Interview Vom Orbit in die Erdkruste
Mit Seismometern entdeckt man Erdbeben in der Regel, wenn es schon zu spät ist. Jonathan Bedford forscht mit einer Technik, die mehr Weitblick verspricht.
Prof. Dr. Jonathan Bedford misst Bewegungen der Erdkruste mit GPS. Damit versucht er, der Entstehung von Erdbeben auf die Spur zu kommen. Denn die Bewegung der einzelnen Platten der Erdkruste führt zu Spannungen und Verwerfungen, die sich in Form von Erdbeben entladen können. Im Interview erklärt Bedford, warum es so schwer ist, Erdbeben vorherzusagen, spricht über die Herausforderungen, denen sich seine Disziplin gegenüber sieht, und erzählt, wie er sein erstes Erdbeben erlebt hat.
Professor Bedford, warum ist es so schwer, Erdbeben vorherzusagen?
Ich denke, das liegt daran, dass wir die Instrumente nicht nah genug an die Verwerfungen heranbringen können, an denen die Erdbeben entstehen. Oft sind die Bereiche der tektonischen Platten, die sich übereinander bewegen oder an denen die Platten gebrochen sind, schwer zugänglich, weil sie sich an abgelegenen Orten und viele Kilometer unter der Erde befinden.
Welche Orte sind das?
Die größten Erdbeben sind Subduktionsbeben, bei denen eine tektonische Platte unter die andere abtaucht. Dabei entstehen oft Beben der Stärke 8 oder 9. Die meisten davon ereignen sich unter dem Meer, und es ist sehr schwierig, dort Daten zu erheben.
Ein weiterer Grund, der eine Vorhersage schwierig macht, sind die Kosten für die Messgeräte. Die Hardware war lange Zeit sehr teuer. Mittlerweile sinken die Kosten, nun ist die menschliche Logistik der teuerste Aspekt, weil wir Leute für die Feldarbeit ausbilden müssen. Meiner Meinung nach geben wir nicht annähernd genug Geld aus, wenn man bedenkt, wie viele Menschenleben auf dem Spiel stehen.
Sie nutzen die GPS-Technologie anstelle von Seismometern, um geologische Bewegungen zu erfassen. Wie präzise ist das Verfahren?
Mit dem besten Equipment, das wir haben, können wir Bodenpositionen mit einer Genauigkeit von einigen Millimetern in der Horizontalen und etwas mehr als einem Zentimeter in der Vertikalen messen. Bei Mobiltelefonen haben wir mit GPS normalerweise eine Auflösung von fünf bis zehn Metern, weil diese nur Signale einer einzigen Frequenz nutzen. Wir verwenden mehrere Frequenzen, was unsere Messungen genauer macht. Aber wir müssen sehr vorsichtig bei unseren Analysen sein.
Die Bewegungen tektonischer Platten mit GPS bestimmen
Die Bewegungen tektonischer Platten mit GPS bestimmen
Warum?
Die Technologie arbeitet mit Satelliten, die die Erde mit einer bestimmten Geschwindigkeit umkreisen. Dabei erfahren sie eine andere Schwerkraft als die Erdoberfläche, was zu relativistischen Effekten führt. Die Zeit vergeht in der Umlaufbahn der Satelliten mit einer anderen Geschwindigkeit als auf der Erde. Um das zu korrigieren, müssen wir einige ausgeklügelte mathematische und physikalische Berechnungen anstellen.
Sie und Ihr Team haben 2024 eine Menge Messstationen in Griechenland installiert. Wieso genau dort?
Griechenland ist eine der erdbebengefährdetsten Regionen Europas, aber die Dichte der Messstationen ist im Vergleich zu anderen Ländern geringer. Außerdem sind einige tektonische Gegebenheiten dort für unsere Forschung besonders interessant.
Mikroplatten in Griechenland beobachten
Mikroplatten in Griechenland beobachten
Wie viele Stationen haben Sie schon ausgebracht?
Bislang 49 in Griechenland. Wir hoffen, dass in den nächsten Monaten weitere 23 dazukommen. Die Arbeit im Feld ist allerdings immer unvorhersehbar. Manchmal plant man, eine Station irgendwo zu platzieren, und dann stellt sich der Standort als nicht geeignet heraus. Oder man hat sich mit jemandem verabredet, der aus irgendeinem Grund den Termin nicht wahrnehmen kann.
Wo genau installieren Sie die Stationen?
In Griechenland haben wir die Erlaubnis, in die Dächer öffentlicher Gebäude zu bohren, um dort unsere Antennen anzubringen. Wir versorgen sie entweder mit einer Kombination aus Solarpanel und Batterie oder schließen sie an die Stromversorgung der Gebäude an. Für die Installation einer Station benötigen wir im Durchschnitt drei bis vier Stunden. Normalerweise machen wir eine Station pro Tag. Wir versuchen, morgens fertig zu werden, und gehen dann lecker griechisch essen.
Ich habe auch schon viel in Chile gearbeitet, wo wir die Stationen in der Regel in den Fels bohren.
Wissenschaftsmagazin Rubin kostenlos abonnieren
Was sind die größten Herausforderungen bei der Feldarbeit?
Das ist von Ort zu Ort verschieden. In Griechenland muss man vor allem mit der Hitze fertig werden. Im Süden Chiles sind es die Insekten, die sehr lästig sind. Im Norden Chiles ist die Wüste eine Gefahr; man kann Hunderte von Kilometern von einem sicheren Ort entfernt sein, also muss man vorausplanen, um nicht zu stranden.
Haben Sie während Ihrer Reisen selbst einmal ein Erdbeben erlebt?
Einige. Das erste richtige war in Chile in Concepción. Dort hatte es 2010 ein Erdbeben der Stärke 8,8 gegeben. Zwei Jahre später war ich in der Nähe des Epizentrums, und es gab immer noch Nachbeben. Es war ein Beben der Stärke 5,8 – und eine sehr merkwürdige Erfahrung. Zuerst hat mein Gehirn versucht, mir zu sagen, dass es kein Erdbeben sei, sondern dass es irgendeinen anderen plausiblen Grund geben müsse. Aber dann fing es an zu wackeln. Die Menschen auf den Straßen haben gejammert. Sie waren verängstigt, weil sie noch immer von dem großen Erdbeben 2010 traumatisiert waren.
Später habe ich ein weiteres Erdbeben der Stärke 6 im Norden Chiles miterlebt. Ich war in einem Hotel. Viele Kinder fingen an zu weinen, was mich etwas beunruhigt hat. Ich hab mich darauf vorbereit, die Evakuierungsroute in höher gelegene Gebiete zu nehmen, aber letztendlich mussten wir nicht evakuiert werden.
Für Ihre Feldarbeit haben Sie sich einige der seismisch gefährlichsten Regionen der Welt ausgesucht. Macht Ihnen das keine Sorge?
Man muss dorthin gehen, wo es etwas zu messen gibt. Ich bin mir der Gefahr bewusst, aber ich habe keine Angst. Als ich in Chile gearbeitet habe, gab mir jemand den Rat, immer Wasser dabei zu haben, weil das wohl das Wichtigste ist, wenn man ein großes Erdbeben erlebt. Daran halte ich mich immer. Man muss auch bedenken, dass viele Menschen – einer von dreien weltweit – in einem erdbebengefährdeten Gebiet leben. Es ist also nichts Besonderes, sich an einen solchen Ort zu begeben.
Ist es wichtig für Sie, die Feldarbeit selbst zu machen?
Ja, sehr. Leider gibt es in der Geophysik einige Leute, die zwar forschen, aber nicht so einen großen Beitrag zur Feldarbeit leisten – vielleicht wegen des Zeitdrucks in der akademischen Welt oder weil sie nie die Gelegenheit dazu hatten. Letztendlich brauchen wir aber mehr Daten. Ich empfinde es als etwas unausgewogen, dass viele Forschungsprojekte mit vorhandenen Daten arbeiten, aber nicht so viele neue Daten sammeln. Es gibt nicht genügend Schulungen zur Feldarbeit, und sie wird auch nicht ausreichend gewürdigt. Außerdem kann Feldarbeit sehr teuer sein, sodass wir einen nachhaltigen Weg finden müssen, um sie durchzuführen. Wir brauchen auch eine bessere Koordination der Feldarbeit auf internationaler Ebene. Das ist etwas, worüber ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen sprechen muss, zumindest was die GNSS-Messstationen anbelangt.
Trotz all der Herausforderungen scheint Ihnen die Arbeit im Feld zu gefallen.
Bei der Feldarbeit lernt man tolle Leute kennen. Wenn man mit jemandem in einem Zelt an einem abgelegenen Ort Zeit verbracht hat, hat man eine besondere Verbindung.
Was wünschen Sie sich für Ihre künftige wissenschaftliche Karriere?
Wenn ich Glück habe, liegen noch 30 Jahre Forschung vor mir. Ich würde mir wünschen, dass meine Community im Lauf dieser Zeit weniger reaktiv und mehr proaktiv handelt. Die ersten Veränderungen sind bereits wahrnehmbar.