Mehr als ein Nachruf Desmond Tutu – Inspiration für Freiheit und Diversität
Mit dem verstorbenen Desmond Tutu war die RUB nicht nur sehr eng verbunden, sie fühlt sich seinem Erbe verpflichtet – und das heißt: Vielfalt als Programm!
Desmond Tutu war ein ganz besonderer Mensch, der mit großer Ausstrahlung, Intelligenz und Nachdruck für Diversität und Freiheit eintrat und jede Form der Diskriminierung und Ausgrenzung in Südafrika und weltweit bekämpfte. Die Ruhr-Universität ist die einzige Universität in Deutschland, die ihm eine Ehrendoktorwürde verlieh und dies bereits 1981 – noch bevor Tutu Erzbischof wurde und den Friedensnobelpreis erhielt.
Theo Sundermeier, emeritierter Professor für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie, setzte sich damals an der Evangelisch-Theologischen Fakultät nachdrücklich für die Ehrenpromotion von Tutu ein. Sundermeier kannte Tutu aus seinen langjährigen Afrikaaufenthalten gut und wusste, wie sehr die deutsche Theologie auf Impulse der afrikanischen Befreiungstheologie, die Desmond Tutu vertrat, angewiesen ist.
Desmond Tutu ließ sich in seinem Kampf für die Rechte von Schwarzen nie durch das Apartheidregime einschüchtern, auch wenn dieses viel unternahm, um genau das zu erreichen. Als er nach Bochum eingeladen wurde, um die Ehrendoktorwürde in Empfang zu nehmen, wurde ihm die Ausreise verweigert – und dies obwohl die Universität sowohl den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher als auch den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Johannes Rau einschaltete, um eine Ausreise doch noch möglich zu machen. Tutu schickte einen Vortrag, der bei der Verleihung in der Aula der Universität von Ben Khumalo, einem Studenten aus Südafrika, vorgelesen wurde. Tutu brachte in dieser Rede zum Ausdruck, was ihn theologisch bewegt, gegen das rassistische Regime in Südafrika zu kämpfen. Er akzentuierte dabei bemerkenswerterweise nicht nur die Befreiung schwarzer Menschen, sondern nahm auch den Mangel an Freiheit bei den Unterdrückern wahr. Es war deshalb kein Zufall, dass Tutu nach dem Ende des Apartheidregimes Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika in der Regierung von Nelson Mandela wurde und sich mit großer Ausdauer für eine friedliche Aussöhnung einsetzte.
Verleihung 28 Jahre später
Im Jahr 2009 erhielt Desmond Tutu schließlich die Urkunde der Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Theologischen Fakultät, als der damalige Rektor Elmar Weiler mit Wilhelm Löwenstein nach Südafrika reiste, um ein Fachzentrum in Kooperation der Ruhr-Universität mit der University of the Western Cape zu eröffnen. Für Elmar Weiler gehörte diese Reise zu den Höhepunkten seiner langjährigen Rektoratszeit. Es war für ihn ein unvergesslicher Augenblick, Desmond Tutu die Urkunde persönlich überreichen zu dürfen. Weiler schreibt: „Diesem großen Mann die Hand zu geben und ihm zu danken, seinen unvergleichlichen Witz, seine Leuchtkraft zu erleben, die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit machen mir bis heute Mut. Solange solche Menschen wirken, wird die Zuversicht nicht weichen.“
Die Ruhr-Universität beziehungsweise das Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik (IEE) unter Leitung von Wilhelm Löwenstein baute damals eine Abteilung („Development Research Division“) in dem Fachzentrum für Entwicklungsforschung und Strafjustiz in Kapstadt mit mehreren Master- und PhD-Studiengängen auf. Erzbischof Tutu eröffnete als Chancellor der University of the Western Cape dieses südafrikanisch-deutsche Fachzentrum.
Keine zufällige Kooperation
Der Schwerpunkt des Zentrums lag auf der Untersuchung der Ursachen von Wachstumsdefiziten und ungleicher Ressourcenverteilung in Entwicklungsländern. Wilhelm Löwenstein schreibt dazu: „Die RUB hat die UWC als wichtigsten afrikanischen Kooperationspartner nicht zufällig gewählt. Die UWC gehörte zu Apartheidzeiten, anders als die University of Pretoria, die University of Witwatersrand, die University of Cape Town oder die University of Stellenbosch, zu den disadvantaged universities. Es schien den damals handelnden Akteuren daher sehr passend, dass die RUB als Reformuniversität die historically disadvantaged UWC in ihrer Entwicklung nach dem Ende der Apartheid unterstützt.“ Die Kooperation der RUB mit der UWC reicht in die 1990er-Jahre zurück und weitete sich in den folgenden Jahren aus. Das Interesse der südafrikanischen Presse an der Fachzentrumseröffnung an der UWC war groß. Das lag an dem erwarteten Auftritt von Erzbischof Desmond Tutu, der dafür bekannt war, dass er seine Predigten wie auch seine öffentlichen Reden immer zu Exkursen nutzte, in denen er die südafrikanische Regierung kritisierte. Diese Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Desmond Tutu lobte die akademische Kooperation zwischen seiner UWC und der RUB, freute sich ersichtlich über die mit 28-jähriger Verspätung erfolgende persönliche Übergabe der Ehrendoktorurkunde und die Laudatio durch Rektor Weiler und nahm dann ausführlich zur politischen Korruption Stellung, die in der damaligen Zuma-Regierung weitverbreitet war. Das Presse-Echo am Folgetag war dementsprechend groß.
Begegnungen von Margot Käßmann und Desmond Tutu
Auch Margot Käßmann, Honorarprofessorin der Ruhr-Universität, erzählt von Begegnungen mit Desmond Tutu, die sie nachhaltig beeindruckt haben. 1983 war sie als Jugenddelegierte bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver. Desmond Tutu sollte dort über die Lage in seinem Land berichten. Seine Ankunft verzögerte sich, weil es erneut Ausreiseprobleme gab. Als er schließlich eintraf, ging er nicht, wie erwartet, zum Empfang, sondern zur Versammlung der Jugenddelegierten und erzählte den Jugendlichen von der Apartheid in seinem Land. Das zweite Mal begegnete Käßmann Tutu im Vorfeld der ersten freien Wahlen 1994 in Südafrika, als dort die Lage sehr angespannt war. Es war alles andere als gewiss, dass der Übergang aus dem Apartheidregime in die Demokratie gelingen würde. Käßmann erzählt, wie unermüdlich Desmond Tutu die Gewaltfreiheit predigte. Er sagte: „Niemand wird frei sein, wenn nicht alle frei und ohne Angst leben können.“
Engagiert für eine Regenbogennation
Desmond Tutu engagierte sich nicht nur gegen Rassismus, sondern auch für eine Regenbogennation, wie er seine Vision nannte, in der alle friedlich zusammenleben – Schwarze und Weiße, Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft, Hetero- und Homosexuelle. Als er 2013 eine Kampagne der Vereinten Nationen für Menschenrechte und LGBT-Rechte vorstellte, sagte er mit dem ihm eigenen Witz: „I would not worship a God who is homophobic and that is how deeply I feel about this“. Und er fügte hinzu: „I would refuse to go to a homophobic heaven. No, I would say sorry, I mean I would much rather go to the other place.” Diese Stellungnahme war in der Kirche Südafrikas alles andere als selbstverständlich.
Dem Erbe Tutus verpflichtet
Die Ruhr-Universität fühlt sich dem Erbe Desmond Tutus und seinem Engagement für Diversität und Freiheit verpflichtet. Sie setzt sich als Reformuniversität für diejenigen ein, für die Studium und Wissenschaft aufgrund ihrer Herkunft keine Selbstverständlichkeit sind. Sie setzt es sich zum Ziel, Diskriminierungs- und Abwertungsdynamiken am Arbeits- und Studienplatz entgegenzuwirken und Menschen, die in unterschiedlicher Hinsicht unterprivilegiert sind, mit ihren Talenten zu fördern. Auch für die wissenschaftliche Forschung ist das Erbe Tutus eine bleibende Herausforderung – wie denken wir Entwicklung? Wie ist Versöhnung und Vergebung möglich? Was bedeutet Freiheit? Wie können wir Unterdrückung bekämpfen? In diesem Sinn streben wir, auch im Andenken an Desmond Tutu, eine universitas an, die Vielfalt nicht nur fördert, sondern auch als Bereicherung, ja als Programm lebt.
Isolde Karle, Prorektorin für Diversität, Inklusion und Talentförderung der Ruhr-Universität Bochum