Archäologie Flug in die Vergangenheit
Wer von oben auf die Erde blickt, sieht Dinge, die am Boden nicht erkennbar sind. Manchmal reicht der Blick sogar ein paar Tausend Jahre zurück.
An der Ruhr-Universität Bochum hat vermutlich niemand einen Arbeitsplatz mit einer besseren Aussicht als Dr. Baoquan Song. Der Luftbildarchäologe fliegt seit mehr als 20 Jahren über das Rheinland und Westfalen. Er entdeckt und dokumentiert Spuren historischer Stätten aus der Luft. Das ist möglich, weil alte Gemäuer im Boden das Wachstum von Pflanzen beeinflussen, sodass die unterirdischen Überreste als Muster im Getreide oder Gras sichtbar werden – zumindest für Leute, die ein geschultes Auge haben wie Baoquan Song.
Im Interview erzählt der gebürtige Chinese, welcher Zufall ihn nach Deutschland verschlug, als was sich eine von ihm entdeckte vermeintlich seltene Grabstätte entpuppte und wie der Erste Weltkrieg zur Geburtsstunde der Luftbildarchäologie wurde.
Herr Dr. Song, als Luftbildarchäologe suchen Sie aus dem Flugzeug heraus nach Spuren von historischen Stätten. Erinnern Sie sich noch, was Ihre erste Entdeckung war?
Natürlich! Als ich Ende der 1990er-Jahre das Fliegen gelernt habe, habe ich in der Nähe meines Flugplatzes Marl-Lohmühle einen Doppelkreisgraben entdeckt. Ich war begeistert und bin mit dem Bild ins Gelände gegangen. Es entpuppte sich als Flugplatz für Modellflugzeuge. Mit einem historischen Fund hatte das nichts zu tun. Die Piloten hatten mit Kreide Kreise auf die Wiese gezeichnet, um Ziellandungen zu trainieren. Kalk fördert das Wachstum von Pflanzen, daher wuchs das Gras an diesen Stellen besser. Als ich den Modellfliegern von meiner Beobachtung erzählte, waren sie entzückt, dass ich ihren Platz entdeckt hatte. Daran sieht man, wie wichtig es ist, Spuren am Boden zu überprüfen. Nicht alles ist wirklich eine Entdeckung.
Warum unterirdische Überreste an der Oberfläche sichtbar werden
Warum unterirdische Überreste an der Oberfläche sichtbar werden
Wird vieles von dem, was Sie finden, später ausgegraben?
Eigentlich nicht. Es ist gar nicht mein Hauptziel, neue Entdeckungen zu machen. Die Funde sind ein Nebenprodukt, über das sich die Denkmalschutzämter freuen, denen ich meine Bilder zu Verfügung stelle. In meiner Forschung entwickle ich hauptsächlich die Methoden der Luftbildarchäologie weiter. Digitalfotografie, Satellitenbilder, Künstliche Intelligenz – es hat sich einiges verändert, seit die Disziplin entstanden ist. Ich prüfe, wie wir neue Techniken sinnvoll einsetzen können.
Aus der Luft durch die Bäume schauen
Aus der Luft durch die Bäume schauen
Wo liegen die Ursprünge der Luftbildarchäologie?
Begründet wurde die Luftbildarchäologie von dem englischen Archäologen O.G.S. Crawford. Er wurde im Ersten Weltkrieg für militärische Aufklärungszwecke eingezogen und fuhr mit einem Heißluftballon. Crawfords Ballon wurde über Deutschland abgeschossen und er gefangen genommen. Nach dem Krieg kam er frei und erinnerte sich daran, dass er aus der Luft viele archäologische Spuren gesehen hatte. Er hatte die Weitsicht zu erkennen, dass man vieles aus der Luft besser erforschen kann als vom Boden aus. Aber auch Crawford hat sich ein paar Mal bei vermeintlichen Fundstellen geirrt.
Ach ja?
Einmal hat er zum Beispiel auffällige Kreise im Gras entdeckt – und stellte später fest, dass jemand dort Schafe an einen Pflock angebunden hatte, die rundherum das Gras abgeweidet hatten.
Es braucht vermutlich etwas Zeit, das Auge für die Luftbildarchäologie zu trainieren.
Das stimmt, und es ist normal, dass man sich zwischendurch mal irrt. Das erzähle ich auch den Studierenden in meinen Veranstaltungen immer. Man muss vor allem lernen, sich nicht ablenken zu lassen. Denn archäologische Spuren sind oft unscheinbar. Und natürlich braucht man ein fundiertes archäologisches Wissen, um Spuren richtig interpretieren zu können.
Als Baoquan Song keine Gräber entdeckte
Als Baoquan Song keine Gräber entdeckte
Ist es für Sie mittlerweile zur Routine geworden, neue Spuren zu finden?
Ich bin in meinem Leben schon rund 1.500 Stunden als Luftbildarchäologe geflogen. Jedes Jahr gibt es Dutzende Fundstellen. Aber jede Entdeckung ist spannend. Wenn man allein in der Luft ist und eine neue Spur sieht, ist das etwas Besonderes. Man ist in dem Moment der erste, der nach einer sehr langen Zeit diese Stätte entdeckt. Die ältesten Fundstellen sind 7.000 Jahre alt!
Nach der Landung bin ich so kaputt, dass ich mit keinem mehr sprechen möchte. Aber die Neugier, ob es nicht doch wieder etwas zu entdecken gibt, ist mein Antrieb.
Im Sommer bin ich oft acht oder neun Stunden am Stück in der Luft. Das ist sehr ermüdend. Nach der Landung bin ich so kaputt, dass ich mit keinem mehr sprechen möchte. Aber die Neugier, ob es nicht doch wieder etwas zu entdecken gibt, ist mein Antrieb.
Haben Sie den Flugschein eigentlich nur für Ihren Beruf gemacht oder konnten Sie vorher schon fliegen?
Ich habe den Flugschein gemacht, um Luftbildarchäologe zu werden. Viele Luftbildarchäologen waren aber zuerst Piloten. Mein Lehrmeister Otto Braasch war beispielsweise Tornadoflieger bei der Luftwaffe, interessierte sich aber auch für Archäologie. Klassischerweise gehört zum Beruf des Luftbildarchäologen, selbst zu fliegen, zu navigieren, zu beobachten und zu fotografieren. Neben mir betreibt es so nur ein anderer Kollege in Deutschland, Klaus Leidorf. Die anderen Kollegen sind mit Piloten unterwegs.
Wie viele Luftbildarchäologen gibt es denn in Deutschland?
In Deutschland kann man sie an einer Hand abzählen. Europaweit sieht es nicht viel besser aus. Neben der Ruhr-Universität Bochum betreibt noch die Universität Wien Luftbildarchäologie, außerdem gibt es die Disziplin in England. Die Ruhr-Uni ist dabei die einzige Uni in Deutschland, an der Luftbildarchäologie fest im Lehrbetrieb etabliert ist.
Wenn das Fach so exotisch ist, wie sind Sie dann darauf aufmerksam geworden?
Da spielte ein bisschen der Zufall mit hinein. Nach meinem Abitur in China wollte ich eigentlich Dolmetscher auf einem Schiff werden, weil das die einzige Möglichkeit war, ins Ausland zu reisen. Aber meine Eltern wollten das nicht, ich sollte in unserer Heimatstadt studieren. Dort wurde ich von der Fakultät für Geschichtswissenschaft aufgenommen. Später wurde ich ausgesucht für ein Auslandsstudium.
Heute bin bin ich froh, dass ich kein Dolmetscher geworden bin.
Sie wurden ausgesucht?
Das war 1978, als die diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland wiederhergestellt wurden und die Menschen auf beiden Seiten sehr vorsichtig waren. Zur Annäherung gab es ein Austauschprogramm zwischen den beiden Ländern. In Deutschland war das Auswärtige Amt dafür verantwortlich. Jedes Jahr haben beide Länder eine Wunschliste aufgestellt, welche von der anderen Seite erfüllt werden sollte. Da das Deutsche Archäologische Institut ein Teil vom Auswärtigen Amt war, hieß es, China möge zwei Studenten für das Fach Archäologie nach Deutschland schicken. Ich war einer davon – und bin heute froh, dass ich kein Dolmetscher geworden bin.
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Seit vielen Jahren betreiben Sie nun Luftbildarchäologie in Deutschland. Reizt es sie nicht, auch mal in Ihrer Heimat China tätig zu sein?
In China als Luftbildarchäologe arbeiten zu können wäre ein Traum. Tatsächlich habe ich nach meinem Studienabschluss 1995 in Bochum acht Jahre in China geforscht. Aber das war sehr mühsam. Die allgemeine Luftfahrt war und ist noch nicht so weit entwickelt, man kann dort nicht so frei fliegen wie in Deutschland. Man braucht dazu eine spezielle Genehmigung. Deswegen habe ich neben wenigen archäologischen Prospektionsflügen in einigen ausgewählten Testgebieten überwiegend mit Luftbildern gearbeitet, die nicht für archäologische Zwecke aufgenommen worden waren. Ich hätte in China bleiben und ein wunderschönes Büro in Peking bekommen können, aber ich hätte nicht fliegen dürfen. Das wollte ich nicht.
Als ich erkannt habe, dass ich in China wegen der Reglementierungen nicht fliegen kann, bin ich nach Deutschland zurückgegangen. Dort wollte ich warten, bis der Luftraum in China freigegeben wird. Ich warte bis heute.
Ein Atlas mit Pseudo-Koordinaten
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