Serie Standpunkt

Jonathan Bedford hat an der Ruhr-Universität Bochum die Professur für Physikalische Geodäsie inne.

© RUB, Marquard

Standpunkt „Wir müssen mehr in die Erdbebenforschung investieren“

Jonathan Bedford hat eine Vision: Er glaubt, dass Erdbeben eines Tages vorhersagbar sein werden. GPS könnte der Schlüssel dazu sein. Aber noch sind einige Anstrengungen nötig.

Viele Leute in meinem Forschungsbereich gehen davon aus, dass Erdbeben grundsätzlich unvorhersagbar sind. Ich würde dem widersprechen.

Wir befinden uns in einem sehr frühen Stadium der Erdbebenforschung: Seismometer gibt es seit etwa 150 Jahren, und GPS, das ebenfalls genutzt werden kann, um Bewegungen der Erdkruste zu verfolgen, seit zwei bis drei Jahrzehnten. Die Disziplin ist also noch sehr jung.

Wenn wir mehr Daten zur Verfügung hätten, könnten wir das Verhalten der Verwerfungen vorhersagen. Ob wir damit auch Erdbeben prognostizieren könnten, bleibt abzuwarten. Aber in der Forschungscommunity wächst der Optimismus, dass das eines Tages möglich sein wird.

Ein Grund dafür ist, dass wir heutzutage auch im Labor eine Menge Daten erheben können. Wir können zum Beispiel Gesteinsproben unter Druck setzen oder Verwerfungen im kleinen Maßstab nachbilden. Aus solchen Daten lässt sich ein Modell erzeugen, das die Prozesse an der Verwerfung vorhersagen kann.

Mithilfe der GPS-Technik können wir außerdem Wochen oder Monate vor einem Erdbeben sehen, wo sich eine Verwerfung bewegt. Solche Bewegungen haben nicht immer eine seismische Signatur, daher können sie von Seismometern nicht erfasst werden. GPS hat das Potenzial, in Echtzeit zu zeigen, was an der Verwerfung geschieht. Um daraus aber eine Vorhersage zu generieren, brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung von Hunderten oder Tausenden von Leuten in unserem Forschungsfeld.

Wenn man sich vor Augen hält, wie viele Menschenleben auf dem Spiel stehen, müssten wir weitaus mehr investieren.

In der Erdbebenforschung müssen wir uns meines Erachtens dazu verpflichten, mehr Daten zu generieren. Wenn man unser Gebiet mit der Teilchenphysik oder Astronomie vergleicht, geben wir nicht annähernd so viel Geld aus wie diese Disziplinen. Das ist schade. Man stelle sich vor, wie viele Menschen bei einem großen Erdbeben sterben könnten – und wie viele bereits gestorben sind. Das Beben 2004 im Indischen Ozean hat Hunderttausende das Leben gekostet; in der Türkei und in Syrien starben 2023 Zehntausende. Wenn man sich vor Augen hält, wie viele Menschenleben auf dem Spiel stehen, müssten wir weitaus mehr investieren.

Fördermittel für die Forschung bekommt man in der Regel, wenn man Daten in einer bestimmten Region aufzeichnen möchte, die besonders erdbebengefährdet ist, aber wenig untersucht. Sich so auf bestimmte Gebiete zu konzentrieren, ist jedoch ein konservativer Ansatz. Ich denke, wir sollten den ganzen Planeten, vor allem die Verwerfungszonen, mit Messstationen übersäen und so viele Daten wie möglich sammeln. Mit mehr Daten und ausgefeilteren Techniken könnten Erdbebenvorhersagen eines Tages möglich sein.

Wir müssen ehrgeiziger werden!

Wissenschaftsmagazin Rubin kostenlos abonnieren

Dieser Artikel erscheint im Wissenschaftsmagazin Rubin. Rubin kann kostenlos als Newsletter oder Printausgabe abonniert werden.

Förderung

Die Forschung von Jon Bedford wird derzeit von der Europäischen Union finanziert (ERC-Grant TectoVision, Grant Agreement ID: 101042674). Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die von Jon Bedford und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrats wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für sie verantwortlich gemacht werden.

Dokumentedownload

Veröffentlicht

Dienstag
19. November 2024
09:54 Uhr

Von

Jonathan Bedford

Dieser Artikel ist am 2. Dezember 2024 in Rubin 2/2024 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

Teilen