aktuelle Forschungsstand aus den Gender Studies und seine Bedeutung für die Theologien rezipiert würden. Das ist manchmal frustrierend.
Wir sind von Gleichberechtigung weit entfernt.
Auch in der katholischen Theologie sind wir von Gleichberechtigung weit entfernt. Gute Wissenschaft kann sich beispielsweise nicht dadurch auszeichnen, dass Konferenzen, Veröffentlichungen oder Zitationen zu 80 bis 100 Prozent von männlichen Beitragenden bestimmt werden.
Oft höre ich als Argument: Es gibt ja so wenige Frauen, die etwas beitragen könnten. Das stimmt – aber auch nur bedingt. Natürlich gibt es wenige Professorinnen. Im deutschsprachigen Raum bekleiden Frauen aktuell nur 23 Prozent aller Professuren in der katholischen Theologie. Allerdings ist im wissenschaftlichen Mittelbau fast die Hälfte der Forschenden weiblich. Konkret würde dies bedeuten: Würde man Frauen als Sprecherinnen für Konferenzen, als Beitragende für Bücher oder für die Zitation suchen, würde man sie auch finden. Nachwuchsforscherinnen kann man es durchaus zumuten, dass sie sich in Themen einarbeiten – so wie man es auch ihren männlichen Kollegen zutraut. Zudem ist es notwendig, die Situation zu reflektieren und nicht auf „die“ Frauen zurückfallen zu lassen, die scheinbar „nicht“ oder „weniger“ wollen in der Wissenschaft, sonst müssten sie es doch ‚nur‘ tun. Auch hierzu gibt es genügend Forschung, die der Reflexion hilft.
An einem anderen Argument, nämlich dass Frauen oft absagen, ist natürlich etwas dran. Weil es wenige von ihnen gibt, werden sie häufig angefragt und sagen häufiger ab als Männer, die – pro Mann – seltener gefragt werden. Die Lösung kann dann aber nicht sein, wieder Männer zu fragen. Stattdessen muss man schlicht mehr Zeit einplanen, um Referentinnen zu finden.
Immerhin merke ich, dass bei einigen ein Bewusstsein für das Problem entstanden ist.
Als AGENDA-Vorsitzende und Theologin nerve ich mit diesen Themen Bischöfe ebenso wie männliche (und leider auch weibliche) Kolleg*innen immer wieder. Natürlich sind sie davon nicht begeistert. Aber immerhin merke ich, dass bei einigen ein Bewusstsein für das Problem entstanden ist. Das Problem ist ja nicht das Problem der Frauen, sondern es ist ein Problem für die Wissenschaft, wenn sie in der geschlechtlichen Unwucht bleibt. Dies ist eine Frage der persönlichen Einstellung und des entschiedenen Handelns. Gleichberechtigung ist aber auch die Grundlage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Die Ungerechtigkeit zeigt sich in der Universität und in der katholischen Kirche wie in einem Brennglas: Beides sind Systeme, in denen die aktive Teilnahme über Jahrhunderte exklusiv Männern vorbehalten war. Um das zu ändern, braucht es ein Bewusstsein, dass Unis und Gesellschaften derzeit von sogenannten Datenlücken, also gender data gaps, bestimmt sind. Diese Datenlücken entstehen, weil Frauen nicht gesehen werden: Sie sind in der Forschung weniger präsent als Männer, sie kommen in der geschichtlichen Rekonstruktion nicht vor, sie werden aber auch ganz konkret in Vorschriften für Arbeitssicherheit nicht berücksichtigt – zum Beispiel für Grenzwerte von Chemikalien, für die männliche Standardwerte gesetzt werden. Das Buch von Caroline Criado-Perez „Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ aus dem Jahr 2020 müsste die Standardlektüre sein. Nur wenn hier eine Gerechtigkeit entsteht, kann die Gesellschaft zusammenhalten.
Und von dem viel weitergehenden Begriff Gender, der auch andere Geschlechter als Frau und Mann einschließt, habe ich noch gar nicht gesprochen.